Reiten wir!. Tommy Krappweis
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Название: Reiten wir!

Автор: Tommy Krappweis

Издательство: Автор

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783944180885

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СКАЧАТЬ mich nur selbst abzulenken, um über die Möglichkeit einer Erblindung nicht nachdenken zu müssen. Meine Bestandsaufnahme schritt weiter voran. Meine Beine waren voller blauer Flecken und Abschürfungen, soweit ich das ertasten konnte. Meine Arme fühlten sich an, als hätte ich versucht, an einem Seil hinter einer Kutsche hergezogen zu werden, während diese die Straße zum Jagdforst hinauf jagte. Auf meinem Kopf hatte ich mindestens eine Beule, die aber erklärte, warum ich mich nicht erinnern konnte, wie ich hierhergekommen war.

      Auf einmal konnte ich mich an die Straße in den Jagdforst erinnern. Der Friedewald mit seinen langen Schneisen, die wie mit einem warmen Messer durch kalte Butter in den Forst geschnitten worden waren. Ich war auf dem Weg zum Hellhaus gewesen. Warum eigentlich? Ich versuchte mich auf diese Frage zu konzentrieren, aber in meinem mürben Gehirn gab es keine befriedigende Antwort.

      Eine Abkürzung. Auf einmal fiel es mir wieder ein: Ich hatte eine Abkürzung durch den Wald ausprobieren wollen. Irgendwie quer durch den Wald, an ein paar Wegmarken vorbei, um Zeit zu sparen. Hatte ich nicht noch überlegt, ob ich aufpassen müsse wegen des schlechten Lichts? Hatte ich nicht noch bei mir gedacht, dass es im Herbst doch früher dunkel wurde, als im Sommer und dass ich mich beeilen müsste, um bei guten Licht mein Ziel zu erreichen?

      Was war es gewesen, weswegen ich gestolpert und gefallen war? An welchem Ort hatte mein Weg ein jähes Ende genommen? Am alten Tunnel an der Hohen Burg? Oder lag ich im Rübenkeller oder gar im Eiskeller des Tiergartens? War ich gar in einen der Abflüsse gefallen, deren ummauerte Eingänge immer wieder wie offene Schlünde im Waldboden auftauchten?

      »Nein. Es war keine von diesen Höhlen.«

      Ich erschrak bis in das Mark hinein. Entweder, ich hatte laut gesprochen oder ich fing an, mir Stimmen einzubilden. Beides ließ darauf schließen, dass meine Kopfverletzung schlimmer war, als ich bis jetzt vermutet hatte. Oder war ich nicht nur blind, sondern auch verrückt?

      »Nein. Es ist keines von beiden.«

      Wieder diese Stimme. Doch dieses Mal war ich weniger überrascht als bei ihrem ersten Erklingen. Sie hatte einen tiefen, sonoren Klang, hörte sich eher wie der Pfarrer an, wenn dieser einen guten Tag hatte. Was, unter uns bemerkte, selten genug vorkam. Aber nein, das war es nicht. Es war nicht nur die Stimmlage, die angenehm klang, anders als bei der Predigt in der Kirche. Es war der Dialekt, die Grundsprache, die einer anderen Melodie zu folgen schien als mein eigener Dialekt. Während ich oft das Gefühl hatte, dass meine Art, das Deutsch auszusprechen, ein wenig langsam, ein wenig gemächlich klang, war es hier ein härteres Deutsch, mit klareren Vokalen und kürzeren Konsonanten, die wie ein Scherenschnitt viel mehr Kontur zeigten, dabei aber ganz viel Farbe und damit auch Wärme vermissen ließen. Das war nicht die Sprache, die im Wirtshaus oder in der Kirche gesprochen wurde. Das hier war reines, fast schon fehlerfreies Hochdeutsch. Wenn ich schon den Verstand verlor – warum sprach der Irrsinn nicht Sächsisch?

      Vorsichtig versuchte ich, ein Auge halb zu öffnen. Es dauerte einen Moment, bis ich mich entscheiden konnte, ob das Licht von außen kam oder immer noch flackernde Irritationen auf der Innenseite der Lider mein Sehvermögen trogen. Aber da war etwas: Ich konnte sehen. Es war erst ein flackerndes Licht, dann zogen sich die Ränder der Wahrnehmung zusammen, die Bilder wurden schärfer. Es handelte sich um eine Laterne, oder eher ein Windlicht. Denn die Lichtquelle war eine Kerze, nicht etwa Gas. Die Kerze brannte hinter einer Glasscheibe der Laterne ruhig und still vor sich hin. Von ihr ging ein milder Schein aus, der aber nicht stark genug war, um mir zu zeigen, wo ich mich befand. Und den Ursprung der Stimme, mit der ich mich eben unterhalten hatte, konnte ich ebenso wenig ausmachen.

      Dabei war es keine echte Unterhaltung gewesen. Ich hatte doch nur gedacht, was ich sagen wollte, und hatte darauf eine Antwort erhalten. War das alles hier ein Alp, und ich lag verschwitzt in meinem Bett und wartete darauf, dass ich morgen wieder hinaus musste in den Forst? Oder lag ich im Sterben, den Schädel zerschlagen auf dem Boden einer Höhle oder eines Schachtes, irgendwo zwischen daheim und der Helle?

      »Nein. Du bist nicht tot oder verrückt, auch wenn es dir so erscheinen mag.«

      Das war jetzt das dritte Mal, dass ich diese Stimme gehört hatte. Und irgendwo tief in mir drin entschloss ich mich dazu, dass ich nicht verrückt und schon gar nicht tot war. Es musste eine Erklärung geben, die vernünftig war und alle Fakten einschloss. Aber um eine Erklärung zu erhalten, musste ich mich umschauen können. Jetzt gab es um mich herum Licht, wenn auch nur den Schein einer Kerze in einer Laterne. Außerdem befand sich jemand in meiner Nähe, der sich mit mir unterhielt. Ob ich im Moment alleine in der Lage wäre, mich irgendwohin zu bewegen, oder ob meine zerschlagenen Beine und aufgeschürften Knie nicht sowieso der Hilfe bedürften, wollte ich nicht diskutieren. Als Allererstes brauchte ich Klarheit. Um den letzten Zweifel in den hintersten Winkeln meines Bewusstseins auszuschließen, dass ich vielleicht doch wahnsinnig geworden war, musste ich diesen kleinen Finger ergreifen, den die Realität mir entgegenstreckte, und mich an ihm entlang in die Wirklichkeit begeben.

      Ich drückte mich wieder auf meinen rechten Unterarm auf. Doch dieses Mal tat ich es, um in eine sitzende Stellung zu gelangen. Das Wirbeln in meinem Schädel war wieder da, doch nicht so stark wie beim ersten Mal. Also gab es doch so etwas wie eine Heilung und damit eine Hoffnung für mich.

      Endlich saß ich leidlich stabil aufrecht. Dann war es an einem neuen Versuch, meine Augen zu öffnen. Wieder dauerte es eine Weile, bis sich die Ränder der Gegenstände zusammenzogen und netterweise die Farben annahmen, die ich ihnen auch zuzuordnen bereit war. Es war komisch, in eine Flamme zu schauen, die erst grün, dann blau war. Oder eine Laterne zu betrachten, die anfangs wie ein Regenbogen schillerte, um dann doch zu einer Oberfläche mit einem polierten Metallton zu werden, der sich nach einigen Veränderungen auch darauf einzupendeln schien, ein Metallton zu bleiben.

      Vorsichtig drehte ich den Kopf nach links und rechts. Ich räusperte mich. »Hallö?«

      Ein Räuspern antwortete mir. Hinter der Laterne bewegte sich etwas. Gebannt hielt ich den Blick darauf gerichtet, obwohl ich nicht wusste, ob ich vor dem, was ich gleich erblicken würde, Angst haben müsste. Ein großer Mann trat in den Lichtkreis der Laterne. Er trug Stulpenstiefel bis unter die Knie. Die Stulpen sahen abgenutzt aus, so als sei der Mann einen sehr langen Weg mit ihnen gegangen. Darüber trug er eine dunkle Hose und ein helles Hemd mit einer eigenartigen, farbigen Bordüre als Abschluss am Hals. Diese Mode war mir unbekannt, aber es stand ihm ausnehmend. Um den Leib trug er einen breiten Gürtel mit einer Schließe, die so aussah, als würde sie eine Schlange darstellen, die sich selbst in den Schwanz biss. Das Material konnte ich nicht erkennen – Stahl, Silber gar? Mein Blick wanderte höher. Das Gesicht war das eines mittelalten Mannes. Die Haare waren von grauen Strähnen durchzogen und bildeten nun das, was meine Mutter früher »Pfeffer und Salz« genannt hatte, wenn sie Männer beschreiben musste, welche noch Haare hatten, aber diese dann in jener beschriebenen Farbkombination des heranschreitenden Alters. Der Schnitt der Frisur war herkömmlich. Die Haare fielen gerade noch über die Ohren. Die Nase des Mannes war gerade, fast schon klassisch. Sie bestimmte das Gesicht, gab ihm einen aristokratischen Anstrich. Ich ließ meinen Blick weiter wandern und war erschrocken von der Intensität des Blicks aus diesen Augen. Die Farbe war schwer zu beschreiben; wenn ich nicht sicher gewusst hätte, dass es keine Menschen mit grauen Augen gibt, so hätte ich jetzt zu zweifeln begonnen, denn die Augen dieses Mannes waren im Licht der Laterne eindeutig grau. Ich schob es auf das ungünstige Licht, damit ich nicht länger darüber nachgrübeln musste.

      Immerhin konnte ich mir jetzt beruhigend einreden, dass ich entweder nicht verrückt war oder in einer Verrücktheit gefangen war, deren Detailreichtum sicher mit der echten Welt konkurrieren konnte. Wobei mir dann nicht klar war, aus welchen tiefen Pfuhlen der Erinnerung oder Imagination dieser Mann aufgestiegen sein sollte. Ich schaute erneut in das Gesicht. Ein Lächeln schien die Lippen zu umspielen.

      »Guden Dag!«, versuchte ich es mit Höflichkeit.

      Der СКАЧАТЬ