Carl Schmitts Gegenrevolution. Reinhard Mehring
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Название: Carl Schmitts Gegenrevolution

Автор: Reinhard Mehring

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

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isbn: 9783863935771

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СКАЧАТЬ die diskursive Zugänglichkeit letzter Fragen zu tabuisieren und die philosophische Kritik zu suspendieren. Zwar rekurrierte Schmitt auf den „Dezisionismus“ von Thomas Hobbes, wo Kaufmann Kant gegen den zeitgenössischen Neukantianismus ausgespielt hatte. Den philosophisch-naturrechtlichen Ansatz von Hobbes ignorierte er aber stets. Sein Leviathan-Buch interessierte sich 1938 nur noch für den Mythenpolitiker. Philosophisch neigte Schmitt zwar in mancher Hinsicht Hegel zu; niemals äußerte er sich darüber aber eingehender. Seine Reserve gegenüber dem zeitgenössischen Neuhegelianismus war nicht zuletzt politisch motiviert: nicht nur gegenüber dem Links-Hegelianismus (Lukács), sondern auch gegenüber einem politisierenden Rechts-Hegelianismus, der dem Nationalsozialismus nach 1933 eine Philosophie schenken wollte und so, in anderer Weise als Heidegger, den Traum vom Philosophenkönigtum träumte, den „Führer“ zu führen. Schmitts Entscheidung gegen starke philosophisch-naturrechtliche Legitimierungen der herrschenden Legalität stand eigentlich schon 1922 fest; die Entwicklung des Links- wie Rechtshegelianismus vor und nach 1933 bestätigte ihn dann in seiner Reserve gegenüber starken rechtsphilosophischen Fundamentierungsansprüchen.

      Mit der Binder-Rezension markiert Schmitt 1916 bereits seinen Auszug aus der Rechts- und Staatsphilosophie. Seine Transformation der “Rechtsidee“ in die Souveränitätslehre ist im scharfen Rückgang hinter Kant auf Hobbes nur dann deutlich zu sehen, wenn die Erstausgabe der Politische Theologie von der späteren Fassung von 1934 unterschieden wird, die alle Verweise auf Kaufmann gestrichen hat. Schmitt positionierte sich 1922, gerade in Bonn angekommen, zu Kaufmanns Kritik der neukantianischen Rechtsphilosophie, indem er dessen Rückruf zu Kant mit einem Rückruf zu Hobbes konterte. Eine starke Rechtsphilosophie hat er nie zu schreiben beabsichtigt. Er verblieb aber auf dem Boden der zeitgenössischen Lebensphilosophie und Weltanschauungslehre, indem er metaphysikgeschichtliche Voraussetzungen seines starken Dezisionismus und Personalismus problematisierte und historisierte. Schmitt bezog einen verlorenen Posten und sah sich nach seiner Politischen Theologie fortan als unzeitgemäßer Autor und Außenseiter an. Es ließe sich also von einer doppelten Transformation des Transzendentalismus sprechen: Einerseits schrieb Schmitt den Transzendentalismus in das historische Apriori einer Weltanschauungslehre um und andererseits hoffte er doch auf die Selbstbehauptung des Staates in der Setzung der Differenz von Macht und Recht, im außerordentlichen Notrecht des „Ausnahmezustandes“.

       II. Offene Anfänge? Carl Schmitts frühe Option für die Gegenrevolution

       1. Zwischenkriegszeit

      Die Weimarer Republik war der Bundesrepublik niemals nur Geschichte, sondern stets auch eine Mahnung, Lehrstück und Modell. In der Vergangenheitspolitik der alten Bundesrepublik diente „Weimar“ dabei meist als negatives Vorbild. Bonn war nicht Weimar, die Bundesrepublik sollte „Weimarer Verhältnisse“ tunlichst meiden. Die alte Bonner Republik fürchtete die historische Parallele und grenzte sich vielfältig ab. In der Auseinandersetzung mit der Weimarer Verfassung suchte sie in „Widerspruch und Umkehrung“ ein „Gespenst“ zu bannen.32

      Die junge Disziplin der „Zeitgeschichte“ begann in den 1950er Jahren mit dem „Untergang“ der Weimarer Republik und der – heute gerne auch als „Machtübergabe“ erörterten – „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus. Der Blick auf den Untergang Weimars konzentrierte sich dabei auf das politische System und „Strukturprobleme“ der Verfassung. Karl Dietrich Bracher33 steht – nach althistorischen Anfängen – mit seinen Maßstäbe setzenden Monographien für diese Agenda zeitgeschichtlicher Forschung. Bracher schritt vom Untergang Weimars und den „Stufen der Machtergreifung“ zur Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Diktatur, totalitären Erfahrung und Zeit der Ideologien. Kurt Sontheimer34 sondierte das heute vielfältig weiter ausgeleuchtete „antidemokratische Denken“ der Weimarer Republik und bot Thomas Mann als eine positive Alternative an. Dolf Sternberger35 distanzierte sich vom anti-institutionellen Politikbegriff der verehrten Hannah Arendt im Rückgang auf Aristoteles und setzte die bürgerliche „Vereinbarung“ gegen die anstaltsstaatliche „Herrschaft“. Wolfgang J. Mommsen36 kritisierte in seiner durchschlagenden Dissertation über Max Weber und die deutsche Politik Webers Befangenheit im Wilhelminischen Machtstaatsgedanken und zog eine Linie von Weber zu Schmitt. Der alte Schmitt37 stimmte dieser Weber-Kritik gerne zu, betonte sie doch den Nationalismus im Nationalliberalismus. Tatsächlich unterschätzen wir heute, wie sehr der gegenrevolutionäre Nationalismus nach „Versailles“ ein Gemeinposten bis weit ins nationalliberale Lager war.38 Schmitt vertrat damals mit seiner Positivismuskritik und extensiven Auslegung der Diktaturbefugnisse des Reichspräsidenten zwar eine exponierte Minderheitsposition; seine Verfassungslehre ließ sich bis 1933 aber elastisch als konstruktive Kritik und Verteidigung der „Substanz“ Weimars auffassen.

      Die deutsche Staatsrechtslehre knüpfte nach dem revolutionären Bruch des Nationalsozialismus erneut an Theoriedebatten der Weimarer Republik an. Restaurationen des „Naturrechts“ konnten sich nicht durchsetzen. Die rivalisierenden Schüler und Schulen Smends und Schmitts bestimmten das Terrain,39 ohne allzu dogmatisch und epigonal an Weimar anzuknüpfen. Der Theoriebedarf der Rechtswissenschaft war trotz der neuen menschenrechtlichen Fundamentierung nicht sehr groß und die Weimarer Entwürfe galten ein Stück weit als aktuelle Orientierungsposten. Hermann Heller trat seit den 1960er Jahren dann verstärkt als sozialliberales Antidot neben Smend und Schmitt.

      Erst in der neuen Bundesrepublik nach 1990 verabschiedete man sich eigentlich von einer direkten Anknüpfung an die Weimarer Theorieentwürfe, pointierte den Abstand und entwickelte eine tiefenscharfe Historisierung der Staatsrechtswissenschaft. Wegweisend wurde hier Michael Stolleis’ magistrale Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Erst seitdem intensivierte sich die – u.a. von Christoph Gusy40 angestoßene - Erforschung des „demokratischen Denkens“ in der Weimarer Republik. Es ist bezeichnend, dass Hugo Preuß als Vordenker und „Vater“ der Weimarer Verfassung erst in letzter Zeit gegen Weber neu entdeckt wurde. Dreyers41 „Biografie eines Demokraten“ kann als späte Gegendarstellung und Antwort auf Mommsens Weber-Buch verstanden werden: Friedrich Ebert entschied am 15. November 1918 richtig, Preuß gegen Weber den Vorzug zu geben und zum Staatssekretär des Innern zu ernennen. Preuß stand in Theorie und Praxis weitaus vorbehaltloser und unproblematischer für den liberaldemokratischen Verfassungsstandard; er war ein prädestinierter „Verfassungsvater“. Solche Wiederentdeckungen des liberaldemokratischen Diskurses der Weimarer Republik kamen aber reichlich verspätet. Lange dominierte die Krisenoptik vom Ende her.

      Nach 1968 verlagerte sich die bundesdeutsche Vergangenheitspolitik im Zuge der neuen Ostpolitik und des differenzierten Systemvergleichs auf den langsamen Abschied vom Totalitarismustheorem und die Betonung eines deutschen „Sonderwegs“ und „Zivilisationsbruchs“ im Nationalsozialismus. Der Kontrapunkt, den Ernst Nolte42 als Erbe des Totalitarismustheorems dagegen mit seiner Betonung der europäischen Dimension des Faschismus und des europäischen „Weltbürgerkriegs“ setzte, war im sog. „Historikerstreit“ – Ende der 1980er Jahre und vor dem Mauerfall – noch heftig umstritten. Nach 1989 wurde mit dem Ende des „Kalten Krieges“ dann aber vom linksliberalen Sonderwegsnarrativ auf relative Normalisierungs- und Glücksgeschichten des nationalgeschichtlichen Kampfes um „Einheit und Freiheit“43 umgestellt. Die starken Modernisierungs- und Verwestlichungslegenden gerieten dabei verstärkt unter geschichtsphilosophischen Determinismusverdacht.

      Mit dem Mauerfall weitete sich der historische Fokus erneut europäisch und die politischen Koordinaten gerieten ins Wanken. Wer nach 1989 hoffte, dass der liberaldemokratische Standard sich weltweit durchsetzen würde, wurde spätestens seit den Entwicklungen nach dem 11. September 2001 herb enttäuscht. Demokratisierungsmissionen und -projekte scheiterten nicht nur in Afghanistan und dem Irak. China stieg zur Industrienation und Weltmacht auf, die die Hegemonie der USA für das 21. Jahrhundert zu beerben scheint, ohne nach einem liberaldemokratischen Modell zu СКАЧАТЬ