Название: Reiten wir!
Автор: Tommy Krappweis
Издательство: Автор
Жанр: Языкознание
isbn: 9783944180885
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»Alles ist in Ordnung!«, sagte sie beruhigend. »Erinnerst du dich an mich? Ihr seid vor ein paar Tagen an unserem Dorf vorbeigekommen.«
Der Junge runzelte die Stirn, dann nickte er matt. Seine Anspannung löste sich ein wenig. »Wie …« Er leckte sich die spröden Lippen und setzte erneut an. »Wie bin ich hierher gekommen?«
»Ich hatte gehofft, dass du uns das erklären könntest«, erwiderte Ellen. »Kannst du mir deinen Namen sagen?«
»Jack«, antwortete der Junge. »Mein Name … ist Jack.« Er versuchte vergeblich, sich aufzurichten und verzog das Gesicht vor Schmerzen, bevor er sich auf die Felle zurücksinken ließ.
»Bleib besser liegen«, erwiderte Ellen. »Du bist noch sehr schwach, aber deine Wunden sind versorgt. Wir haben dich gestern Abend am Dorfrand gefunden. Jemand hat dich auf den Rücken eines Pferdes gebunden. War das der Mann, mit dem du unterwegs warst?«
Jack schüttelte den Kopf. »Nein, der ist –« Er stockte. »Er ist tot«, fuhr er schließlich fort. »Big Surly hat ihn angegriffen. Und dann kam dieser junge Mann … er hat mir das Leben gerettet. Er muss mich zu euch gebracht haben. Wo ist er? Ich will mich bei ihm bedanken.«
Ellen runzelte verwirrt die Stirn. Geduldig hörte sie Jack zu, wie er ihr mit stockender Stimme von der Attacke des Bären berichtete. Als er aber von seiner Rettung erzählte und den Fremden beschrieb, der ihm geholfen hatte, schlug ihr Herz schneller.
Mein Gott, er war es! Nach all der Zeit!
Sie gab sich Mühe, sich ihre Erregung nicht anmerken zu lassen. Doch die Art und Weise, wie der Junge auf dem Krankenlager sie ansah, verriet ihr, dass ihr das nicht besonders gut gelang.
»Du … kennst du ihn?«, fragte er sie.
Ellen holte tief Luft, dann nickte sie. Etwas schien sich in ihrer Kehle zu lösen, und sie blinzelte fest, um nicht vor dem Jungen in Tränen auszubrechen.
»Er war ein Freund. Vor sehr langer Zeit. Damals war ich so jung wie er. Und er – er sah genauso aus, wie du ihn erlebt hast.«
Jack starrte sie aus riesigen Augen an. »Aber das kann doch nicht sein! Wie ist das möglich?«
Sie presste ihre Lippen aufeinander, und nun musste sie doch den Kopf wegdrehen und sich mit der Hand über die Wangen wischen.
»Er … er ist tot, nicht wahr?«, fragte Jack vorsichtig. »Ist er so was wie ein Geist?«
»Wir mochten einander sehr«, antwortete Ellen, »aber es ist meine Schuld, dass er gestorben ist. Er hatte vor vielen Dingen Angst, und ich war sehr eingebildet. Ich nannte ihn einen Feigling, und dass ich nur etwas für jemanden empfinden könnte, der wirkliche Courage besäße.«
Sie sah Jack wieder an, der ihren Blick schweigend und gespannt erwiderte. »Er ließ sich auf eine dumme Mutprobe ein. Sprang von einer hohen Klippe in einen See hinab und kam dabei ums Leben. Die Assiniboines sagen, sie hätten ihn immer wieder einmal in diesen Wäldern gesehen. In der Sprache der Weißen nennen sie ihn Old Faithful.«
Jack zog ein verwirrtes Gesicht, und Ellen fuhr fort: »Den Namen hat er bekommen, weil sie glauben, dass er meine Nähe sucht. Es heißt, dass er all die Jahre über immer noch so jung aussieht, wie zu der Zeit, als er starb. Aber mir selbst ist er nie erschienen, kein einziges Mal.«
»Er hat mir das Leben gerettet«, wiederholte Jack.
Ellen lächelte traurig. »Er erscheint denen, die sich aus Tollkühnheit in große Gefahr bringen, zur Warnung. Aber ich habe noch nie davon gehört, dass er zu jemandem gesprochen hat.«
»Ich bringe dich zu ihr, in Sicherheit, das hat er gesagt!«, brach es aus Jack hervor. Diesmal gelang es ihm trotz seiner Schmerzen, seinen Oberkörper aufzurichten. »Daran erinnere ich mich noch genau.«
Ellen starrte ihn wortlos an. »Versuch dich ein wenig auszuruhen«, sagte sie schließlich und erhob sich. »Ich habe dich für den Moment schon genug aufgeregt. Hast du Verwandte, die wir benachrichtigen können?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Dann bleib so lange bei uns, wie du willst. Du bist hier in Sicherheit, wie er es dir versprochen hat.« Sie lächelte. »Über alles Weitere reden wir, wenn du wieder zu Kräften gekommen bist.«
Der Junge auf dem Krankenlager sah aus, als ob ihm noch viele Fragen auf der Zunge brannten, die er aber aus Erschöpfung hintenan stellte. Er bettete seinen Kopf zurück auf die Felle.
Ellen verließ ihr Tipi. Noch war die Morgendämmerung nicht angebrochen. Sie erreichte den Rand der Siedlung und blickte nach Osten, wo sich in der Dunkelheit die von dichten Wäldern bewachsenen Höhenzüge Montanas verbargen.
»Tom«, flüsterte sie kaum vernehmbar. »Ich habe dich nie vergessen. All die langen Jahre über hast du dich anderen gezeigt, niemals mir. Sie hätten dich nicht beschreiben müssen. Ich habe dein Aussehen immer noch genau vor Augen.«
Sie hielt inne. »Aber du hast diesen Jungen zu mir geschickt, damit ich mich um ihn kümmere. Bedeutet das, dass es endlich so weit ist? Dass du mir verzeihst? Hast du deinen Frieden gefunden?«
Es erklang keine Antwort. Nur ein leichter Wind war aufgekommen, der wispernd durchs Gras fuhr und die Morgendämmerung ankündigte. Für Ellen klang er wie ein einziges, kaum vernehmbares Wort.
Vergebung.
DER GEIST DES LANGEN ERKENNENS
HERMANN RITTER
Mein Kopf schmerzte schrecklich. Vor mir tanzten bunte Lichter. Ich versuchte, mich auf sie zu konzentrieren. Dabei stellte ich fest, dass die Lichter auf der Innenseite meiner Lider tanzten. Meine Augen waren fest geschlossen. Vorsichtig öffnete ich sie. Ich blinzelte einmal, dann noch einmal. Es war stockdunkel um mich herum. Ich schloss die Augen erneut.
In meinem Mund schmeckte ich Metall. Voller Freude stellte ich fest, dass ich meine Hände bewegen konnte. Langsam schob ich den rechten Zeigefinger in den Mund. Beim Abtasten meiner Zähne stellte ich fest, dass ich mir in das Zahnfleisch gebissen hatte. In meinem Mund war Blut. Aber meine Zähne waren alle noch in Ordnung.
Mit der rechten Hand suchte ich nach einer Stütze. Ich fand kalten Steinboden. So aufgestützt, drehte ich mich ein wenig nach links, wobei mein Kopf wieder anfing zu schmerzen. Mit einem lauten Röcheln zog ich den Schleim aus dem Hals hoch und spuckte einen beeindruckend großen Schleim-Blut-Klumpen aus. Leider konnte ich nicht sehen, wo ich ihn hinspuckte.
Es war Zeit für eine Bestandsaufnahme. Um mich herum war es hoffentlich dunkel – sonst hatte ich mein Augenlicht verloren, was eine viel schlimmere Vorstellung war. Konnte man blind noch Lichter in den Lidern sehen? Ich wusste es nicht, setzte es aber die Liste der Dinge, die ich bei Gelegenheit mal in der Leihbibliothek nachlesen musste. Oder den Schulmeister СКАЧАТЬ