Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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       6.2. Die Gründung

      Am 6. Juni 1917 weigerte sich die Mannschaftsbesatzung der Prinzregent Luitpold, das verdorbene Mittagessen abzuholen423. Das Essen wurde bis zum Abend aufbewahrt und dann weggeschüttet, ohne dass die Matrosen etwas anderes bekommen hätten424. Die Beschwerde bei dem 1. Offizier, Korvettenkapitän Herzbruch, verhallte ungehört. Vielmehr schrie Herzbruch die auf Deck versammelten Mannschaften an, sie handelten unpatriotisch425. Der Wunsch nach Aufklärung über die Gründe für das schlechte Essen wies der Offizier barsch zurück426. Im Anschluss an den Streik traf sich Hans Beckers mit Willi Sachse und Max Reichpietsch, um über die Folgen der Auflehnung zu sprechen und den Gedanken einer soldatischen Mitbestimmung bei der Versorgung zu erörtern427. Die wichtige Erfahrung solidarischen Handelns bestärkte die Matrosen, sich weiter zu organisieren428.

      Gegen den verhassten 1. Offizier429 richtete sich dann Ende Juni eine gezielte Aktion. Vor dem kriegsbedingt raschen Kohleaufnehmen in das Schiff schrieben die Matrosen in großen Lettern die Parole »Schafft uns Herzbruch von Bord – dann schlagen wir den Rekord«430 auf den Panzerturm und durchschnitten die Seile der Kohlenkörbe431. Da Herzbruch aber in seiner Stellung verblieb, arbeiteten die Mannschaften langsam und brauchten für das Einladen der rund 800 Tonnen Kohle vier Stunden mehr als vorgesehen432. Die Macht der Offiziere stieß in diesem Fall an ihre Grenzen433.

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      Beim Kohlentrimmen

      Einen Monat später ereignete sich auf dem Flaggschiff Friedrich der Große ein vergleichbarer Vorfall, der die Autorität der Offiziere in Frage stellte434.

      Während eines Nachtschießens aßen die Matrosen das für den Morgen bestimmte Brot auf, ohne zum Frühstück frisches zu erhalten. Daraufhin weigerten sie sich, zum Dienst anzutreten435 und hissten einen alten Wischlappen als Zeichen ihres Protestes436. Durch die Androhung von Waffengewalt versuchte die Schiffsleitung wieder das Kommando zu übernehmen437. Die Matrosen erzielten mit ihrer Weigerung, wieder ihren Dienst zu versehen, einen durchgreifenden Erfolg438. Auch das Zugeständnis einer warmen Mahlzeit werteten die Matrosen als einen Sieg über die Willkür der Offiziere439.

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      Das Schlachtschiff Friedrich der Große

      Mitte des Monats Juli weigerten sich die Heizer auf der Posen verschimmelte Rüben zu essen440. Sie wurden von einem Offizier, der damit drohte, sie aus dem Maschinenraum zu werfen, übel als Schweinehunde beschimpft441. Auf der Moltke führte die unzureichende Ernährung zur totalen Erschöpfung der Heizer, die ihren Dienst nicht mehr durchhielten und »umfallen wie die Fliegen.«442

      Der 1. Offizier der Nürnberg rief den versammelten Mannschaften zu: »Heute haben verschiedene Leute um mehr Brot gebeten. Das gibt es nicht, da müssen sie eben hungern. Sollte einer von ihnen dabei eingehen, so bin ich gern bereit, ihn mit allen Kriegsehren beerdigen zu lassen443.« Derartige Äußerungen der Offiziere sind auch von Beckers überliefert. Sätze wie »der Soldat hat nur das Recht, sich totschießen zu lassen!« oder »Freßt Steine statt Brot«444 waren »stets an der Tagesordnung445

      Zwei weitere Vorfälle auf der Prinzregent Luitpold trugen zum einen dazu bei, den Matrosen zu zeigen, dass sich Widerspruch lohnen konnte. Zum anderen zeigten kleine Erfolge aber auch, dass sich an dem gesamten System nichts änderte.

      Mitte Juli 1917 bereiteten die Schiffsköche eine Suppe, die komplett mit Maden durchsetzt war446. Nach eingehenden Beschwerden untersuchten die Schiffsärzte das Essen und befanden es für ungenießbar447. Als im Zuge des Protestes das Schiff im Kaiser-Wilhelm-Kanal stehen blieb und diesen blockierte, gab es für die Matrosen Brot und Wurst als vollwertiges Mittagessen448. Daraufhin ging die Fahrt ohne Störungen weiter449. Am 19. Juli 1917 bereitete die Küche Dörrkohl anstatt der beanstandeten Steckrüben zu450. Der Kommandant, Kapitän zur See v. Hornhardt, setzte sich dafür ein, die Brotration um täglich 100 Gramm zu erhöhen451.

      Die Essensverweigerung auf der Westfalen Mitte Juli 1917 zog hingegen eine Bestrafung der Mannschaften nach sich452. Die Matrosen der Helgoland widersetzten sich im Juni 1917 dem Befehl, 90 Zentner verdorbenes Mehl zu entladen453. Der verhängte zusätzliche militärische Dienst454 ließ die Verbitterung ebenso wie auf der Rheinland weiter steigen455. Dort mussten die Matrosen in ihrer Freizeit täglich zwei Stunden mit dem Gewehr exerzieren. Als sich der Matrose Calmus darüber empörte und die ungleiche Behandlung auf den Schiffen anprangerte, sagte ihm der Kommandant des Schiffes in schonungsloser Offenheit, was er von seinen Soldaten hielt. »Ob sie verrecken oder nicht, das ist uns egal, die Hauptsache ist die Gefechtsbereitschaft des Schiffes. Leute sind Nebensache, denn die können wir kriegen, soviel wir haben wollen.«456 Für seine als Auflehnung verurteilte Offenheit erhielt Calmus drei Monate Gefängnis457.

      In dieser äußerst zugespitzten Situation waren die Menagekommissionen geeignet, die angestauten Spannungen zu mindern. Sie gingen auf die Äußerung v. Capelles Anfang Juli 1917 zurück, es bestünden auf den Schiffen Kommissionen, in denen Matrosen eine Mitsprache bei der Verpflegung eingeräumt sei458, wie das im Heer bereits seit längerer Zeit der Fall war459.

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      Marine-Staatssekretär Eduard v. Capelle

      Diese Ankündigung deckt sich mit dem Zeitpunkt der Reise Max Reichpietschs nach Berlin, der mit den Abgeordneten der USPD über dieses Thema sprach460. Die Besatzung der Prinzregent Luitpold erfuhr davon ebenso zufällig aus einer Wilhelmshavener Zeitung461 wie die Matrosen der Friedrich der Große462.

      Die Mannschaften setzten die Wahl zu der Menagekommission gegen den Willen Herzbruchs durch463, der sich erst weigerte, über das Thema zu reden und dann erklärte, die Kommandeure der Hochseeflotte seien nicht zuständig464. Generell waren die Schiffsleitungen von den neuen Kommissionen wenig erbaut465. Sie versuchten sie auch mit der Begründung zu verhindern, Beschlüsse irgendwelcher Minister in Berlin, die ihre Kommandogewalt untergraben würden466, gingen sie gar nichts an467. Auf der Helgoland ernannten noch Offiziere die Mitglieder der ersten Menagekommission468, mussten aber bald dem Drängen der Mannschaften nachgeben469.

      Offiziell genehmigte Admiral Scheer die Mannschaftsverpflegungsausschüsse im Juli 1917470. Die Matrosen konnten in ihrer konkreten Arbeit Verschiebungen aufdecken und verlangten für die Überprüfung der Bestände Einsicht in Proviantbestandsbücher471. Da dieses Gremium zuerst auf der Baden472 und bald auf den Schiffen Friedrich der Große, Kaiser, Kaiserin, König Albert, Rheinland, Westfalen und Pillau bestand, verfügten die Soldaten über eine ideale Möglichkeit, sich ohne Wissen der jeweiligen Kommandanten auszutauschen473. Auf dem Flaggschiff Friedrich der Große setzten sich Weber, Sachse und Reichpietsch für die Bildung der Menagekommission ein und galten bald als zentrale Ansprechpartner in Sachen Beschwerdewesen474. In der Tat gelang es durch die Arbeit der Kommission, das Essen auf den Schiffen zu verbessern475.

      Diese Ereignisse des Juli 1917 zeigen, dass die СКАЧАТЬ