Название: Genderlinguistik
Автор: Helga Kotthoff
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: narr studienbücher
isbn: 9783823301523
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Entsprechend versuchen heute die von Butlers Schriften sehr stark geprägten „queer studies“ große Theorieentwürfe, deren empirische Anbindung aber fast immer schwach ausfällt (dazu kritisch auch Degele 2008). Unser Buch steht hingegen in der sozialwissenschaftlichen Tradition von gegenstandsorientierter Theoriebildung (Strauss/Corbin 1996/1999). Theorieentwicklung bleibt an die empirische Forschung rückgebunden. Die linguistische Genderforschung rekonstruiert zuerst einen Phänomenbereich, sei es derjenige der Jugendkommunikation, der Personenreferenz oder der Namen. Von empirischen Befunden ausgehend rekonstruiert sie, welche sozialstrukturellen Kategorien in dem Bereich für Differenzen verantwortlich sein könnten. Die Theoriediskussion erfolgt möglichst auf der Basis empirischen Materials.
Auch in „Hass spricht“ finden wir bei Butler (2001) keine Korpora, in denen beispielsweise Kontexte und Wirkungen von Hassäußerungen rekonstruiert würden. Sie greift erneut prominent auf die von John L. Austin ausgearbeitete Theorie der Sprechakte (1972) zurück, auch auf seine Unterscheidung zwischen konstativen und performativen Sprechakten.
Konstative Äußerungen sind Behauptungen und Aussagen, die als wahr oder falsch bewertet werden können, denen also Wahrheitswerte zugeordnet werden können. Demgegenüber beschreibt Austin Sprechakte als performativ, wenn mit ihnen Handlungen vollzogen werden (z.B. Austin 1972, 27). Ein Beispiel zur Illustration ist der Akt der Eröffnung der Olympischen Spiele: Eine dazu befugte Person einer spezifischen Institution (beispielsweise des gastgebenden Staates) vollzieht mit bestimmten Worten – „Hiermit erkläre ich die Olympischen Spiele in … für eröffnet.“ – eine Handlung, die den Status der Situation verändert. Die Wirkung des performativen Sprechaktes ist bei diesem Beispiel besonders deutlich, da die Olympischen Spiele genau an dem Moment, in dem diese Worte ausgesprochen werden, beginnen (Müller 2011). Zu beachten ist, dass hier die Befugnis der beteiligten Personen, der institutionelle Rahmen sowie Konventionen eine entscheidende Rolle spielen: Zwar kann jede/r eine solche Aussage vollziehen, aber die spezifische Performativität tritt nur in bestimmten Konstellationen und Kontexten auf, ansonsten misslingt der Sprechakt (Bourdieu 1979). So lässt sich festhalten: Konstative Sprechakte können wahr oder falsch sein, performative Sprechakte gelingen oder misslingen, und wenn sie gelingen, werden mit ihnen sozial bedeutsame Handlungen vollzogen.
Butler schreibt den konstativen und performativen Sprechakten große Macht zu, sowohl zur Bestätigung gesellschaftlicher Ordnungen als auch zu ihrer Unterlaufung. Beschimpfungen könnten Subjekte entwerten. Subjekte könnten die derogativen Ausdrücke aber auch umdrehen und sie sich unter umgekehrtem Vorzeichen neu aneignen (wie es etwa geschieht, wenn sich mehrsprachige Jugendliche im deutschen Sprachraum Kanacken nennen). Wir stimmen dem zu, sind allerdings bei der Zuschreibung revolutionärer Potentiale an dergleichen kommunikative PraktikenKommunikative Praktik weniger enthusiastisch (Kotthoff et al. 2014, 94f.). Wieder bleibt Butlers Auseinandersetzung mit der Macht isolierter Sprechakte theorieimmanent. Diese Macht scheint tatsächlich einerseits umfassend gedacht zu sein: Sprache macht das Subjekt, macht Gesellschaft. Andrerseits gerät die Materialisierung von Macht kaum in den Blick.
Interaktionslinguist(inn)en legen ihren Studien selten Austins Werk zugrunde, weil es im Unterschied zu demjenigen von Goffman und Garfinkel und vor allem deren Weiterentwicklungen in Linguistik und Soziologie bei ihm nur um isolierte Äußerungen geht, um einzelne Sprechakte. In Wirklichkeit finden Sprechakte aber Eingang in Dialoge, in denen auf sie reagiert wird. Die linguistische Geschlechterforschung tut gut daran, sich in dialogische Traditionen einzureihen, weil hier auch die überzeugenderen Zugänge zur Empirie von Diskursen und Interaktionen zu finden sind (Linell 1998). In Kap. 13 werden wir sehen, dass Reaktionen Sprechhandlungen mitunter überhaupt erst konstituieren. Auch vermag Sprache nicht das Subjekt herzustellen, steht sie doch vom ersten Tag an auch im Kontext außersprachlicher Handlungen und Gegebenheiten. Ob ein Kind beispielsweise in Armut oder Reichtum aufwächst, hängt mit außersprachlichen Gegebenheiten zusammen und lässt sich sprachlich-diskursiv kaum umkonditionieren.
2.4.2 Sind sexuelle Präferenzen für Identitäten immer zentral?
Different fällt auch aus, wie die Butler’schen „queer studies“ und die sozialkonstruktivistische Genderforschung Identität konzipieren. Butler und Lacan setzen die geschlechtliche Identität des Menschen als zentral an. Innerhalb der GeschlechtsidentitätGeschlechtsidentität ist wiederum die Dimension der sexuellen Präferenz kontextübergreifend ausschlaggebend. Selten geht es darum, wie sich beispielsweise Berufe oder Tätigkeitsfelder in Identitäten einschreiben (ein nicht zu unterschätzender Faktor). Immer liefert das Homo- oder Heterosexuellsein scheinbar den entscheidenden Hebel zum Handeln in der Welt.
Soziale Identität wird von den meisten Sozialwissenschaftler/innen als der Teil des Selbst gesehen, der innerhalb einer soziokulturellen Lebenswelt ausgearbeitet werden kann. Persönliche Identität bezieht sich im Unterschied dazu auf die Einzigartigkeit des Individuums innerhalb einer individuellen Lebensgeschichte und ist somit so etwas wie die Kontinuität des Ich. Krappmann (1978, 39) fasst diesen Unterschied so zusammen:
Obviously, identity is both simultaneously: the anticipated expectations of the other and the individual’s own answers. G.H. Mead took this dual aspect of identity into account in his concept of the self, which contains a “me” that is the adopted attitudes of the other, and an “I”, the individual’s answer to the expectations of the others.
Obwohl viele AutorInnen, so auch Butler, von „Identität“ im Singular sprechen, hat sich in der Soziolinguistik längst die Erkenntnis durchgesetzt, dass Menschen in der Regel unterschiedliche Identitäten aufführen und ihre Einzigartigartigkeit eher im speziellen Verschnitt dieser Aufführungen liegt.
Wir alle leben im Alltag mehrere Rollen (als Tochter, Mitglied eines Sportclubs etc.) und sind mit unterschiedlichen sozialen Gruppen verbunden. Individuen konstruieren ihre sozialen Identitäten auf der Basis verschiedener Parameter, darunter Nationalität, Geschlecht, Alter, Hobby, Beruf etc. (Duszak 2002, 2). Das Konzept der sozialen Identität muss deshalb als vielschichtig und sehr dynamisch angesehen werden. Mehrfachmitgliedschaften sind der Normalfall.
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden verschiedene konstruktivistische Herangehensweisen an Gender vorgestellt. Weil Macharten und Relevantsetzungen von Gender in unterschiedlichen Kontexten rekonstruiert werden sollen, erscheinen Ansätze wie das doing gender und das indexing gender als vielversprechend. Da uns die Analyse von Genderindices in vielen Kapiteln beschäftigen wird, wurde dieser Ansatz oben schon umrissen. In der Genderlinguistik arbeiten wir mit einem fluiden Verständnis von Identität, deren lokale Kommunikation und die Verfahren ihrer Anzeige uns am meisten interessieren. Gender ist zwar eine zentrale soziale Kategorie, jedoch dominiert sie nicht unser gesamtes Handeln fortlaufend. Außerdem tritt sie in Überlappung mit anderen sozialen Kategorien wie Alter oder StatusStatus (sozialer) auf. Solche Ko-Artikulationen müssen empirisch nachgezeichnet werden können und vertragen keine Vorab-Einengungen.
3. Prosodie und Phonologie
Landet man auf dem Frankfurter Flughafen auf einer Außenposition und wird mit dem Bus zum Flughafengebäude gebracht, macht man eine überraschende Erfahrung: Aus dem Lautsprecher des Busses ertönt – eine ganz normale Frauenstimme! Sie heißt unaufgeregt СКАЧАТЬ