Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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СКАЧАТЬ in der Stadt hatte, könnte die Entscheidung begünstigt haben. Die Aussage Crottoginis, man sei normalerweise gefragt worden, wohin bzw. was man wollte, traf für ihn dann zumindest bei der Wahl der Studienfächer zu. Die einzige Auflage war gewesen, einen Abschluss zu erwerben, der ihn als Lehrer qualifizierte.

      In seinem ersten Semester an der Universität Fribourg besuchte Crottogini Veranstaltungen in verschiedenen Fachbereichen, bevor er sich im zweiten Semester auf seine Hauptfächer festlegte. Aus Interesse wählte er Pädagogische Psychologie/Berufspsychologie und Heilpädagogik zu seinen Hauptfächern.83 Als Nebenfächer belegte er Deutsche Literatur und Geschichte, um auch Schulfächer abzudecken. Entgegen seiner anfänglichen Lustlosigkeit am Studium war er aber nach wenigen Monaten von seinen Studienfächern – vor allem von der Berufspsychologie – fasziniert.84 Das Studium verlief problemlos und unspektakulär.85

      Mit der Wahl der Hauptfächer fand er auf Anregung einer seiner Professoren auch schon im zweiten Semester sein Dissertationsthema.86 Léon Walther87, Professor für Arbeits- und Berufspsychologie am Pädagogischen Institut der Universität Fribourg, gab Crottogini den „ersten Anstoß und wertvolle Anregungen“88, im Bereich der Berufsgenese von Priestern zu promovieren und half ihm bei der Ausarbeitung. Walther hatte zuvor selbst eine Arbeit über die Berufsmotivation reformierter Pfarrer verfasst und befasste sich seinerzeit mit den Motivationen angehender Ordensschwestern. In diesem Kontext kam Crottogini „die Idee, eine ähnliche Untersuchung für Priesteramtskandidaten durchzuführen. Mich interessierte allerdings dabei nicht nur ihre Berufsmotivation, ich wollte vielmehr auch den Einflussbedingungen der Genese ihres Berufswunsches nachspüren.“89

      Zum Wintersemester 1952/53 begann er mit den empirischen Erhebungen für sein Dissertationsprojekt. Hierfür musste er viel reisen, um anhand eines von ihm entwickelten Fragebogens in der Schweiz, in Deutschland und auch in Randgebieten Frankreichs Seminaristen zu ihrer Berufsmotivation zu befragen. „Das Hauptanliegen [der Dissertation; J. S.] ist die Erforschung der empirisch faßbaren Faktoren, die bei der Wahl des Priesterberufes von Bedeutung sind.“90 Aber auch nach seiner Rückkehr war sein Projekt noch immer sehr arbeitsintensiv. So arbeitete Crottogini „[n]achts […] damals […] bis morgens 02.00 Uhr durch[] und [feierte] um 06.00 Uhr schon wieder mit den Schwestern des Kantonsspitals die Frühmesse“91.

      Schließlich reichte er seine Dissertation mit dem Titel Die Wahl des Priesterberufes als psychologisch-pädagogisches Problem im Frühjahr 1954 bei dem katholischen Erstgutachter Prof. Eduard Montalta92 ein, weil es Walther als Protestant am „letzte[n] Verständnis für [die] tiefere Wirklichkeit des Priesterberufes“93 gefehlt habe. Bei Montalta hatte Crottogini zuvor Vorlesungen in der Heilpädagogik und der Kinder- und Jugendpsychologie gehört.94 Seine letzte Prüfung an der Universität legte Crottogini am 15. Mai 1954 ab. Über den Abschluss seines Studiums berichtete er seinem Generaloberen Blatter: „Es ist alles weit besser gegangen, als ich zu hoffen wagte. Sowohl für die schriftliche wie mündliche Arbeit erhielt ich ein Summa cum laude.“95 Nachdem die Anzahl der Pflichtexemplare erst von 50 auf 30 reduziert worden war96, hatte der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät Crottogini 1956 von der Ablieferung der Pflichtexemplare ausnahmsweise gänzlich befreit.97 Die Exemplare waren zwar bereits gedruckt, durften aber aufgrund eines Publikationsverbots vom Hl. Stuhl nicht verbreitet werden. Der Abschluss des Promotionsverfahrens verzögerte sich entsprechend, weshalb er seine offizielle Doktorurkunde erst im Sommer 1956 erhielt.

      Nach seinen Prüfungen kehrte Crottogini im Herbst an das Progymnasium Rebstein zurück, wo er erneut als Lehrer und Präfekt eingesetzt wurde. Er übernahm die Aufgabe im Gehorsam, ließ seinen Oberen aber wissen, dass weiterhin die Mission sein Ziel war:

      „Ich freue mich, wieder eine konkretere Arbeit leisten zu dürfen. Noch lieber als Rebstein wäre ich nach Japan gezogen. Sie wissen ja darum. Denken Sie bitte daran, wenn sich diesbezüglich in Japan plötzlich eine dringende Notwendigkeit ergeben sollte. Augenblicklich würde ich mich für einen solchen Wechsel noch für fähig halten. In zwei, drei Jahren wird das kaum mehr der Fall sein.“98

      Über sein Empfinden am Gymnasium berichtete er dem Verleger seiner Dissertation Oscar Bettschart: „Ich habe hier in Rebstein als Präfekt über hundert Boys im besten Flegelalter zu bändigen und das ist neben der Schule und den vielen Aushilfen eine so ermüdende Angelegenheit, dass ich vorderhand zu gar nichts mehr komme, geschweige denn zu einer soliden wissenschaftlichen Arbeit.“99 In den nächsten beiden Jahren änderte sich daran nichts, vielmehr berichtete Crottogini im April 1956: „Gegenwärtig haben wir 124 Boys hier. Damit ist das Haus bis auf den letzten Platz besetzt.“100 Eine Änderung war für Crottogini erst absehbar, als er Josef Böhler, den bisherigen Novizenmeister, im Missionsseminar der SMB in Schöneck ablösen sollte.

      Der Generalobere Blatter hatte ihn schon früher zu einer Einwilligung gedrängt, dieses Amt zu übernehmen, doch hatte Crottogini ursprünglich noch ein paar Bedingungen aushandeln können: Er hatte gefordert, ihm zur Vorbereitung vorab „ein Jahr zur spirituellen Vertiefung in Bibeltheologie und Katechetik“101 zuzugestehen. Ein solches Studienjahr, das er in München oder Paris hatte verbringen wollen, wurde ihm zunächst auch zugesagt.102 Gründe für eine abrupte Übergabe des Amtes nannte Crottogini keine, doch beschrieb er, „[v]öllig überrascht musste ich von einem Tag auf den anderen P. Josef Böhler […] ablösen.“103 Das vereinbarte Jahr zur Vertiefung seiner Studien trat Crottogini so nie an. Nur knapp eine Woche nachdem er seinem ehemaligen Lehrer Bischof Caminada noch von seinen Plänen berichtet hatte, gratulierte ihm bereits sein Mitbruder Fridolin Stöckli zu seiner neuen Aufgabe als Novizenmeister.104

      Crottogini war über seine neue Tätigkeit hingegen nicht glücklich. Bis 1967 war er schließlich als Novizenmeister tätig und von „Jahr zu Jahr hat [ihn] diese Verantwortung mehr belastet.“105 Seine als defizitär empfundene eigene theologische und auch spirituelle Ausbildung sorgte ihn, aber auch die festgefahrenen Strukturen in der Ausbildung und im Umgang mit den Novizen waren ihm zuwider. Aus psychologischer Sicht sei ihm die reglementierte Tagesordnung wie ein „Kindergartenprogramm“106 vorgekommen:

      „Die jungen Männer, die sich nach der Matura oder nach einer abgeschlossenen Berufslehre für die SMB interessierten, wurden mit dem Eintritt ins Noviziat von den gefährlichen Einflüssen des Weltgeschehens ausserhalb des Seminars fast hermetisch abgeschirmt. Offiziell gab es für sie keine Zeitungen, kein Radio, keine TV. In der für sie zugänglichen Hausbibliothek gab es keine Belletristik, nur harmlose theologische und aszetische Literatur. Der persönliche Kontakt mit Außenstehenden, vor allem mit Frauen, wurde auf ein Minimum reduziert. Die kleinste Änderung dieser Tradition stiess anfänglich bei der Seminarleitung […] auf harte Kritik. […] Von Jahr zu Jahr wurden die persönlichen, religiösen und beruflichen Probleme der jungen Männer drängender. Die Berufsentscheidung, zu der sie im Laufe des Jahres und dann vor allem während der Grossen Exerzitien herausgefordert wurden, belastete sie und mich enorm. Rund die Hälfte der SMB-Aspiranten entschied sich in diesen Wochen für eine andere Berufslaufbahn. Der Abschied vom angestrebten Priester- oder Missionsberuf ist diesen Kandidaten, den im Seminar zurückbleibenden Novizen und auch mir alles andere als leicht gefallen.“107

      Um diesem Druck zu entgehen, bot Crottogini seinem Oberen den Verzicht auf sein Amt an. Sein Oberer lehnte aber ab.108 Kurz vor Ostern 1966, nur wenige Monate nach Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils im Dezember 1965, hatte Crottogini einen Motorradunfall. Seine Verletzungen waren so schwer, dass er vier Monate im Krankenhaus gepflegt werden musste. Gerade in den ersten Tagen waren die Schmerzen sogar so stark, dass er Gott bat, zu sterben.109 Als er nach dem Krankenhausaufenthalt und anschließender Rehabilitation ins Missionsseminar zurückkehrte, stand schon bald das erste Generalkapitel nach dem Konzil an.