Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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СКАЧАТЬ der Offiziere sehr schlecht gewesen sei und sich nicht von der Versorgung der Mannschaftsdienstgrade unterschied333. Die Marinebehörden wollten die tatsächlichen Verhältnisse nicht anerkennen, da die Seeoffiziere maßgeblich profitierten. Beschwerden der Matrosen reichten die Schiffsleitungen nicht weiter, direkt vorgetragene Beschwerden unter Umgehung des Beschwerdeweges brachten dem Soldaten häufig Strafen ein, die von Strafexerzieren und Arrest bis zu Gefängnis reichten334. Mit diesem Verkennen der tatsächlichen Lage nahm sich die Marineleitung die Möglichkeit, einen Ausgleich herbeizuführen und die vorhandene Unzufriedenheit zu mildern335. So ist es nur folgerichtig, wenn der Oberheizer Rebe am 21. März 1917 an seinen Kameraden Eder schrieb: »Wer von den Arbeitern, die sich (als) Sozialdemokraten bezeichnen, jetzt noch nicht begreift, wo ihre geistigen Feinde stehen, der wird das nie begreifen.«336

      5. BIOGRAPHIEN

      Die aufbegehrenden Matrosen des Sommers 1917 einte ihr gemeinsamer Dienst auf den Schiffen der Hochseeflotte und ihr Widerwille gegen die seit langer Zeit unwürdige Behandlung und schlechte Verpflegung. Darüber hinaus entstammten sie zwar alle eher bescheidenen Verhältnissen, entwickelten aber sehr unterschiedliche Anschauungen bei ganz verschiedenen Temperamenten und Eigenschaften.

      Max Reichpietsch wurde am 24. Oktober 1894 in Neukölln bei Berlin geboren337. Er war nach dem Auszug seiner militärischen Stammrolle 163 cm groß und wog 56 Kilogramm bei kleiner Gestalt338. Seine Eltern waren Arbeiter, er selbst besuchte die Volksschule bis zu seinem 14. Lebensjahr. Nach der Schule arbeitete der junge Max Reichpietsch für zwei Jahre in einer Schraubenfabrik und anschließend als Zimmermann339. Seine Eltern waren gläubige Christen der Apostolischen Gemeinde340, die ihren Glauben an den Sohn weitergaben341. Politisch stand Reichpietsch keiner Partei nahe, er war auf diesem Gebiet gänzlich »ungeschult und unerfahren«342. Am 16. Juli 1912 trat Max Reichpietsch für vier Jahre als Freiwilliger in die Marine ein. Seine anfänglichen Beurteilungen waren gut, Vorgesetzte beschrieben ihn als fähigen, brauchbaren Matrosen mit guten Eigenschaften, im »Zeug sauber« und nicht unbegabt343. Diese Einschätzung teilte auch Hugo Haase, den Max Reichpietsch 1917 im Reichstag besuchte, um ihm seine Beschwerden vorzutragen. Reichpietsch machte »den Eindruck eines frischen, mutigen jungen Mannes mit hohen Gedanken«344 und »erhabenen Idealen«345. Haase konnte sich durchaus vorstellen, dass Reichpietsch nach dem Krieg »etwas Positives leisten« würde346.

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      Max Reichpietsch

      Wohl wegen dieser idealistischen Einstellung kam Max Reichpietsch in dem rauen Klima des Militärs mehrfach in Konflikte mit seinen Vorgesetzten. Ab 1913 häuften sich Strafen wegen unerlaubten Wegtretens, verspäteten Dienstantritts und des Verlassens des Schiffes ohne Erlaubnis347. Es folgten disziplinarische Bestrafungen und in einem Fall eine fünfmonatige Gefängnisstrafe wegen militärischen Diebstahls348, die Max Reichpietsch zwischen April und September 1915 verbüßte349. Er unterhielt zur Aufbesserung seines Soldes einen verbotenen Handel mit Zigaretten350, was ebenfalls zu einer schlechten Beurteilung durch seine Vorgesetzten beitrug: »gut begabt, aber träge und liederlich, von unlauterem Charakter, leistet Geringes.«351 Unter seinen Kameraden war Reichpietsch hingegen wegen seiner ruhigen und überlegten Art sehr beliebt352. Die nach der Verurteilung verfügte Degradierung in die 2. Klasse des Soldatenstandes wurde am 21. März 1917 rückgängig gemacht. Max Reichpietsch »hat sich in letzter Zeit zusammengenommen«, eingesetzt im Turm der Friedrich der Große leistete er gute Arbeit. Dennoch erhielt er am 30. August 1916 eine Strafe wegen des unerlaubten Tragens des Mützenbandes. Die Stammrolle weist Max Reichpietsch als Teilnehmer der Seeschlacht vor dem Skagerrak zwischen dem 31. Mai und 1. Juni 1916 aus353.

      Albin Köbis, geboren am 18. Dezember 1892 in Reinickendorf bei Berlin354, wuchs im Arbeiterbezirk Pankow-Niederbarnim auf und arbeitete als Mechaniker. Er fuhr mehr als drei Jahre als Heizer auf deutschen, dänischen und norwegischen Schiffen zur See355, bevor er 1911 eingezogen wurde. Als seine Dienstzeit endete, brach der Weltkrieg aus356, sodass Köbis in der Marine blieb.

      Während dieser Zeit beschäftigte er sich nicht mit konkreter Politik357, setzte sich aber mit den Grundgedanken des Sozialismus auseinander. Aus diesem Ansatz wuchs sein Interesse an der Philosophie, das ihn schließlich mit der Gedankenwelt des Anarchismus vertraut machte358, die Grundlage seines politischen Handelns wurde359. Seine persönliche Art war stets direkt und aufrichtig360 und brachte ihm während seiner Zeit in der Marine zahlreiche disziplinarische Strafen ein361. Während des Krieges neigte er politisch der linken Sozialdemokratie zu und abonnierte früh den Vorwärts362.

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      Albin Köbis zu Beginn seiner Dienstzeit

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      Albin Köbis

      Hans Beckers wurde am 17. Februar 1892 in Alsdorf bei Aachen363 in eine kinderreiche Arbeiterfamilie geboren. Nach der Volksschule ergriff er wie sein Vater den Beruf des Bergmanns, bis er 1912 zur Marine eingezogen wurde364. Er gehörte der Freien Sozialistischen Jugendbewegung an365 und beschäftigte sich intensiv mit den individualistischanarchistischen Schriften Max Stirners366. Er ähnelte somit Albin Köbis in einer individuellen politischen Auffassung weitgehend losgelöst von politischen Organisationen367. Beckers wurde ebenso wie Reichpietsch religiös erzogen, wandte sich aber vom Glauben ab, da ihn das Leben nach eigenen Worten anderes lehrte, als in den christlichen Schriften stand368. Während der Weimarer Republik schloss sich Beckers der Friedensbewegung an und stand in regem Austausch mit Kurt Tucholsky und Erwin Piscator. Während des Nationalsozialismus wurde Beckers vorübergehend verhaftet und musste sich als Gelegenheitsarbeiter durchschlagen. Nach 1945 trat Beckers in den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ein und unterstützte nach 1955 Kriegsdienstverweigerer. Hans Beckers starb 1971 in Düsseldorf369.

      Willi Richard Sachse war der einzige führende Matrose der Flottenbewegung des Sommers 1917, der über eine sehr gute politische Bildung verfügte. Geboren am 7. Januar 1896 in Leipzig, trat er am 1. Oktober 1914 in die Marine ein370. Als gelernter Mechaniker trat er der Sozialdemokratischen Jugendbewegung bei371 und war mit der sozialistischen Literatur bestens vertraut. Er war sehr intelligent und verfügte über ein gutes Gedächtnis, sodass es ihm jederzeit möglich war, aus den Büchern Bebels und Marx’ zu zitieren.

      Allerdings war Sachse auch ein fanatischer Zug zu eigen, der ihn nach Meinung Wilhelm Dittmanns durchaus »psychopathisch« erscheinen ließ372. Das bestätigte auch sein ehemaliger Kamerad Steilemann373. Weber urteilte über Sachse scharf: »Kurz und gut: ich habe den Eindruck von Sachse, daß er gern etwas vorstellen will, aber andererseits nicht den rechten Mut hat, für seine Taten zu stehen.«374 Sachse war es aufgrund seiner Intelligenz möglich gewesen, Konflikte mit Vorgesetzten zu entschärfen oder ihnen ganz aus dem Weg zu gehen. Er blieb bis zu seiner Verurteilung im August 1917 ohne jede disziplinarische Strafe375. Während seiner Haftstrafe versuchte er die Beamten durch vorgespielte Reue zu täuschen, um schneller entlassen zu werden376. Nahezu abenteuerlich verlief sein Leben nach 1918, als er zunächst für die KPD aktiv war, aus der er aber 1926 nach tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten ausgeschlossen wurde. 1923 beteiligte er sich an Unruhen in Mitteldeutschland, für die er 1927 gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden sollte377. Politisch zwischen den Extremen links und rechts pendelnd, veröffentlichte Sachse in seinem Anti-Nautikus seine frühen ablehnenden Ansichten gegen den Militarismus378, die er in СКАЧАТЬ