Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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СКАЧАТЬ Essen weiter klaglos bieten zu lassen, gesunken war. Um aber aus diesen ersten Protesten heraus eine politische Bewegung entstehen zu lassen, bedurfte es einer Organisation. Mit den von dem Marinestaatssekretär genehmigten Menagekommissionen war ein Gremium geschaffen worden, in dem sich die Matrosen organisieren und ihre Forderungen nach Frieden durch Taten umsetzen konnten476. Den sozialdemokratisch und sozialistisch gesinnten Matrosen gelang es, ihre Vertrauensleute in die Menagekommission zu wählen477. Sie nutzten die Kommissionen umgehend zu politischen Zwecken478. Die Arbeit in den Menagekommissionen war somit die erste politische Bewährungsprobe479. Nach Walter Beling bestand »unter der Tarnung von Menagekommissionen ein umfassendes revolutionäres Vertrauensmännersystem480«, das in kleinen Zellen aktiv war481. Willi Weber sagte, die Kommission habe ihm wiederholt als Vorwand gedient, politische Angelegenheiten zu erörtern482.

      Willi Sachse und Max Reichpietsch besprachen das neue Vertrauensmännersystem wiederholt mit Wilhelm Sens und Alfred Herre. Ob die USPD in Berlin über die konkrete Entwicklung informiert wurde, kann nicht abschließend geklärt werden. Nach Willi Sachse bestand zumindest die Möglichkeit, dass Informationen über Kurt Pallavicini in die Hauptstadt gelangten483.

      Allerdings waren in den Menagekommissionen auch Matrosen vertreten, die sich der Politik enthielten. Die Matrosen Bieber von der Helgoland und Schneider von dem Flaggschiff Friedrich der Große betonten ausdrücklich, nur an den wirtschaftlichen Aspekten innerhalb der Menagekommissionen interessiert gewesen zu sein484. Auch für Richard Stumpf bestand ihre Funktion nur in der Verbesserung des Essens ohne jeglichen politischen Aspekt485. Der auf den Schiffen noch anzutreffende Gegensatz zwischen Heizern und Matrosen trug zur erschwerten Bildung der Menagekommissionen bei486.

      Max Reichpietsch verfasste ein politisches Rundschreiben an alle Schiffsgruppen, das einen Bezug zwischen der russischen Revolution und den Menagekommissionen herstellte: »Wir müssen den Leuten klarmachen, daß die Menagekommissionen der erste Schritt zur Bildung von Matrosenräten nach russischem Muster sind.«487 Daher liegt die eigentliche Bedeutung der Menagekommissionen in der organisatorischen Grundlage für die politische Arbeit der Matrosen488. Der Kampf um diese Kommissionen schuf gleichfalls die Grundlage für die festere Zusammenarbeit489. Von einer Annäherung der Verpflegung von Mannschaften und Offizieren konnte aber keine Rede sein490.

      7. KONTAKT ZUR USPD

      Für die Flottenbewegung des Sommers 1917 war die Beziehung zur USPD von ganz zentraler Bedeutung. Die in Gotha wenige Monate zuvor gegründete Partei war in erster Linie eine Abspaltung von Sozialdemokraten, die den Kurs ihrer Partei während des Weltkrieges nicht mehr mittragen wollten491 und sich für einen zügigen Frieden ohne Eroberungen einsetzten492. In diesem wichtigsten Ziel der USPD glaubten sich die führenden Köpfe der Marinebewegung einig zu sein. Es schien aus Sicht der Matrosen naheliegend, sich mit der USPD zu identifizieren, Mitglied zu werden und Kameraden zu einer Mitgliedschaft zu bewegen. Nach den Ereignissen des Frühjahrs 1917, die die Matrosen in ihrer Einigkeit stärkten und erste organisatorische Erfolge wie bei der Wahl von Vertrauensmännern brachten, war es folgerichtig, sich für weitere Schritte, die den Friedensschluss beschleunigen sollten, des Rückhaltes einer Reichstagspartei zu versichern und dort Empfehlungen zum weiteren Vorgehen einzuholen493. Die Kontakte zu USPD-Abgeordneten bestanden schon länger, da einzelne Matrosen immer wieder ihre Beschwerden an die Abgeordneten richteten494.

      Max Reichpietsch nutzte die Gelegenheit zu einem ersten Kontakt zu den führenden Vertretern der USPD während seines Urlaubs im Juni 1917. Der genaue Zeitpunkt seines Urlaubs lässt sich aber heute nicht mehr ermitteln. Die wichtigste Quelle zu dieser Frage, das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Nationalversammlung, gibt verschiedene Auskünfte. Nach Oberreichsanwalt Zweigert dauerte der Urlaub vom 12. bis zum 21. Juni 1917495. Wilhelm Dittmann, der mit Max Reichpietsch persönlich sprach, gab eine Urlaubszeit vom 6. bis zum 21. Juni 1917 an496. Im Urteil des Kriegsgerichtes wird der Beginn des Urlaubs auf den 21. Juni 1917 festgelegt497. Nach Bernhard kann der von Zweigert genannte Zeitraum als der wahrscheinlichste gelten, da Max Reichpietsch mit Willi Sachse über die geplante Unterredung in Berlin mit Vertretern der USPD gesprochen habe, bevor Sachse seinen eigenen Urlaub am 23. Juni angetreten habe498.

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      Max Reichpietsch während eines Berlin-Urlaubs

      Als das IV. Geschwader im Juni 1917 in Kiel lag, trat Max Reichpietsch seinen Heimaturlaub mit größter Wahrscheinlichkeit am 12. Juni 1917 an. Seine Kameraden beauftragten ihn, Verbindung mit der USPD-Parteizentrale herzustellen und sich dort über die rechtliche Bedeutung der Menagekommissionen und des sogenannten Bachmann-Befehls zu informieren499. Willi Weber gab ihm vor der Reise ein großes Kuvert mit den Beschwerden der Matrosen500. Eine gefestigte Matrosenorganisation bestand zum damaligen Zeitpunkt aber noch nicht501.

      Mitte Juni 1917 besuchte Max Reichpietsch seine Eltern in Berlin-Neukölln und ging zuerst zur USPD-Parteizentrale am Schiffbauerdamm 21502, wo er mit dem Reichstagsabgeordneten Wilhelm Dittmann und der Parteisekretärin Luise Zietz zusammenkam503.

      Mit großer Wahrscheinlichkeit traf er den Parteikassierer Herbst504. Für eine zweite Begegnung mit den Abgeordneten Haase, Dittmann und Vogtherr eine Woche später505 suchte Max Reichpietsch den Reichstag auf. Dort traf er abschließend noch einmal mit Ewald Vogtherr zusammen506. Der ehemalige Matrose der König Albert Otto Liedloff berichtet von einem weiteren Zusammentreffen mit den Abgeordneten Ledebour, Haase und Däumig507.

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      Wilhelm Dittmann

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      Luise Zietz

      Der Inhalt der Gespräche kann nur rekonstruiert werden, da keine Protokolle angefertigt wurden oder Niederschriften irgendwelcher Art existieren. Als Grundlage dienen die Aussagen der USPD-Abgeordneten in der Reichstagsdebatte vom 9. Oktober 1917 und die späteren Stellungnahmen vor dem Untersuchungsausschuss. In den Verhörprotokollen zur Voruntersuchungssache gegen Luise Zietz finden sich wichtige Aussagen der an den Gesprächen Beteiligten, wobei aber stets zu berücksichtigen ist, dass es sich um Verhöre handelte und jede Aussage juristische Folgen gehabt hätte. In seiner Schrift Die Marine-Justizmorde von 1917 erinnert sich Wilhelm Dittmann an die Begegnungen mit Max Reichpietsch508. Reichpietsch selbst sagte am 10. August 1917 zu dem Treffen mit Dittmann aus509. Bernhard hat dieses Dokument anscheinend nicht berücksichtigt, wenn er schreibt, Reichpietsch habe aus Rücksicht auf seine Kameraden geschwiegen510. Diese Aussage trägt eindeutig die Handschrift der Ermittler, deren wichtigstes Anliegen der Beweis einer Urheberschaft der USPD an den Flottenunruhen war511.

      Das erste Gespräch mit Dittmann dauerte etwa eine halbe Stunde512. Max Reichpietsch übergab das von Willi Weber erhaltene Kuvert, das Dittmann durchsah513. In dem anschließenden Gespräch berichtete Max Reichpietsch über die Vorgänge auf den Schiffen und die politische Zustimmung vieler Matrosen zur USPD514. Reichpietsch teilte dem USPD-Abgeordneten mit, viele seiner Kameraden fürchteten als Folge des Bachmann-Befehls515 ein Verbot der von ihnen gelesenen Zeitungen516. Ein Thema des Gespräches waren die von Marinestaatssekretär v. Capelle in Aussicht gestellten Menagekommissionen, über die Reichpietsch mit beiden Sozialdemokratischen Parteien sprechen sollte517. Die Matrosen besäßen kein Vertrauen zu Kommissionen, die von der Marineleitung besetzt würden518.

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