Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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2.3.2 Jugendliche in Detroit inszenieren Schicht und Gender
Eckert (2000) zeigt indexing gender in einer varietätenlinguistischen Studie über Jugendliche in Detroit, die eine sog. „Belten High School“ („all white community“) besuchen. Unter anderem mittels kleidungsstilistischer, phonologischer und grammatischer Variablen betreiben die Jugendlichen soziale Selbstpositionierungen. Eckert führt eine qualitative Ethnografie der Milieus durch, in denen die Jugendlichen leben. Unter den Schülern und Schülerinnen ist die Einteilung in „jocks“ und „burnouts“ zentral. Die „jocks“ sind pro-schulisch eingestellt, rauchen nicht und orientieren sich insgesamt eher an globalen Mittelschichtswerten. Die rauchenden „burnouts“ verkörpern dagegen eher eine Art lokale Arbeiterklassenkultur. Mit Schule haben sie nicht viel am Hut. Die Autorin bemüht Bourdieus HabitusHabitus-Konzept (1976), um die lokalen Konstruktionen von Unterschieden verstehen zu können, die alle eine Geschichte haben und deshalb nicht „lokal“ beschränkt sind. Sprachverhalten bettet sich in die semiotische Differenzarbeit ein. Die „jocks“ betreiben z.B. eher eine hintere Aussprache der Vokale /e/ und /a/, flesh klingt bei ihnen wie flush, lunch mehr wie launch. Die Mädchen praktizieren dies in beiden Gruppen mehr als die Jungen. Dies gilt als chic.
Genderideale sind mit SchichtenspezifikSchichtendifferenz so verbunden, dass Mädchen der Mittelschicht bestimmte mit Weiblichkeit assoziierte Merkmale stark betonen und Jungen der Mittelschicht davon punktuell abweichen. Doing being male wird semiotisch über Anleihen am „unfeinen Sprechen der Unterschicht“ geleistet (Kotthoff 1992b). Wir finden in einem mittelschichtsorientierten semiotischen Komplex somit Indices, die gleichzeitig auf ein männlich und unterschichtig assoziiertes Verhalten hinweisen.1 Manche „burnout“-Mädchen sprechen auch standardnah und gepflegt.
Für die männlichen Ausgebrannten ist zentral, sich mittels Gewalt und Schlauheit im Dschungel der Stadt durchzukämpfen. Die weiblichen „burnouts“ tun sich selten mit der Demonstration ihrer Kampfkraft hervor. Die männlichen „jocks“ kommunizieren im Sport und im Umgang mit Computertechnologie (beliebte Freizeitbeschäftigungen) ein Image starker Selbstkontrolle und Kompetition. Für die Mädchen ist die Gestaltung ihres Äußeren und ihr ansprechendes Auftreten ein viel zentraleres Anliegen. Die von Eckert untersuchten Variablen stellen wir in Kap. 12 vor.
In Eckerts Studie ergibt sich ein höchst differenziertes Bild der verschiedenen Variablen, die einen unterschiedlichen Status für die Kommunikation von sozialer Identität haben. Sprachliche Stile nehmen auf jeden Fall an einer sozialen Gesamtstilisierung teil, deren Komponenten innerhalb der Gemeinschaft prototypisch zugeordnet werden können; aber genau dies kann für Basteln am Identitätsindex genutzt werden. Die „gender performance“ sieht auch diese Richtung nicht als von innen kommend, sozusagen aus der Essenz des Individuums, sondern von außen, aus der Beobachtung semiotischer Zuordnungen. Ein Phänomen, sei es ein bestimmter Schuhtyp, eine Vokalaussprache oder eine Direktheitsstufe, wird mit einem sozialen Typus locker assoziiert. Der kombinierte Einsatz dieser Phänomene wird so zum StilisierungsaktStilisierung (Selbst- und Fremd-S.), mit dem das Individuum sich einen Platz in einem sehr spezifischen sozialen Gefüge zuschreibt, vor allem in der Bündelung verschiedener Phänomene, denn ein Stil besteht immer aus der Kombination verschiedener Verfahren (Auer 2007, 12). Einige Jugendliche an der Detroiter Schule inszenieren sich auch als „In-betweens“. Sie setzen die bemerkbaren semiotischen Verfahren so ein, dass sie weder als „jock“ noch als „burnout“ klar zugeordnet werden können.
Alle Soziolinguist/inn/en, die mit dem Konzept des indexing gender arbeiten (z.B. auch Holmes/Stubbe 2003; Holmes 2006; Barrett 2017) betonen, dass die interpretative Rekonstruktion von Genderbezügen nur innerhalb einer „community of practicecommunity of practice“ (einer Handlungsgemeinschaft, wie sie z.B. eine Schule oder eine Firma darstellt; Kap. 12) möglich ist, in der die sozialen Assoziationen im Zusammenhang historisch entstanden sind.
2.3.3 Indirekte Assoziationen mit Gender
Ochs (1992) betont die konventionelle und konstitutive Rolle zwischen der Kommunikation von Affekt und von Gender. Die Verwendung vieler Frageanhängsel vom Typ „isn’t it?“ im Englischen oder „ne?“ und Ähnliches im Deutschen („tag questions“) wurden von Lakoff 1973 stärker mit dem Ausdruck von Weiblichkeit assoziiert; primär aber gelten sie als Verfahren des Rückbezugs auf einen Gesprächspartner oder als Ausdrucksformen von Unsicherheit (vgl. Holmes 1984 und Kap. 12). Nur weil demonstrative Rückbezüge zum Gegenüber und Vermeidung von Sicherheit historisch eher mit dem von Frauen als von Männern verlangten Verhalten assoziiert werden und in manchen Kulturen zur Weiblichkeitserziehung gehören, indizieren sie indirekt kulturelles Geschlecht. Sie bringen die soziale Kategorie Geschlecht aber auch bei gehäuftem Auftreten nicht in den Vordergrund der Interaktion, laufen somit nicht unter doing gender im Sinne von Schegloff (1997), bei dem Gender so salient sein muss, dass im Gespräch eine bemerkbare Orientierung an dieser Kategorie stattfindet. West und Zimmermans Vorstellungen von doing gender entsprechen sie auch nicht, weil die Relation zwischen der Sprachverhaltensweise und der sozialen Kategorie nicht direkt ist. Man kann sich problemlos einen Therapeuten vorstellen, der mit Fragepartikeln den Klienten zum Reden bringen will und sich strategisch unsicher gibt. Im Kontext dieser institutionellen Kommunikation kann eine Anleihe bei einem weiblich assoziierten Stilphänomen einen therapeutischen Gesprächsstil miterzeugen. Der Therapeut inszeniert sich nicht als besonders männlicher Mann.
2.3.4 Mehr zu Genderindices in der Jugendkommunikation
In der Jugendkommunikation wird die Relevanz von Gender über grammatische oder phonologische Variablen hinaus vielfältig indiziert. Auch bestimmte Gesprächspraktiken indizieren altersspezifische Männlichkeiten, Weiblichkeiten oder Zwischentypen. Lust und Frust auf dem heterosexuellen Paarbildungssektor gehören unter Mädchen nicht nur zu einem offen bekundeten, sondern geradezu forcierten psychischen Zustand, der in besonderer Weise an der Ko-Konstruktion der soziokulturellen in-group der gleichaltrigen Freundinnen und der Ausbildung von alters-, kultur- und genderdistinkten Gefühlsnormen teilhat (Stenström 2003; Spreckels 2006; Kotthoff 2012a). Die Mädchen verhandeln untereinander strategische Weitergaben der Telefonnummern von Jungen und die entsprechenden Normen für das Organisieren des Miteinander-Bekanntmachens von Mädchen und Jungen untereinander; sie beziehen ihre Freundinnen in ihre romantischen Interessen ein, z.B. über Grußrituale und lang und breit ausgemalte, gemeinschaftliche Annäherungsinitiativen an einen Jungen. Sowohl eigene Korpora als auch Aufnahmen anderer Forscher aus Jungengruppen ähnlicher oder höherer Altersstufen (Schmidt 2004) liefern keine Belege für eine ähnliche Frequenz und Intensität der interaktionalen Verhandlung des Paarbildungsgeschehens und den Einbezug des Freundes. СКАЧАТЬ