Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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СКАЧАТЬ auf die Mannschaften einzuwirken versuchten, die den Krieg als Verteidigung des Vaterlandes auffassten297. Die zeitgleich von Hand zu Hand gehenden, streng verbotenen Spartakusbriefe trugen ebenfalls dazu bei, alle nationalistischen Ziele zu unterlaufen298. Sie lösten nach den Erinnerungen eines Matrosen eine regelrechte Panik unter der jeweiligen Schiffsleitung aus299 und veranlassten das Preußische Kriegsministerium, auf eine generelle Verschärfung der Zensur zu drängen300. Es ist naheliegend, dass der Vaterländische Unterricht in einem bereits stark aufgeheizten Umfeld keinerlei Erfolg erzielte301. Die an Bord ausliegenden nationalistischen Zeitungen wie die Hamburger Nachrichten trugen ebenfalls zu einer Polarisierung bei302.

      Der Versuch, patriotische Gefühle für den Krieg zu wecken, wirkte angesichts dessen, was ein Matrose im Mannschaftsdienstgrad täglich erlebte, geradezu hilflos. Sozialdemokratisch eingestellte Matrosen riefen ihren Kameraden zu: »Ihr glaubt an das Vaterland und seid doch nur seine Stiefkinder. Ihr glaubt das Vaterland zu verteidigen und nützt doch nur den Ausbeutern im eigenen Lande.«303 Ganz in diesem Sinne schrieben drei Matrosen von der Oldenburg bereits im Januar 1917 ihre Meinung zu dem Krieg auf eine aushängende Holztafel. Oberheizer Graf schrieb: »Wann ist der Krieg alle? Das Hungerleben, die Halsabschneider!«304 Sein Kamerad, Oberheizer Baars, fügte den bekannten Spruch »Gleiche Löhnung, gleiches Essen, dann wäre der Krieg schon längst vergessen!« hinzu, den er um die Worte »Dem deutschen Militarismus fehlt nur noch die Knute. England kämpft für die Freiheit der Völker, aber Deutschland will sie unterdrücken. Die Agrarier. Nieder mit dem Krieg. Wir wollen Frieden. Ein Sozialdemokrat« erweiterte305.

      Obermaschinenanwärter Jenssen fügte noch hinzu: »Was sind deutsche Soldaten? Weiße Sklaven! Nieder mit den Aristokraten! Hoch die weißen Sklaven! Ein Sozialdemokrat.«306 Baars und Jenssen erhielten für ihre Bemerkungen je neun Monate Gefängnis, während Graf bemerkenswerterweise straffrei ausging, da er den Richter Glauben machen konnte, seine Ausführungen hätten sich gegen England gerichtet307.

      Das Scheitern der Bemühungen um eine enge Einbindung der Matrosen zeigte sich ganz besonders darin, dass es nicht gelang, sie zum Zeichnen von Kriegsanleihen zu bewegen308. Auf der Moltke protestierte der Obermatrose Preuschkat öffentlich gegen den Aufruf. Er wurde daraufhin degradiert und zum Heer abkommandiert309. Der Zwang, diese Anleihen erwerben zu müssen, sorgte für große Verbitterung310. Den Matrosen wurden von ihrem mühsam ersparten Kleidergeld zwischen 100 und 200 Mark abgezogen und für den Erwerb der Anleihen verwendet311.

       4.1. Die Verpflegungssituation

      Die Verpflegung in der Hochseeflotte war im Frühjahr 1917 schlecht312. Noch schlechter war sie allerdings in der Zivilbevölkerung. Nach dem Steckrübenwinter 1916/17 standen für weite Teile der Bevölkerung bis in den Sommer 1917 hinein bei eisiger Kälte von Februar bis März kaum Lebensmittel zur Verfügung313. Mit dem Jahr 1917 stieg die Zahl der an den Folgen der Unterversorgung gestorbenen Menschen sprunghaft an314. Vor diesem Hintergrund war es nicht in erster Linie der Mangel an sich, der die Matrosen so sehr aufbrachte, sondern die eklatant ungleiche Versorgung auf den Schiffen selbst. Während die Mannschaften die Nöte der Bevölkerung weitgehend teilten und so sehr abmagerten, dass die Wiegekontrollen eingestellt werden mussten315, herrschte in der Offiziersmesse ein Leben wie in Friedenszeiten316. Die Offiziere trugen sogar illegal Lebensmittelvorräte zusammen und schickten sie an ihre Familien317. Dafür ist eine längere Passage von Hans Beckers aus seinen Erinnerungen ein eindringlicher Beleg:

      »Nun zur Verpflegung. Nach dem Grundsatze: Ein satter Soldat ist im Krieg nichts wert! wurde bei uns Mannschaften gespart. Vier, fünf, sechs verschiedene Küchen an Bord dienten dazu, ›besondere Härten‹ in der Beköstigung zu vermeiden. Um nun bei uns Schwerstarbeitern die überschäumende Kriegsbegeisterung auf dem richtigen Maß zu halten, fütterte man uns mit Dörrgemüse, Klippfisch, Steckrüben und sonstigen wertvollen Dingen. Das deutsche Dörrgemüse war ja nach der Ansicht unserer Wissenschaftler viel nahrhafter als Eierkuchen und Schweineschnitzel. Besonders die Steckrübe war lebhaft vertreten. Nach dem Motto: Eßt deutsche Früchte! wurden sie uns drei- bis fünfmal in der Woche serviert. Wir 1200 Mannschaften freuten uns vor allen Dingen, daß so viel Wasser zur Suppe gebraucht wurde. Wir, die wirklich Schaffenden – ebenfalls die Unteroffiziere – saßen beim schlichten Mahl, während in der Offiziersmesse unter den Klängen eines Grammophons die Sektpfropfen knallten. Dort speiste man gut und reichlich. Drei bis vier Gänge und Nachtisch. Dann Sekt, Weine und gute Zigarren. Trotz der höheren Abstammung aßen die Offiziere ebenfalls Steckrüben, dreimal im Monat, aber angebraten, in Butter gerührt und mit Gemüse und Fleisch. – Also hier Rechte, dort Pflichten. Auf der einen Seite Bratenduft und Champagner – auf der anderen Seite Dörrgemüse und Steckrüben. Front und Etappe auf einem Schiff! –«318

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      Beim Essen im Mannschaftsdeck

      Auch wenn die Schilderung Beckers nachträglich durch bitteren Humor gekennzeichnet ist, verdeutlicht sie das Grundproblem. Die Matrosen hungerten auf den Schiffen319, die Unzufriedenheit wuchs ständig320. Schon beim Bau der Schiffe waren beispielsweise auf der Nürnberg drei Küchen für die verhältnismäßig geringe Zahl von Offizieren und Unteroffizieren eingeplant, während nur eine Küche für die Mannschaftsdienstgrade zuständig war321. Der Gegensatz von miserablem Essen für die Mannschaften, das dem der Zivilbevölkerung ähnelte, und einer vergleichsweise ausgezeichneten Versorgung der Offiziere auf einem Schiff trug in Verbindung mit dem unwürdigen Umgangston zu einer angespannten und gereizten Stimmung bei322. Eine gemeinsame einheitliche, erträgliche Versorgung von Offizier und Mannschaftsdienstgrad unterblieb323. Wenn die Offiziere dann noch ihre berüchtigten Feste zu den verschiedensten Anlässen feierten und Lebensmittel verschwendeten, stieg die Erbitterung der Matrosen noch weiter an324.

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      In der Offiziersmesse

      Der Zentrumsabgeordnete und Marinereferent des Reichstages Dr. Pfleger erhielt einen Brief des Obermatrosen Conrad Lotter vom 23. Juli 1917 über den Kölner Domkapitular Leicht325. Lotter beschwerte sich darin über die Zustände auf seinem Schiff Bremse, in dem er die schlechte Verpflegung, unregelmäßige Urlaubsgewährung und das schlechte Beispiel der Offiziere anprangerte326. Wegen der vorhandenen Verstimmungen seien die Matrosen bereits zu einzelnen Unbotmäßigkeiten übergegangen. Um Schlimmeres zu verhindern, sollte schnellstmöglich eine nicht militärische Kommission gebildet werden, die sich der Entwicklung auf den Schiffen annehme. Es wäre fatal, wenn die Marineleitung weiterhin wegsehen und Unliebsames vertuschen würde327.

      Aber genau das tat die Marine auch weiterhin, wie die Ausführungen des Staatssekretärs v. Capelle in der späteren Besprechung mit den führenden Abgeordneten der Reichstagsparteien am 25. August 1917 verdeutlichen. Dr. Pfleger wies den Staatssekretär in seinem Brief vom 28. Juli 1917 auf die Missstände in der Hochseeflotte hin328. Die von v. Capelle angewiesenen Untersuchungen ergaben aber keine Hinweise auf berechtigte Klagen seitens der Matrosen329. Der Bericht von Admiral Hebbinghaus vom 7. August hob hervor, dass er keine Verstöße erkennen konnte. Eine einzelne Beleidigung eines Matrosen sei schwer geahndet worden330. Das Ergebnis gipfelte in der Feststellung, dass es den Offizieren auch nicht besser erginge als den Mannschaften331.

      In der älteren Forschung findet sich zum Teil eine blinde Übernahme dieser Einschätzung332, die auch zu einem großen Teil auf den Untersuchungen beruht, die im Rahmen des Werkes des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Nationalversammlung СКАЧАТЬ