Название: Der bessere Mensch
Автор: Georg Haderer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schäfer-Krimi
isbn: 9783852187044
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„War doch nur ein Scherz … darf ich Ihnen vielleicht einen Kaffee machen, Herr Kollege?“
„Lieber wäre mir ein Tee.“
Kurz vor sechs kam Leitner vorbei und berichtete über die Ergebnisse seiner Befragungen. An Feindschaften hatte es Born auf keinen Fall gemangelt. Aber keine der Personen, deren Namen im Laufe der Gespräche gefallen waren und die er anschließend überprüft hatte, entsprach im Entferntesten jemandem, der zu so einem Verbrechen fähig war. Er legte Schäfer eine Liste auf den Schreibtisch, die dieser höflichkeitshalber überflog.
„Was ist mit dem Dings, dem Studenten?“
„Xaver Plank … der kommt morgen Vormittag … sieht das alles offensichtlich sehr entspannt.“
„Na gut … gibt’s von Strasser etwas Neues?“
„Ähm … mir hat er nichts erzählt …“
„Erste Ergebnisse morgen Mittag“, erklärte Bergmann, „bisher hat er nichts gefunden.“
Nachdem Leitner das Büro verlassen hatte, lehnte Schäfer sich zurück und schloss die Augen.
„Wenn wir ehrlich sind, dann haben wir noch gar nichts“, meinte er gähnend, „also nichts, was wir uns nicht zusammenreimen können.“
„Er ist ja auch erst vorgestern umgebracht worden …“
„Stimmt“, gab Schäfer verwundert zu, „kommt mir schon viel länger vor.“
Um sieben verließ er das Kommissariat, um sich mit dem Gerichtspsychiater zu treffen. Wie er es geahnt hatte, war er mit dem Treffen überfordert. Was der Mann aus der vollständigen Zerstörung des Gehirns alles ableiten konnte … der Sitz der Seele in Gehirn oder Herz, Bräuche der Kannibalen, Rituale der Maya, Experimente der Nazis … und wie half ihm das bitte bei der Tätersuche weiter? Schäfer war froh, als ein Kollege des Psychiaters das Lokal betrat und sich zu ihnen an den Tisch setzte. Er bestellte noch ein kleines Bier, um nicht unhöflich zu erscheinen, und ließ die beiden schließlich allein.
6.
Wenn Schäfer länger als zehn Minuten unter der Dusche zubrachte, ohne dass er davor in der Gerichtsmedizin gewesen war … dann, weil ihm die Gedanken durchgingen und er die Zeit vergaß. Weil sich etwas in seinem Kopf eingenistet hatte, das nun still vor sich hinbrütete, ohne dass er wusste, was oder wo genau. Wie diese seltsamen sich drehenden Kreise und Fraktale auf seinem Bildschirmschoner, so ging es da oben zu, zu schnell, um ihre Wege zu verfolgen, zu verwirrt, um daraus einen verwertbaren Zusammenhang herzustellen. Vor allem nicht nach dem, womit er sein Gehirn in den letzten Tagen gefüttert hatte. Auch angestrengtes Nachdenken hilft da wenig, sagte er zu seinem Spiegelbild, davon bekommt man einen hochroten Kopf und die Adern treten einem auf die Schläfen wie den schneidigen Rittern, die das Schwert Excalibur aus dem Fels zu ziehen trachten. Verbissen und selbstsüchtig gelangt man nicht an dieses hehre Ziel, einzig das Vertrauen in die weisen Fügungen der Geschwister Zufall und Schicksal kann einen auf den Thron des Wissens heben. Wohlan, tapferer und selbstloser Junker, nun ran an den Gral.
Als er aus dem Bad ins Wohnzimmer ging, sah er den Regen die Dachfenster herabrinnen. Nichts mit dem Fahrrad. Und obwohl sein Dienstwagen noch vor der Tür stand, beschloss er, die U-Bahn zu nehmen. Der Straßenverkehr und seine üblichen Teilnehmer, zurzeit nichts für sein Gemüt. Den Weg von der Haustür zur U-Bahn legte er im Laufschritt zurück; für einen Regenschirm fühlte er sich noch nicht alt genug.
„Essen Sie das noch?“, fragte er Bergmann, als er ins Büro kam und auf dem Schreibtisch seines Assistenten ein halbes Marzipancroissant liegen sah.
„Eigentlich schon … haben Sie nicht gefrühstückt?“
„Doch, aber offenbar zu wenig.“
„Nehmen Sie’s“, meinte Bergmann seufzend und sah sein Croissant in Sekundenschnelle in Schäfers Mund verschwinden.
„Köschtlich … wo gibt’s die?“, schmatzte Schäfer und ging zur Espressomaschine.
„In der Bäckerei bei der U-Bahn … wie war Ihr Treffen mit dem Psychiater?“
„Mit welchem … ach so … na ja … wenig ergiebig … die sind immer so theoretisch … bei Ihnen was Neues?“
„Ja … Frau Born hat uns ganz wider Erwarten ihren Kalender geschickt … also die Tage, an denen sie am Semmering war …“
„Und?“
„Nichts ‚und‘ … bis jetzt habe ich nichts, womit ich die Daten in Zusammenhang bringen könnte … weder über die schwarze Limousine noch über irgendwelche Besuche …“
„Wo sind die Bankauszüge?“
„Hat Strasser …“, meinte Bergmann, und als er Schäfer zum Telefon greifen sah: „Brauchen Sie gar nicht probieren. Der ist bei der OMV …“
„Was macht er da … Benzin schnüffeln?“
„Born war vor seiner Zeit im Nationalrat dort beschäftigt …“
„Wirklich? Ich habe die immer eher bei den Sozis gesehen …“
„Sind sie auch … deswegen war Born dann auch schnell weg vom Fenster …“
Das Telefon läutete. Plank war eben eingetroffen, der Mann, der in seiner Studentenzeit Borns Wagen mit Säure übergossen hatte; ob sie ihn in den Vernehmungsraum bringen sollten? Nein, ins Besprechungszimmer, bislang war er nur Auskunftgeber. Schäfer trank seinen Kaffee aus, nahm sich einen Notizblock und verließ das Büro.
Wenn der was damit zu tun hat, befördere ich Schreyer zum Leutnant, dachte Schäfer, als er Plank sah. Ein gutmütig wirkender Mann in seinem Alter, weiches Gesicht, lichtes blondes Haar, runde Hornbrille, zerknitterter Leinenanzug … völlig außerhalb des Täterprofils – selbst wenn sie noch kein aussagekräftiges erstellt hatten. Er redete eine knappe Stunde mit dem Mann und ließ ihn wieder gehen. Sein Anschlag auf Borns Auto war nichts als eine zornige, überschießende Reaktion auf dessen damalige Wahlkampagne gewesen. Schäfer erinnerte sich: Die Nationalisten hatten damals Hunderte Anzeigen gegen Unbekannt eingebracht, weil ihre Wahlplakate regelmäßig zerstört worden waren. Was Wunder – Schäfer selbst hatte einmal nach einem Bier zu viel den Faserstift gezückt und Born einen Hitlerbart aufgemalt. Ein Auto mit Säure zu übergießen war zwar etwas gröber – aber nach über zehn Jahren nichts, das eine weitere Ermittlung gegen Plank rechtfertigte. Als Schäfer ihn fragte, ob er sich an irgendeinen Mitstreiter erinnerte, der zu solch einer Tat fähig wäre, verneinte Plank, ohne überhaupt nachgedacht zu haben. Schäfer konnte es ihm nicht verübeln. Vom damaligen Innenminister angestachelt, waren einige Polizisten zu jener Zeit nicht gerade sanft mit den linken Studenten umgegangen. Und jetzt einen von ihnen zur Zusammenarbeit mit ebenjenen zu überreden … keine Chance.
Auf dem Weg zurück ins Büro traf Schäfer mit Strasser zusammen, der mit einem Stapel Unterlagen zu ihnen unterwegs war. Er hatte sich die Füße wund gelaufen und den Mund fusselig geredet, das sah Schäfer seinem stolzen Gesicht an. Erreicht hatte Strasser aber bestimmt so gut wie nichts – sonst hätte er bei erstbester Gelegenheit den Polizeipräsidenten angerufen und sich bei ihm wichtig gemacht; so weit kannte Schäfer den strebsamen Chefinspektor schon.
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