Gesammelte Werke. Ernst Wichert
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Ernst Wichert

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027237517

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СКАЧАТЬ der rechten aber das lange, nackte Weidmesser und prüfte mit gierigem Blick dessen Spitze auf dem Daumennagel der Hand, welche die Fackel trug. So eifrig war er damit beschäftigt, daß er nicht bemerkte, wie der Schlafende die Augen öffnete. Nur einen Augenblick freilich starrte der Junker ihn an, unsicher, ob er wache oder träume; dann gab er sich gewaltsam mit den Armen einen Stoß und saß nun aufrecht, alle Muskeln zu einem Sprunge gegen den Angreifer gestrafft.

      Gundrat erschrak über diese plötzliche Bewegung aufs heftigste. Er taumelte einige Schritte zurück und ließ die Fackel zur Erde fallen. Sie erlosch dort nicht, drohte aber die hölzerne Bettstelle in Flammen zu setzen. Heinz sprang auf, riß sie an sich und beleuchtete seinen Wirt, der leichenblaß und zitternd an allen Gliedern dastand, den Arm mit dem Messer herabgesenkt. Mörder! rief er empört.

      Mörder, wiederholte der Alte lallend. Mörder –

      Was tat ich dir? fragte der Junker, indem er näher trat und ihm die Waffe aus der Hand nahm. Ich sah dich vorher nur einmal, und da erwies ich dir eine Guttat. Jetzt bin ich dein Gast, und ich war wehrlos und schlief. Warum wolltest du mir ans Leben?

      Gundrat schüttelte den Kopf. Nicht Euch, nicht Euch – antwortete er mit matter Stimme. Diese Brust – wollte ich treffen, diese Brust. – Er faßte mit beiden Händen das wollene Hemd und zerrte es von den knochigen Schultern.

      Und deshalb standest du mit dem Windlicht vor meinem Lager, rief Heinz hell auflachend, und prüftest über mir die Schneide des Messers! Glaubst du mit einem Narren zu sprechen?

      Lacht nicht, Junker, lacht nicht – bat der Alte mit fast kläglichem Tone. Ich bin ein unglücklicher Mann und lange des Lebens satt. In dieser Nacht aber überkam es mich mit unwiderstehlicher Gewalt, daß ich ein Ende machen müßte. Das hat guten Grund, glaubt mir, guten Grund. Schon in Danzig bei hellem Tage – aber mehr noch gestern, als Ihr in mein Haus tratet – Ihr habt etwas, das mich anzieht und abschreckt zugleich. Ich kann das Auge nicht von Euch lassen, und finde doch nicht, was ich suche. Meine Gedanken aber werden rückwärts gezogen in eine ferne Zeit, und da steht vor ihnen eine schwere Tat, die unsühnbar mein Gewissen belastet. Ich floh vor ihr in diese Einsamkeit, und entfloh ihr doch nicht. Es ist Zeit, ein Ende zu machen.

      In des Jünglings Gemüt kämpften die Empfindungen des Abscheus und des Mitleids. Das Mitleid siegte. Er faßte den Arm des Alten und führte ihn nach dem Klotz neben der Lade, drückte ihn sanft auf denselben hinab und lehnte ihn mit dem Rücken gegen die Wand des Kastens. Ihr scheint zu träumen, sagte er, und es ist augenscheinlich nicht ohne Gefahr, Euer Schlafgeselle zu sein. Ich kenne Euch als einen jähzornigen Mann, dem gar leicht das Messer in die Hand fliegt, und wenn es einmal den Unrechten trifft –

      Ich schwöre Euch, Junker, unterbrach Gundrat, es war auf mein eigenes Leben abgesehen. Aber wie ich nun auf meinem Bette lag und nach dem Weidmesser hinter mir an der Wand griff, tanzte darüber der bleiche Schein von den glimmenden Kohlen auf der Herdstelle wie ein Gespenst hin, daß ich erschrak und mich umschaute, und da sah ich Euch liegen und konnte Euer Gesicht doch nicht genau erkennen. Und es war mir, als ob ich es genau erkennen müßte. So ließ es mir keine Ruhe, bis ich aufgestanden war und in die Kohlen geblasen und die Kienfackel angesteckt und über Euch gehalten hatte. Da erwachtet Ihr.

      Und was ist das für eine Tat, von der Ihr sprecht? fragte Heinz teilnehmend. Keine ist unsühnbar, als die gegen Gott selbst gerichtet war.

      Der Alte ließ den Kopf auf die Brust sinken. Diese doch – diese doch, antwortete er. Es wäre Gotteslästerung, zu behaupten, daß ein Priester sie vergeben könne. Eine schwerere Buße, als die er auszudenken vermöchte, habe ich mir selbst auferlegt, aber das Gewissen schweigt nicht und verwirrt mir die Sinne, daß ich mit Augen sehe und mit Ohren höre, was nicht da ist, und mein Leben lang bin ich ein elender Mann. Oh – oh – oh!

      Er seufzte aus tiefster Brust und starrte wie abwesend vor sich hin.

      Erleichtert Euch, bat Heinz, indem er sich seitwärts auf die Lade setzte. Teilt mir mit, was Euch so schwer bedrückt.

      Ich werde Euch nicht helfen können, aber auch das schon ist Trost, mit seinem Leide nicht mehr allein sein zu dürfen.

      Der Waldmeister nickte. Es ist Trost. Und Ihr gerade. – Es mag Sinnenverblendnis sein, wie der Teufel denn allemal gern mit sündigen Seelen spielt; aber Ihr habt nun einmal diese traurige Erinnerung wieder in mir geweckt – sei's drum! Ihr sollt alles erfahren. Einen jähzornigen Mann habt Ihr mich genannt, Junker, und Ihr sollt recht haben. Als Knabe war ich schon von heftiger Gemütsart, und wenn mir das Herz schwoll, achtete ich nicht darauf, ob ich einen oder zehn gegen mich hatte, sondern schlug zu, wohin ich traf. Aber das Herz schwoll mir nur, wenn ich Unrecht litt oder Unrecht sah; sonst war ich in allem bedacht und gut zu leiden. Das war mir aber mitgegeben von meiner Mutter, einer Friesin, die schwere Schicksale erlebt hatte und durch arge Ränke der Feinde ihrer Familie um Haus und Hof gebracht war, daß sie nun in der Fremde Dienst tun mußte. Als sie meinen Vater heiratete, verlangte sie dessen Schwur, daß er sie rächen wollte, und er leistete ihn. So trug sie sich immer mit Gedanken, ob es schon an der Zeit sei, und nährte im stillen ihren Zorn. Als ich sechs Jahre alt, zog mein Vater aus, der Mutter Erbe zurückzugewinnen. Er verbündete sich mit anderen Unzufriedenen, und es kam zum Schwertkampf. Er erlag. Meine Mutter hatte seitdem keinen frohen Tag mehr. Sie verzweifelte an Gottes Gerechtigkeit und starb im Wahnsinn. Meiner hatte sich ein vornehmer Herr angenommen, der über viel Land und Leute gebot und auch große Waldungen sein Eigentum nannte. Er gab mich zu einem Waldwart und setzte mich, als ich erwachsen und in jedem weidmännischen Brauch wohl erfahren war, selbst in ein Jägerhaus ein. Es lag fern vom Schloß, nahe der Grenze, und selten sah ich andere Leute als Holzschläger und Wilddiebe. Aber mir war es nicht einsam, seit ich ein Weib gefunden hatte, das mich von ganzem Herzen liebte. Gott schenkte uns auch ein Töchterchen, ein wundersam schönes Kind, und nun war unser Glück voll.

      Er stützte den Kopf in die Hand und schien ganz in Gedanken verloren. Nach einer Weile fuhr er fort: Ja, sie war wundersam schön, die Kleine. Sie hatte ihrer Großmutter, der Friesin, lichtes Haar, und sah aus wie heller Sonnenschein. Meine Frau hatte ihr ein rotes Käppchen gemacht, und nun nannten wir sie unser Rotkäppchen, und ich sagte immer: sie kann durch den tiefsten Wald gehen ganz allein, Bär und Wolf tun ihr nichts an. Wie Mechthild dann schlank aufwuchs, hatte jeder seine Freude, sie zu sehen, und wo sie sich zeigte, wurde es still, und selbst die rohen Waldleute wagten in ihrer Nähe kein unzüchtig Wort. Wir aber lehrten sie, was wir wußten, und waren ihrer Liebe froh. So wurde sie sechzehn Jahre alt und ging in ihr siebzehntes, und hatte von der Welt noch gar wenig gesehen. Da veranstaltete mein gnädiger Herr im Herbst eine große Jagd und kam mit vielen Gästen von hohem Adel, lustigen Junkern und stattlichen Knechten, und lag drei Tage lang in meinem Hause und in den Waldhütten rundum, die wir aus Baumzweigen erbaut hatten, und sagte beim Abschied: Ich bin zufrieden mit dir, Meinhard, du hast uns gut aufgenommen, und in deinem Walde jagt sich's gut. Und schenkte meiner Frau ein feines Tuch zum Kleide und meiner Tochter ein güldenes Kettlein, um den Hals zu tragen. Das gefiel ihr sehr, und sie putzte sich gern damit in aller Unschuld. Nun könne sie wohl auch zu Hofe gehen, meinte sie, und würde überall angesehen sein. Darüber lachten wir und dachten bei uns: sie weiß nicht, wie schön sie ist, und daß das Kettlein sie nicht schöner macht.

      Wieder schwieg er und nickte mit dem Kopfe und lächelte ganz eigen. Dann erzählte er weiter: Kurze Zeit darauf geschah es, daß ein junger Bursche zu mir kam und einen Brief von meinem gnädigen Herrn brachte. Darin stand, daß er guter Leute Kind sei und ein Jäger werden wolle, und daß ich ihn unterweisen möge in allem, was ich von Wald und Wild wüßte. Er nannte sich Leuthold und war kräftig gewachsen und hatte krauses, blondes Haar wie Ihr, Junker. Ich nahm ihn bei mir auf, wie mir geboten war, und fand ihn willig in allem, was ich ihm aufgab, so daß ich ihn lieb gewann. Es war mir auch wenig zuwider, daß er sich oft den Grenzleuten als ein herrischer und gewalttätiger Geselle zeigte, da er gute Ordnung schaffte und seinen Übermut niemals gegen mich kehrte. Den СКАЧАТЬ