Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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СКАЧАТЬ Broschüren519, die Wilhelm Dittmann bereitstellte520. Sein wichtigstes Anliegen war die politische Unterstützung für die Matrosen durch die USPD. Dittmann reagierte zögerlich, warnte davor, auf das Kaiserwort »Ich kenne keine Parteien mehr« viel zu geben521. Die Marine- und Militärbehörden wären in der Lage, auf zwanglose Versammlungen, denen ein politischer Charakter unterstellt werden könnte, umgehend zu reagieren522.

      Auf die Frage Reichpietschs, ob die Matrosen Mitglieder der USPD werden könnten, antwortete Dittmann ausweichend. Er führte formale Aspekte an, die es bei einer Mitgliedschaft zu bedenken gäbe, betrachtete die Mitgliedsfrage rein zweckmäßig523. Dittmann gab Reichpietsch die Adressen der USPD-Ortsverbände in Berlin, Kiel und Hamburg sowie des Wilhelmshavener Werftschreibers Büdeler und des Sekretärs des Bezirkes Wasserkante, Alfred Henke, mit524. Ein persönlicher Kontakt zu Henke ist, anders als zu Büdeler, nicht zustande gekommen525. Büdeler erklärte sich bereit, legale Schriften für die Matrosen zu beziehen und in einzelnen Fällen die Zensur für Reichpietsch zu umgehen526.

      Dittmann teilte Reichpietsch mit, der Partei gehe es weniger um die formale Mitgliedschaft. Ihr sei es vielmehr wichtig, die Matrosen ideologisch hinter sich zu wissen527. Einem Eintritt stünde juristisch jedoch nichts im Wege, es wäre für die Matrosen zweckmäßig, die Mitgliedschaft ruhen zu lassen, um keine Beiträge zu zahlen. Dittmann empfahl, die Matrosen sollten der Partei in ihren Heimatorten beitreten und nach dem Krieg aktive Parteimitglieder werden528. Dem erfahrenen Abgeordneten war klar bewusst, dass eine Mitgliedschaft der Matrosen in seiner Partei bei revolutionären Ereignissen auf den Schiffen zu einer äußerst schwierigen Situation führen würde.

      Luise Zietz zeigte sich von den Entwicklungen bei der Marine beeindruckt. Dittmann stimmte ihr zu und ermunterte die Matrosen, so weiter zu machen529, was bedeutete, die Bestrebungen in der Marine für die Ziele der USPD in ruhiger und besonnener Weise zu stärken. Dittmann hob ausdrücklich hervor, er »habe keinen Anlaß anzunehmen, daß Reichpietsch etwas anderes darunter verstanden hat, insbesondere etwa Durchsetzung unseres Flottenziels durch Gehorsamsverweigerung bei Heer und Flotte.«530 Willi Sachse bestätigte die Auffassung Dittmanns531.

      In einer kurzen Unterhaltung erörterten Dittmann und Zietz noch aktuelle politische Fragen mit Reichpietsch532 und baten ihn, alle anfallenden Beschwerden an den Marinesachverständigen der USPD, Ewald Vogtherr, weiterzuleiten, der bereits wusste, dass etwas in der Flotte »nicht stimme«533. Die USPD wollte ihre Mitgliederstärke im Vergleich zur SPD klären, um auf der bevorstehenden Stockholmer Konferenz534 stärker auftreten zu können. Zietz und Dittmann bekundeten auch, dass sie Arbeiterstreiks535 als legitimes Mittel betrachteten, schnell zum Frieden zu gelangen536. Nach diesem ersten Kontakt hatte Dittmann von Max Reichpietsch den Eindruck eines sehr aufgeweckten, intelligenten jungen Mannes, der aber politisch ungeschult und unerfahren war. Somit besaß Reichpietsch von den damals aktuellen Fragen nur unklare und naive Vorstellungen537.

      Der Parteikassierer Herbst nahm Max Reichpietsch allen Bedenken zum Trotz offiziell in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands auf538 und gab ihm 30 weitere Mitgliedsanträge für seine Kameraden mit, die kostenfrei beitreten könnten539. Innerhalb der Matrosenbewegung gab es keine Beschlüsse zu einem geschlossenen Eintritt in die USPD540.

      Dieses erste Gespräch zwischen Wilhelm Dittmann, Luise Zietz und Max Reichpietsch gab der Matrosenbewegung einen äußerst wichtigen Impuls, der aber in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass Max Reichpietsch die eher zurückhaltende Unterstützung durch die USPD als Legitimation auslegte, weitere Schritte hin zu einer gut organisierten Matrosenbewegung zu wagen, die durch die im Reichstag vertretene Partei politischen Rückhalt besaß. Das zentrale Problem der unterschiedlichen Schlussfolgerungen bestand darin, dass in dem Gespräch die Frage einer Matrosenverbindung nicht erörtert wurde. Reichpietsch erwähnte den Stand der Organisation nicht, von der Dittmann und Zietz naturgemäß keine Kenntnis hatten541. So fanden die Unterredungen zwischen dem Matrosen und der USPD auf vollkommen verschiedenen Grundlagen statt, was zu fundamentalen Missverständnissen führte.

      Für Bernhard ergaben sich für Max Reichpietsch fünf Schlussfolgerungen aus den ersten Unterhaltungen. Die USPD war an einer genauen Feststellung der Mitgliedszahlen interessiert und wollte durch hohe Zahlen stärker auf der Stockholmer Konferenz vertreten sein. Die USPD unterstützte Streiks, die zu einem baldigen Frieden beitragen sollten. Die Parteiführung schien einer revolutionären Bewegung auf den Schiffen nahe zu stehen und ermunterte Reichpietsch, eine Ortsgruppe in Wilhelmshaven zu gründen542. Somit lag die Interpretation des politisch unerfahrenen Matrosen weit von dem entfernt, was der Abgeordnete Dittmann tatsächlich ausführte543. Für Reichpietsch war der Besuch bei Wilhelm Dittmann eine Aufforderung, die Matrosenorganisation weiter zu festigen544, was im Sommer des Jahres 1917 auch geschah. Nach Willi Sachse erfasste Max Reichpietsch geradezu eine »fanatische Begeisterung für die USP.«545 Aus den Prozessakten geht hervor, dass die Untersuchungsrichter die Begegnungen Max Reichpietschs mit den Abgeordneten der Unabhängigen Sozialdemokratie als »Konferenz« oder gar als »Parteikonferenz« darstellten und sich bemühten, die Flottenbewegung eng mit der politischen Arbeit der Partei zu verknüpfen546. Die USPD war hingegen nicht an einer Mitgliedschaft der Matrosen interessiert und wollte auch mit der Mannschaftsbewegung nichts zu tun haben547, unterließ es aber, Reichpietsch das klar mitzuteilen548.

      Aus der Sicht Max Reichpietschs gestaltete sich das Ergebnis der Unterredung anders. Er konnte keinen Grund gegen eine USPD-Mitgliedschaft erkennen und glaubte sich der Partei in seinem Streben nach einem baldigen Frieden eng verbunden549. Reichpietsch wähnte sich durch Dittmann in den Bestrebungen der Marinesoldaten bestärkt550 und bedankte sich nach seiner Rückkehr zu seinem Geschwader brieflich für die erhaltenen Broschüren bei ihm und Luise Zietz551. Aus dem Gespräch mit der USPD nahm Reichpietsch aber die Warnung mit, dass er sich auf gefährlichem Gebiet bewege und äußerst vorsichtig handeln solle552.

      Horn verwies ebenfalls auf die fundamentale Fehlinterpretation der Stellungnahmen von Wilhelm Dittmann durch Max Reichpietsch553. Diese Unerfahrenheit sollte ihm und den politisch aktiven Matrosen dann auch zum Verhängnis werden.

      Wenige Tage nach den ersten Treffen kam Max Reichpietsch mit Ewald Vogtherr, Hugo Haase554 und Wilhelm Dittmann im Fraktionszimmer der USPD zusammen. Vogtherr riet den Matrosen, bei allen Schritten und Zusammenkünften behutsam vorzugehen555. In der Reichstagssitzung vom 9. Oktober bestätigten die Abgeordneten übereinstimmend, intensiv zur Vorsicht geraten zu haben556. Dittmann habe Reichpietsch ausdrücklich gewarnt557, dass Versammlungen für die Matrosen eine gefährliche Angelegenheit seien558. Inhaltlich erörterten Dittmann und Reichpietsch den Bachmann-Befehl, den der Abgeordnete als unrechtmäßig bezeichnete559. Vogtherr sagte die Sendung von Exemplaren der Broschüre Raub des Braunschweiger Volksfreundes an die Matrosen zu560. Reichpietsch erhielt erneut eine Liste mit Kontaktadressen. In ihr waren Sens in Kiel, Henke in Bremen und Büdeler in Rüstringen genannt, wobei Dittmann darauf hinwies, dass Büdeler zwar für die USPD tätig, jedoch nicht formal organisiert sei561. Sie seien aber die lokalen Ansprechpartner bei allen weiteren Fragen562. Auf einem weiteren Zettel notierte Dittmann die Adresse seines Bruders Paul Dittmann in Hamburg. Reichpietsch erhielt einige Einzelaufnahmescheine für die USPD, jedoch keine vorbereiteten Listen für einen umfassenden Beitritt von Matrosen563.

      Abschließend zeigten die drei Abgeordneten die großen Gefahren auf, wenn es auf den Schiffen zu einer organisierten Matrosenbewegung kommen sollte564, und verwiesen auf die internationale Stockholmer Konferenz565. Das Gespräch drehte sich ausschließlich um die Lage der Flotte566. Vermeintliche Umstürze oder Vorbereitungen zu revolutionären Ereignissen wurden keineswegs erörtert567. Die Abgeordneten erklärten sich СКАЧАТЬ