Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen - Christoph Regulski страница 16

СКАЧАТЬ der die Unterstützung für seine Partei in der Marine begrüßte, eine Mitgliedschaft der Matrosen aber ablehnte570.

      Ob daraus eine moralische Mitschuld an den Ereignissen des Sommers 1917 in der deutschen Hochseeflotte erwuchs, ist umstritten, da es sich bei den von der USPD versendeten Broschüren ausschließlich um legales Material handelte571. In einem letzten Gespräch während seines Berliner Urlaubs mit Ewald Vogtherr erörterten beide die Verhältnisse auf dem Flaggschiff Friedrich der Große. Reichpietsch sollte die USPD auch weiterhin über Vorkommnisse an Bord informieren572.

      Otto Liedloff erwähnt in seinen Erinnerungen eine Matrosenversammlung Mitte Juli 1917, in der Max Reichpietsch über ein Treffen mit den USPD-Abgeordneten Däumig, Ledebour und Haase berichtete. Diese Zusammenkunft ist sonst nirgends erwähnt, es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass ein intelligenter junger Mann wie Reichpietsch die Namen verwechselt hatte und über das Treffen mit Dittmann, Vogtherr und Haase berichtete. Es ist aber möglich, dass Liedloff eventuell die Namen vertauschte. Dieser Sachverhalt kann hier nicht geklärt werden, es bleibt somit die Möglichkeit eines weiteren Treffens von Max Reichpietsch mit USPD-Abgeordneten bestehen. Inhaltlich glich das Ergebnis des möglichen Gespräches dem mit Dittmann, Vogtherr und Haase. Die USPD sagte keine konkrete Unterstützung zu und verwies auf die am 15. September beginnende sozialistische Konferenz in Stockholm. Um dort stark auftreten zu können, wäre eine große Unterstützung der Matrosen durch ihre Mitgliedschaft in der Partei sehr hilfreich573.

      Dittmann erwähnt ferner ein Treffen Max Reichpietschs mit dem sozialdemokratischen Marinebeauftragten Stücklen, dem Reichpietsch die Beschwerden der Matrosen vortrug574. Das Treffen blieb geheim, wurde in keiner Akte erwähnt575 und führte auch nicht zu einer Unterstützung der Matrosen durch die Sozialdemokratie, die im Rahmen der Burgfriedenspolitik eifrig bemüht war, bei der politischen und militärischen Leitung des Reiches nicht anzustoßen. Für dieses Treffen spricht die Angabe Sachses, Franz Müller und er selbst hätten Reichpietsch gebeten, auch mit der SPD zu sprechen, die das Vertrauen von Teilen der Matrosen besäße576. Ein Treffen mit dem Marinesachverständigen der SPD Gustav Noske lehnten die Matrosen bereits im Vorfeld des Berliner Besuches ab, da sie keinerlei Vertrauen zu ihm besaßen577. Er verkörperte ihrer Meinung nach eine SPD, der die Verteidigung des Vaterlandes über alles ging578. Der Parteivorsitzende Ebert missbilligte noch am 25. August 1917 die Störung der Landesverteidigung durch die Matrosen579, anstatt alles zu unternehmen, um sie vor einem zu erwartenden Todesurteil zu bewahren.

      Während der Zeit in Berlin erlebte Max Reichpietsch auch das gesamte Elend der Zivilbevölkerung hautnah mit. Der persönlich letzte Anstoß für eine große Marinebewegung gegen den Krieg war das Angebot einer jungen, verzweifelten Kriegerwitwe mit Kindern aus Neukölln, sich zu prostituieren. Hans Beckers schilderte den Vorgang im Münchener Dolchstoß-Prozess und die Konsequenzen, die sein ehemaliger Kamerad daraus zog: »Das aus tiefster Not geborene Angebot dieser Frau hätte auf ihn einen furchtbar schmerzlichen Eindruck gemacht und er hätte sich in diesem Augenblick das Gelöbnis abgelegt, mit allen Kräften für den Frieden zu wirken.«580

      Im Gegensatz zu den Besuchen Max Reichpietschs bei der USPD ist über die Tätigkeit Albin Köbis’ während seines Berliner Urlaubs nur wenig bekannt581. Er traf mit mehreren Zivilisten zusammen, die der USPD nahestanden. Auch sie warnten vor Gewaltanwendung, befürworteten eine kontinuierliche Entwicklung der sich bildenden Matrosenbewegung582. Demnach war die Rolle Köbis’ eine eher untergeordnete. Angesichts seines Engagements in der politischen Bewegung der Matrosen erscheint es aber fraglich, ob Köbis während seines Urlaubs keine Gespräche mit Abgeordneten geführt haben soll. Nach Aussagen seines Bruders, Paul Köbis, war Albin hingegen sehr aktiv: »Ich sah ihn das letztemal ungefähr Ende Mai/Anfang Juni 1917. Er war damals zwei bis drei Wochen in Berlin auf Urlaub. Wir waren in dieser Zeit oft zusammen. Obwohl ich einige Jahre älter bin als mein Bruder und seit 1913 in der SPD und 1917 in der USPD war, so muß ich doch heute sagen, daß er politisch weiter war als ich. Er war 1917 25 Jahre alt, wußte aber sehr gut, was er wollte. Wiederholt sagte er: ›Den Frieden machen wir von der Marine!‹ Über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg war er besser informiert als ich. Gemeinsam war ich mit ihm beim Parteivorstand der USPD. Dort sprach er mit Dittmann, Haase und Vogtherr. Diese Abgeordneten sollten auf einer Friedenskonferenz in Stockholm die Forderungen der Marinesoldaten nach einem Frieden ohne Annexionen vertreten. Er hatte von seinen Kameraden den Auftrag, wir würden heute sagen, eine Grußbotschaft für diese Konferenz zu überreichen.«583

      Demnach war Albin Köbis etwas früher in Berlin eingetroffen als Max Reichpietsch, dessen Urlaubsbeginn frühestens auf den 6. Juni datiert wird. Köbis traf mit den gleichen USPD-Abgeordneten zusammen wie Reichpietsch, übermittelte nach Aussagen seines Bruders aber nur die Verbundenheit der Matrosen mit der USPD. Diese Begegnung wird so von Paul Köbis berichtet, der mit seinem Bruder gemeinsam die Abgeordneten aufsuchte. Beckers bestätigt in einer späteren Aussage das Zusammentreffen Köbis’ mit USPD-Abgeordneten und Dr. Haase584, die ihn aufforderten, Material über die Missstände in der Flotte zu sammeln585. Nach Sachse traf Köbis noch mit dem Abgeordneten Adolf Hoffmann von der USPD zusammen, der ihn ermunterte, Mitglieder für die Zeit nach dem Krieg zu werben586.

      Weder Dittmann noch Vogtherr oder Haase erwähnen den Besuch. In der Matrosenbewegung ist stets vom Besuch Max Reichpietschs die Rede, eine Begegnung Albin Köbis’ mit den Politikern wird auch bei Beckers nicht geschildert. Die Gründe für diese Nichterwähnung können zum einen darin liegen, dass Albin Köbis nur eine kurze Grußbotschaft übermittelte und keine politischen Gespräche führte. Zum anderen überragte der Besuch Max Reichpietschs und die Erörterung politischer Fragen den Besuch Köbis’, der darüber in Vergessenheit geriet. Dafür spricht auch, dass Reichpietsch in Besprechungen mit seinen Kameraden häufig auf seine Berliner Gespräche verwies und die Erinnerung an den Kontakt zur USPD vornehmlich auf Max Reichpietsch beschränkt wurde. Diese Interpretation kann als wahrscheinlich gelten, da Paul Köbis keine politische Unterredung erwähnte, sondern eher von einem kurzen, wohl recht oberflächlichen Kontakt berichtete.

      Nach Max Reichpietsch und Albin Köbis suchten noch Willi Sachse und der Matrose Paul Calmus von der Rheinland die USPD-Abgeordneten in Berlin auf.

      Die Unterredung zwischen Dittmann und Sachse fand am 2. oder 3. Juli 1917 in einem Vorraum des Reichstages statt und dauerte nur rund zehn Minuten587. Nach Dittmann teilte ihm Sachse mit, dass er zuvor Aufnahmeanträge für die USPD im Parteibüro abgegeben habe, und berichtete kurz über die Verhältnisse an Bord seines Schiffes. Mit einer Erkundigung nach den Friedensaussichten war das Gespräch wegen weiterer Termine Dittmanns dann beendet588. Sachse erwähnte vor dem Untersuchungsausschuss der Verfassunggebenden Nationalversammlung, dass er mit Dittmann über die zum damaligen Zeitpunkt umkämpften Menagekommissionen gesprochen habe589. Wilhelm Dittmann mahnte auch hier zu einem vorsichtigen Vorgehen590 und hob hervor, dass das Kaiserwort »Ich kenne keine Parteien mehr« in der politischen Praxis keinerlei Bedeutung habe591. Kurz streiften Sachse und Dittmann den Bezug von USPD-Broschüren und deren Versand592. Sachse war von der kurzen Unterredung enttäuscht593, da ihm klar wurde, dass Dittmann wenig Interesse an der Entwicklung der Matrosenbewegung hatte und sich mit ihm nicht über mögliche politische Schritte unterhielt594. Ein Gespräch Sachses mit dem zuständigen Abgeordneten über Marinefragen kam nicht mehr zustande595.

      Am 2. August, dem Tag des Ausmarsches der Prinzregent-Matrosen, suchte Paul Calmus Luise Zietz in der USPD-Zentrale auf und bat um Rat, wie er ein Wiederaufnahmeverfahren nach seiner Verurteilung zu drei Monaten Festungshaft betreiben solle596. Bei dieser Gelegenheit übergab er Luise Zietz 40 Mark für die erhaltenen USPD-Broschüren597.

       7.1. Matrosenbewegung und USPD

      Eine СКАЧАТЬ