Название: Reiten wir!
Автор: Tommy Krappweis
Издательство: Автор
Жанр: Языкознание
isbn: 9783944180885
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»Die Hohe Schrecke, rund um den Kyffhäuser. Ein alter Wald, ein sehr alter Wald …«
Ich schaute genauer hin. »Aber ich bin allein.«
»Ihr habt die Bäume, den Wald, dessen Hüter ihr seid. Mehr Gesellschaft braucht ihr nicht. Eine große Aufgabe, eine wertvolle Aufgabe. Etwas, das euren Fähigkeiten entgegen kommt.«
In der Vision hatte ich ein glückliches Gesicht. Zufrieden war ich, ruhig. Einen langen Weg vom Forstgehilfen bis zu einem Mann, dem man einen solchen Wald anvertraute … Aber etwas fehlte mir auch hier in meinen Augen. Der Träumer war noch vorhanden, aber er war still, fast friedlich, so als würde er in meiner Seele schlafen. Mein älteres Ich suchte nicht mehr nach den Abenteuern draußen in der Welt, sondern das Rauschen der Blätter, das Spiel der Zweige im Licht der Sonne hatte ihn zufrieden gemacht. Eine Zufriedenheit, die ihn auszufüllen schien – aber nicht das war, was ich mir vom Leben erträumte. Einen Augenblick schien ich mich in dem Anblick verloren zu haben, denn die Stimme des Fremden schreckte mich hoch.
»Wenn ihr soweit seid …«
»Verzaihd, doch war ich versunken in jenen Bildern, die ich im Schein der Laderne zu sehen glaubte. O tempora, o mores. Die Zeit vergeht dem Mohr am schnellsten.«
Wieder huschte dieses eigenartige Lächeln über das Gesicht des Fremden. »Aber ich muss euch warnen. Die erste und die zweite gute Frau, die zu dem kleinen Kind in der Krippe sprachen, meinten es sicher nur gut mit dem Kinde. Was ihr gesehen habt, das war ihre Vorstellung davon, was ihr euch wünschen würdet für ein erfülltes Leben. Die dritte gute Frau hat einen etwas eigenartigen Humor. Oder sagen wir es anders: Sie hat andere Vorstellungen davon, wie das Leben eines Menschen zu verlaufen hat.«
Ich erinnerte mich an einige alte Märchen, in denen die dritte Fee böse Wünsche und Verkündungen über die Menschen aussprach. Würde ich mich selbst krank und siech sehen, von einem Leben gezeichnet, das ich nicht leben wollte? Gefangen in einem tiefen Kerker, ohne Licht und frische Luft, von jenen getrennt, die ich liebte? Oder wurde ich gar zu etwas, das ich selbst zu verabscheuen gelernt hatte – einem Richter ohne Moral oder einem Polizisten ohne Skrupel, der nach vorne hin der Obrigkeit den gebeugten Rücken zeugte, während er hinten mit dem Prügel die kleinen Leute schindete und ihnen den letzten Pfennig aus den Taschen zog? Wollte ich das Bild sehen? Aber was sollte Schlimmeres mir wiederfahren als das, was ich schon erlebt hatte. »Gud«, sagte ich daher nur knapp. Bei einer längeren Erwiderung hätte ich vielleicht versucht, Bedingungen an meinen Wunsch zu knüpfen – wie jene, nur bestimmte Bilder zu zeigen und jene auszublenden, die mir Angst machen würden. Aber was nützte ein Blick in die Zukunft, wenn man nicht bereit war, das volle Maß aus dem Horn des Schicksals zu trinken?
Wieder deutete der Fremde eine kurze Verbeugung an. »Die dritte Fee – das ist eure Bezeichnung, nicht die meine, nehmt euch in Acht – nahm den mittleren Vornamen als Ansatz für ihre Gaben. Morpheus, das ist der Gott des Schlafes und der Träume. Er und seine beiden Brüder – wieder drei; ihr seht, diese Zahl zieht sich durch euer Schicksal – sind Dämonen des Traums, doch nur Morpheus ist der Herr über die Träume der Menschen. Seine Träume sind Botschaften der Götter – der alten Götter, die über Europa herrschten, bevor …« Er schüttelte den Kopf. »Doch das ist nicht Teil meiner Botschaft. Die dritte weise Frau nahm sich Morpheus zum Vorbild. Und so sind es auch Träume, Schäume, Phantasien, die ich euch bieten kann. Schaut.« Er machte eine ausholende Bewegung, und dieses Mal breitete sich die Flamme quer durch den Raum aus.
Auf der Höhlenwand sah ich nicht nur ein Bild, sondern viele Bilder. Ein ausgemergeltes älteres Ich, das sich durch eine Wüste schleppt, über der Geier kreisen, die darauf zu warten scheinen, dass er endlich verdurstet. Eine Kutsche, und mir gegenüber sitzt eine alte Frau, stilecht mit Nachthemd und bunter Schlafmütze angetan. Indianer, rothäutige Wilde, die mit geschwungenen Tomahawks auf mich zu stürmen. Ein Eisenbahnabteil, in der mir ein Mann gegenübersetzt, der mir zur Freude und Unterhaltung seine Gliedmaßen in schier unmögliche Bewegungen verrenkt. Dann ich, klein, nur in der Mitte eines großen Bildes stehend auf einem Schiff, um mich herum ein Hafen, der mich an Bilder aus Ostafrika erinnert. Schwarze Träger helfen mir, mein Gepäck auszuladen. Einer reicht mir einen knotigen Wanderstock, weil ich beim Gehen große Schwierigkeiten habe. Eine riesige Wassersäule, die wenige Schritte vor mir auf einmal aus dem Boden schießt und bis zum Himmel zu wachsen beginnt, bevor sie nach einigen Atemzügen in sich zusammenfällt und unter Hinterlassung eines riesigen Regenbogens im Erdboden verschwindet. Schließlich ich selbst als alter Mann, in einem Lehnstuhl sitzend und eine Pfeife im Mund. Ich trage ein wirklich schlimmes Hemd mit bunten Streifen und dazu einen beigen Cowboyhut auf dem Kopf. Alt sah ich aus und müde. Aber die Augen meines älteren Ichs leuchteten bei jedem Zug an der Pfeife, so als würde ich im Nebel des Tabaks Dinge sehen, die mich an Szenen aus meinem Leben erinnerten.
Kaum hatte ich mir all diese Bilder eingeprägt, als hätten sie sich eingebrannt in meine Erinnerung, waren sie wieder verschwunden.
»Ihr seht«, sagte der Fremde, »die dritte weise Frau hatte einen eigenartigen Humor.«
»Wie meind ihr das?«
»Ich darf nicht deuten, nicht empfehlen, nicht verwerfen, nicht kommentieren. Meine Handreichungen sind nur dazu da, um euch die Auswahl zu lassen. Ich darf nicht wählen, kann nicht wählen. Das ist mein Schicksal, so wie es euer Schicksal ist, wählen zu müssen.«
»Alle droi?«
Der Fremde lachte. »Irgendwie war mir klar, dass ihr diese Frage stellen würdet. Nein, das geht nicht. Ihr könnt nicht alle drei Wünsche haben. Denkt an die Märchen mit den Feen oder an die antiken Sagen. Ihr müsst eine Entscheidung fällen. Und wir wissen beide, dass eine Entscheidung für eine der drei die anderen beiden verprellen wird.«
»Heischd das, dass ich einen dobbelten Fluch auf mich lade, weil ich nur einen Wunsch annehme?«
»Ihr seid kein Prinz oder gar ein Halbgott. Ihr werdet auf jeden Fall ein Leben haben, in dem es immer wieder schwierige und schwere Momente gibt, egal, wie ihr euch entscheidet. Aber ihr habt gesehen, dass trotzdem ein Füllhorn über euch ausgegossen wird. Denn für jeden, der den Zauber einer Fee verpönt, gibt es fünf andere, die genau diesen Zauber annehmen und die Fee beschäftigen. Sie sind dickköpfig und nachtragend und manchmal etwas eigenartig, aber sie sind nicht bösartig.«
Und in diesem Moment war ich bereit, all das zu glauben – eine Welt voll mit Feen, die drei Abgesandte an meine Wiege geschickt hatten. Aber ich merkte auch, dass diese Weltsicht meine Entscheidung zu beeinflussen drohte. Eine Welt voller Zauber, eine Welt voller Wunder – war das nicht das, was mir nur in der dritten Vision beschieden worden war? Wenn ich daran glaubte, dass es möglich war, dann konnte es mir geschehen – mir, Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, gebürtig aus Moritzburg im schönen Königreich Sachsen. Aber wenn ich schon drei Wünsche hatte, unter denen ich mich entscheiden musste, einen für jeden Vornamen – wie mag es da unserem sächsischen König, Friedrich August Albert Anton Ferdinand Joseph Karl Maria Baptist Nepomuk Wilhelm Xaver Georg Fidelis von Sachsen ergangen sein, als er sich entscheiden musste?
Das war Blödsinn. Ich drückte mich nur darum, dem Fremden eine Antwort zu geben. Denn tief in mir spürte ich, dass ich mich längst entschieden hatte.
»Ich will das Abendeuer, ich wähle die Zukunfd mit Siech und Niederlage, mit Hoffnung und Verzweiflung, mit Reisen in ferne Länder mit all den Folgen, die es für mich haben könnde.«
Der Fremde СКАЧАТЬ