Zensur im Dienst des Priesterbildes. Jessica Scheiper
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      Angestoßen wurde die vorliegende Arbeit von einer eher beiläufigen Information in der Habilitationsschrift des Historikers Benjamin Ziemann. In seiner Studie zum Verhältnis von katholischer Kirche und Sozialwissenschaften in den Jahren 1945–1975 erwähnte er eine empirische Dissertation von 1955 über zum Priesterberuf führende Lebensumstände.4 In ihr seien auch „Formen der ‚Berufskrisen‘, in denen Priester ihre Entscheidung zumindest zeitweise substanziell in Frage stellten, und deren Zusammenhang mit dem Zölibat“5 zur Sprache gekommen. Diese Arbeit sei nicht nur schon vor ihrer Veröffentlichung auf erhebliche Resonanz gestoßen, sondern „sofort vom Hl. Offizium verboten“6 worden. Einem interessierten Publikum sei sie gleichwohl im Laufe der Zeit über Umwege zugänglich gemacht worden.7 Auf die Hintergründe des Verbots ging Ziemann nicht weiter ein, obwohl gerade diese sehr spannend gewesen wären. Wie und warum war das Hl. Offizium auf diese Arbeit aufmerksam geworden? Hatte man den Titel denunziert? Was an der Arbeit erschien so gefährlich, dass man glaubte, sie sofort verbieten zu müssen? Und wie ging man konkret und ggf. in welchem Verfahren gegen diese Studie vor?

      „Werden und Krise des Priesterberufes“8, so der Titel der besagten Arbeit, stammt von dem Schweizer Missionspater Jakob Crottogini. Schon ein erster Blick in die heute gängigen Datenbanken und Kataloge verriet, dass das Buch inzwischen in diversen Bibliotheken Europas und antiquarisch problemlos zu erstehen ist. Auch zitiert wurde Crottoginis Arbeit schon.9 Nur Näheres über das Verbot, seine Hintergründe und das Zensurverfahren war kaum auszumachen.10 Eine umfassende Aufarbeitung dieses Zensurfalls lag noch nicht vor. Dabei ist eine Aufarbeitung des Verbots in mehrfacher Hinsicht aktuell bedeutsam: Aus kirchenrechtshistorischer Sicht interessiert die Rekonstruktion des Zensurverfahrens, d. h., wer wann in welchem zeitgeschichtlichen und kirchenpolitischen Rahmen auf welcher rechtlichen Grundlage wie agierte, zumal Crottogini vermutlich einer der letzten Autoren war, dem das Hl. Offizium noch mit einer Indizierung drohte. Aktuell ist das Motiv für die Zensuraktion von besonderem Interesse, nämlich die öffentliche Befassung mit möglichen Problemen - einschließlich sexueller – in der Priesterausbildung. So lassen nicht nur mehrere Reformen der Priesterausbildung11, sondern vor allem die wissenschaftliche Einbeziehung der Seminarerziehung in das Bündel möglicher Ursachen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester den Blick auf diesen Zensurfall richten.12 Zudem kann er ein weiteres Licht auf den amtlichen Umgang mit Ergebnissen empirischer Wissenschaften werfen.

      Das einzige Fundstück, das das Buchverbot ausführlicher, aber dennoch oberflächlich behandelt hat, war ein Artikel von Arnd Bünker und Roger Husistein. Für einen Beitrag in ihrem Sammelband über die Situation der Diözesanpriester in der Schweiz beschäftigten sie sich mit Crottogini, „dem Pionier der empirischen Priesterforschung“13, und hatten ihn 2011, ein Jahr vor seinem Tod, gebeten, ihnen über das Publikationsverbot zu berichten.14 Der Beitrag gelangte nicht über eine Kurzdarstellung des Priesterberufes und Crottoginis Erinnerungen an die Geschehnisse, ebenfalls in komprimierter Form, hinaus. Die Autoren selbst vermuteten als Motiv hinter dem Publikationsverbot die offene Behandlung der Themen Sexualität und Zölibat durch Crottogini sowie seine „ungenügende[n] Kenntnisse und eine oberflächliche Auseinandersetzung mit den Studienergebnissen“15. Weshalb das Publikationsverbot ein gutes Bespiel für die grundsätzlichen Vorbehalte sei, die die katholische Kirche lange Zeit gegenüber einer empirischen Untersuchung der kirchlichen Wahrheit gehegt habe, wie sie behaupteten, begründeten sie nicht.16

      Die Aufarbeitung dieses bislang kaum beachteten Zensurfalls versprach deshalb Potenzial. Die interessierenden Details mussten dafür aber anhand von Quellen erschlossen, untersucht und belegt werden. Ausgangspunkt waren erste Recherchen zum Autor selbst. Crottogini war zwar zu Beginn dieser ersten Arbeiten erst kürzlich verstorben und konnte um kein persönliches Interview mehr gebeten werden, aber sein Nachlass ließ sich ausmachen. Diese Entdeckung erschien vielversprechend: Der zugänglich gemachte Nachlass im Staatsarchiv Luzern gewährte nicht nur einen Blick in die umfangreiche Korrespondenz Crottoginis, sondern enthielt auch Schriftstücke mit ersten chronologischen Überblicken über das Publikationsverbot.17 Bei einer der ersten Anfragen 2013 hieß es, Crottogini habe „persönlich eine [gleichwohl unvollständige] Chronologie und Dokumentation zum Verbot des Werkes zusammengestellt, […] vermutlich in seinen letzten Lebensjahren (2009/2010)“18, weil sich ein Journalist der Schweizerischen Kirchenzeitung (SKZ) für den Zensurfall interessiert habe.19 Allerdings erschien weder in der SKZ noch andernorts ein Artikel über den Verbotsfall. In Crottoginis Nachlass fand sich ein Interview über das Publikationsverbot, das sein Mitbruder P. Fritz Frei 2007 mit ihm geführt hatte.20 Leider waren nur noch Crottoginis Antworten vorhanden, als Erzählung in der dritten Person. Das Interview bot eine kurze Zusammenfassung des Buchverbots und seiner Erfahrungen mit dem Hl. Offizium. „Was heute noch passiert an römischen Massnahmen gegen Theologen“, erinnere daran, „dass die Kirchenleitung den richtigen Umgang noch nicht gefunden hat“21, lautete das Fazit des Interviews.

      Ein weiteres Interview hatte Crottogini 2004 einer Gruppe von vier Studierenden der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Luzern für deren Studienprojekt „Narratives Interview“ gegeben.22 Darin interessierten sich die Studierenden für seine Lebensgeschichte, prägende Erlebnisse und besondere Einflüsse. Zu den Erinnerungen zählte auch das Publikationsverbot, aber auch sie blieben unveröffentlicht und boten keine kritische Auskunft zu dem komplexen Zensurfall.

      Die unerlässliche Grundlage für einen aussagekräftigen Zugriff auf den Zensurfall ist der Nachlass Jakob Crottoginis, der im August 2014 vom Archiv seiner Missionsgesellschaft an das Staatsarchiv in Luzern übergeben wurde,23 und seine gesammelten Korrespondenzen, Entwürfe, Zeitungsartikel, einen selbst verfassten Lebenslauf und eine von ihm selbst angelegte (wenngleich lückenhafte) Dokumentation des Publikationsverbots umfasst. Er besteht zum überwiegenden Teil aus Schreibmaschinenseiten im Format DIN A4, nur einzelne Schriftstücke und Notizen sind handschriftlich und auf kleineren Seiten bzw. Postkarten verfasst.24 Sämtliche Aktenschriftstücke an kirchliche Autoritäten, besonders seinen Churer Bischof, Briefe an seinen Doktorvater an der Universität und an Mitstreiter im Zensurfall sind meist als Abschrift vorhanden. Teilweise finden sich im Nachlass Abschriften seiner Briefe an Freunde und Mitbrüder, oftmals ermöglichen aber auch die Antworten der Korrespondenzpartner eine Rekonstruktion seiner Schreiben. Anhand des Nachlasses gelingen große Teile einer chronologischen Rekonstruktion des Verfahrens. Crottoginis umfangreiche Korrespondenzen und Dokumentationen erlauben zudem einen erhellenden Einblick in das innerkirchliche Klima der 1950er Jahre, skizzieren, wie er seine Rolle in diesem Konflikt sah, und lassen seine persönliche Entwicklung nach dem Verbot erkennen. Der Nachlass zeigt Crottoginis Beurteilung des Zensurverfahrens, seine Kämpfe mit den kirchlichen Autoritäten und seine dadurch ausgelösten Glaubenszweifel. Ergänzt wird der Nachlass von unzähligen Notizen, die Crottogini während des Verbotsverfahrens für seine eigenen Unterlagen anfertigte, ohne dass sie einen direkten Hinweis enthielten, Crottogini könnte selbst geplant haben, sie zu veröffentlichen.25 Gleichwohl finden sich dort auch Selbstzeugnisse, die seit 2002 schon „mit Blick auf die Nachwelt entstanden sind“26. Für Crottoginis erhaltene Schriftwechsel und Notizen, die vor dem Jahr 2002 datieren, ist aber begründet anzunehmen, dass sie nicht vor dem Hintergrund einer geplanten Veröffentlichung entstanden sind. Dafür spricht auch die hohe Zahl an Fehlern in den einzelnen Schriftstücken, von denen Crottogini wohl für eigene Zwecke eine Abschrift anfertigte, und keine Notwendigkeit sah, offensichtliche Tippfehler zu korrigieren.27

      Der Nachlass umfasst nur wenige amtliche Schriftstücke, die nicht von Crottoginis Churer Bischof Caminada stammen. Fast alle involvierten kirchlichen Autoritäten korrespondierten nicht direkt mit ihm, sondern über seinen Bischof bzw. seinen Oberen, entsprechend lagen Crottogini die Schriftstücke auch nie vor. СКАЧАТЬ