Paul McCartney - Die Biografie. Peter Ames Carlin
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СКАЧАТЬ der Regel, dass er eigentlich Verben hatte konjugieren lassen wollen. Wenn Paul dann die Sprache auf die Kampagne des Deutschlehrers brachte, der bei der Stadt Liverpool mehr Rechte für Fußgänger durchsetzen wollte, war die Stunde meist so gut wie gelaufen. Für Evans, der Paul im Unterricht, aber auch im einwöchigen Pfadfinderlager während der Sommerferien erlebte, war der charismatische Junge ein lebender Widerspruch. Er war, so Evans, „ein konformistischer Rebell“13, ein Bilderstürmer, dessen sanfter Spott teilweise überdecken sollte, dass er im Grunde fest an die althergebrachte Ordnung glaubte. Zumindest insoweit, als sie ihm nicht in die Quere kam.

      „Viele Leute mochten die Schule nicht“14, erinnerte sich Paul in den frühen Neunzigern. „Ich war ebenfalls nicht besonders begeistert, aber ich fand sie auch nicht gerade schrecklich. Ein paar Sachen gefielen mir sogar sehr gut. Was mir jedoch nicht gefiel, war, dass man mir ständig sagte, was ich tun sollte.“

      Meistens lief aber alles so, wie Paul es sich dachte. 1955 zogen Jim und Mary mit ihren Jungs in ein Haus der neu errichteten Arbeitersiedlung an der Forthlin Road in Allerton, einem Vorort nordwestlich von Speke, der wieder näher zur Liverpooler Innenstadt gelegen war. Die Häuser gehörten der Gemeinde, und die subventionierte Miete belief sich auf 1 Pfund 6 Schilling die Woche – äußerst günstig für ein ordentliches Reihenhaus mit Ziegelfassade, das drei Schlafzimmer, ein sonniges Wohnzimmer mit Fenstern nach Osten und eine moderne Küche besaß, in der sogar genug Platz für eine Waschmaschine war. Der größte Luxus befand sich jedoch im Obergeschoss: eine Toilette im Haus, direkt gegenüber dem Badezimmer. Jim pflanzte Lavendelbüsche in den Vorgarten (er trocknete die Blüten, und Mary tat sie in kleine Säckchen, die sie überall im Haus versteckte, damit die Wohnung gut roch), und die Abendsonne ruhte auf der Rasenfläche des Gartens, in dem zwei Liegestühle zum Ausruhen einluden. Die Familie zog zu Beginn des Sommers dort ein, als sie gerade die Nachricht erhalten hatten, dass auch Mike beim 11-Plus-Examen unerwartet gute Ergebnisse erreicht hatte. Nun würden beide McCartney-Jungen das Liverpool Institute absolvieren.

      Die McCartneys hätten sich wirklich vom Schicksal begünstigt fühlen können. Sie waren zwar immer noch eine Arbeiterklasse-Familie – die Baumwollindustrie erstarkte nie wieder so, dass Jim die Karriere, die er einst so sicher geglaubt hatte, hätte fortsetzen können. Aber Mary verdiente gut, sie hatten ein schönes Zuhause und zwei Söhne, die Anstalten machten, gesellschaftlich aufzusteigen. Dennoch hatte Mary schon fast zehn Jahre lang eine lastende Dunkelheit heraufziehen gefühlt, und im Sommer 1956 spürte sie, dass der Schmerz erneut in ihr aufstieg.

      Sie fühlte ihn nun tief in ihrem Körper, so heftig, dass sie sich zusammenkrümmen musste, die Hände gegen die schmerzende Brust gelegt. Eines Nachmittags, kurz nachdem er am Liverpool Institute angefangen hatte, lief Mike die Treppe zu seinem Zimmer empor und sah seine Mutter weinend auf dem Bett sitzen, in einer Hand ein Kruzifix, im anderen das Porträt eines Verwandten, der katholischer Priester geworden war.

      „Was ist los, Mum?“, fragte er.

      Mary hob schnell den Kopf und wischte sich die Tränen weg. „Nichts, mein Liebling.“15

      Bei der nächsten Untersuchung in der Klinik zeigten die Röntgenaufnahmen, dass der Krebs sich ausgebreitet und andere lebenswichtige Organe befallen hatte. Man konnte nichts mehr tun, außer, das Unvermeidliche noch ein wenig hinauszuzögern. Eine Brustamputation würde die Krankheit vielleicht eine Weile zum Stillstand bringen – für Wochen, vielleicht auch für Monate. Würde sie den nächsten Frühling noch erleben? Vielleicht, aber nur, wenn sie die Operation sofort durchführen ließ.

      Der Eingriff fand am 30. Oktober statt. Mary blieb ein Tag Zeit, um sich darauf vorzubereiten. Sie machte den Jungen Frühstück und putzte danach von oben bis unten das Haus. Sie wusch ab, fegte alle Böden, machte die Betten der Jungen, wusch und bügelte die Schulkleidung für den nächsten Morgen, bevor sie die Sachen wie immer ans Fußende der Betten legte. Ihre Schwester Dill brachte sie am Nachmittag ins Krankenhaus und schüttelte den Kopf, als sie sah, dass Mary so geschuftet hatte, obwohl die Ärzte sie angewiesen hatten, sich vor der Operation auszuruhen. Mary zuckte nur die Achseln. Es musste alles in Ordnung sein, sagte sie, „für den Fall, dass ich nicht wiederkomme.“16

      Am Abend wurde Mary in den Operationssaal gebracht. Der Eingriff dauerte mehrere Stunden, bevor die Ärzte schließlich erklärten, dass alles gut gegangen sei. Aber die Krankheit hatte ihren Körper bereits zu sehr geschwächt, und sie hatte nicht mehr die Kraft zur Genesung. Mary erwachte am Morgen, aber die dunklen Ringe um die Augen sprachen eine deutliche Sprache. Am nächsten Tag fiel ihr Blutdruck, und die Ärzte wussten, dass es mit ihr zu Ende ging.

      Beide Familien, die McCartneys und die Mohins, versammelten sich an ihrem Bett. Jim fuhr zurück in die Forthlin Road und sagte seinen Söhnen, sie könnten ihre Mutter besuchen, müssten sich aber erst Hände und Gesicht waschen und ihre Schuluniform anziehen. Er war sich darüber im Klaren, was ihnen bevorstand, und es kostete ihn große Mühe, sich auf dem Weg zurück ins Krankenhaus zusammenzureißen. Dort angekommen, nahm er seine Schwägerin Dill Mohin beiseite und bat sie nachzuschauen, ob Fingernägel und Ohren der Jungen wirklich sauber waren. Anschließend wurden Paul und Mike den Flur entlang in Marys Krankenzimmer geführt. Sie stützte sich auf einen Ellenbogen, um sie zu begrüßen.

      Mike sprang auf ihr Bett, um sie zu umarmen, und sie versuchte zu lächeln. Beide küssten ihr Gesicht, und sie griff nach ihren Händen. Aber Paul entdeckte einen beängstigenden roten Fleck auf den weißen Laken, und ihm dämmerte allmählich die grauenhafte Wahrheit. „Es war schrecklich“, erinnerte er sich.17

      Mary versuchte nicht zu weinen. Sie sprachen einige Minuten mitein­ander. Noch mehr Küsse und ein schneller Abschied. Paul und Mike berührten ein letztes Mal das Gesicht ihrer Mutter mit ihren Lippen und wurden dann wieder nach Hause gebracht. Eine Stunde später legte ihr der Priester, der das Krankenhaus geleitet hatte, in dem sie gearbeitet hatte, einen Rosenkranz ums Handgelenk und gab ihr die Letzte Ölung. Mary wandte sich zu ihrer Schwester und flüsterte: „Ich hätte die Jungen so gern erwachsen werden sehen.“18

      Pauls lebhafteste Erinnerung an diesen Tag war, dass er im schlimmsten Moment etwas völlig Unpassendes sagte. Die Worte kamen einfach aus seinem Mund, und er konnte sie nicht wieder zurücknehmen. Sie hingen in der Luft und schwelten wie die Trauer in der Tiefe seiner Magengrube.

      Er hatte es nicht so gemeint. Er hatte nicht gewusst, was er hatte sagen sollen. Was konnte man denn auch sagen? Alles andere war wie verschwommen: seine Onkel und Tanten blass und verweint, sein Vater, der so erschüttert war, dass er seinen Söhnen nicht einmal gegenübertreten konnte.

      Eure Mutter … die Ärzte haben getan, was in ihrer Macht stand … ich muss euch leider sagen, dass sie letzte Nacht gestorben ist. Sie ist nun im Himmel bei Gott …

      Keiner der Jungen weinte oder schrie auf. Sie blinzelten vielleicht und nickten. Sie verstanden. Sie würden ein paar Tage bei Onkel Joe und Tante Joan bleiben, weil ihr Vater etwas Zeit brauchte, um allein zu sein. Wollten sie heute noch in die Schule? Ja, das wollten sie, das war ihnen recht. Was hatte ihnen ihr Vater immer gesagt, wenn das Leben hart zuschlug: Weitermarschieren. Und genau das taten sie. Sie stopften sich das Hemd in die Hose und machten sich bereit zum Aufbruch. Und plötzlich fand Paul dann doch einige Worte.

      Was tun wir jetzt bloß ohne ihr Geld?19

      Hatte das jemand gehört? War es jemandem aufgefallen? Wahrscheinlich nicht. Der Einzige, der sich überhaupt daran erinnerte, diese Worte gehört zu haben, war Mike. Der Schock der Ereignisse hatte den jüngsten McCartney so sehr mitgenommen, dass er jahrelang dachte, er selbst hätte es gesagt. „Es war ein blöder Witz“, erinnerte er sich zehn Jahre danach. „Wir haben es beide monatelang bereut.“20

      Es gab so viel zu bedauern. So vieles, das sie vermissten. Marys Abwesenheit ließ das kleine Haus in der Forthlin Road plötzlich riesengroß erscheinen. Der СКАЧАТЬ