Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Man sollte ferner glauben, wenn man die klassischen Scherze, die sub rosa geflüsterten Anspielungen, die wunderlichen Dialoge in der Augensprache anhört, trotz des gehaltenen Wesens und trotz der völligen Herrschaft über sich selbst, die jeder einzelne dieser säuselnden und wie auf Schmetterlingsflügeln durchs Leben schwebenden Gesellschaft an den Tag legt – taugten sie alle miteinander nicht besonders viel; von gutem christlichen Glauben gar nicht zu reden. Aber auch da würde man irren; denn was den Glauben angeht, so haben sie dessen viel mehr als nötig, und auch darin hat das Zeitalter des Luxus seinen Charakter betätigt. Praktiziert einem dieser Kavaliere aus der Tasche seiner gestickten Weste zum Spaß die Börse, ich will nicht behaupten, daß immer das Jahrhundert des Ueberflusses bis in ihr Inneres hinabgestiegen sei, um sich auch darin breitzumachen; aber das weiß ich, daß ihr ein wunderliches, schwarzbraunes Säcklein findet, aus dem ihr nicht klug werdet, bis ich euch sage, daß dieser Stoff von den Häuten der Fledermaus ist, die Glück im Spiele gibt. Nun wieder hinein damit. Da – ihr fühlt ein einziges Geldstück noch in der Tasche; das ist ein Mansfelder Davidgulden, der unverwundbar macht, denn er springt jedesmal der Kugel und dem Stiche entgegen, die auf den Träger gerichtet werden.
Und nun – die Frivolität ist ansteckend – jene Dame mit der hochgewölbten Trompeuse: noch eine Untersuchung. Ihr findet, wenn auch sonst nicht viel, mindestens ein Amulett, einen Talisman oder irgendeinen Liebeszauber; auf ihrer Brust aber, an einem Samtbande trägt sie den kleinen goldenen Mops; auch der wird bald versteckt werden müssen, denn es ist die lebhafteste Klatscherei ausgebrochen, die Mitglieder des unschuldigen Mopsordens ständen mit dem Teufel in Verbindung.
In dieser Welt voll Glanz, Ueppigkeit und fröhlichem Leichtsinn war ein strahlender Stern aufgegangen, eine Königin der Schönheit, eine Göttin der Huld, wie die Männer behaupteten, während die Frauen gar nicht begriffen, wie jene so bezaubert sein könnten von einer Erscheinung, die freilich nicht alltäglich sei und allerdings ihr Auffallen habe, aber ihre Vorzüge durch unangenehme Eigenschaften völlig wieder aufwiege. Katharina von Plassenstein sei hochmütig, ungesellig und mokant, behaupteten die Frauen; ganz vollkommen schön – daran fehle auch noch viel. Die Männer fanden sie reizend, im höchsten Grade pikant, und wenn sie mokant sei, so sei es jedenfalls ein beneidenswertes Los, von ihr aufgezogen zu werden, denn sie tue es mit so viel Geist und zugleich mit einer solchen Anmut, daß sie nur ein geschmeicheltes Gefühl zurücklassen könnte. Alle aber fanden es unbegreiflich, wie eine Dame von so viel »Verdienst« so lange sich in einem einsamen öden Stifte habe einschließen lassen mögen.
Daß ihr Stift einsam und öde sei, hatte Katharina erst vor wenigen Monaten gefunden; dies Gefühl war so plötzlich, so überwältigend über sie gekommen, daß sie sich vor ihm hatte in das regere Leben der Residenz flüchten müssen. Sie kannte M. von früherer Zeit her; ein längerer Aufenthalt hatte es ihr damals lieb gemacht; es waren nur frohe oder mindestens angenehme Erinnerungen, die sich für sie an diese Höfe knüpften, durch deren Tore ihre Sänfte jetzt wieder sie trug, an diese schmuckvollen Räume, auf deren getäfeltem Boden ihr kleiner Fuß jetzt wieder zum Menuett anschritt. Aber wie wunderbar fand sie diese Stadt in den wenigen Jahren verändert! Sie fand ihr Leben wie gedämpft, ihre Gesellschaften wie von der Langeweile zusammengebeten, ihre Interessen und Beschäftigungen wie von der Alltäglichkeit diktiert und den Geist ihrer Umgebung wie eine weidende Ziege der Dürftigkeit, die mit einem Strick an einen Pfahl gebunden ist, daß sie über ihren Kreis nicht hinaus kann. Nichts fesselte sie, nichts schien ihr witzig, edel, groß genug, ihre Augen auf sich zu ziehen; endlich, nach langer Zeit, tauchte eine neue Erscheinung in den Kreisen der Residenz auf, die ihr Interesse anzuregen wußte; wunderbarerweise fanden aber alle andern, daß diese gerade die insipideste, ungehobelste und gewöhnlichste von allen sei.
Wir finden sie in einem dieser hellerleuchteten Höfe, aus dessen Sälen eine rauschende Musik schallt, die bis zu den Ohren eines gaffenden Volkshaufens dringt, der draußen lungert und den Inhalt der heranrollenden Karossen bewundert, wenn er über die niederfallenden Schläge und Stufen trippelt und gleich darauf, durch eine Reihe reich galonierter Livreen, von den breiten Stiegen emporgetragen, in das Himmelreich da oben verschwindet. Katharina bewegt sich nicht in den Gesellschaftssälen; sie war einsam auf ihrem Zimmer; die einfache Ordenstracht ist abgeworfen, um ihre schlanke Taille bauscht der Reifrock und die Adrienne und die hohe Coiffure hebt die Höhe ihrer Gestalt hervor. Aber ohne Rücksicht auf den kostbaren Ballanzug hat sie sich in einen Sessel geworfen, die Hände über der Rückenlehne gefaltet und darauf die Stirn gedrückt.
Was sie sinnen mag? – Ich weiß es nicht; aber es gibt viel, das zum Sinnen bringt, viel, das auch den Menschen im leichten Ballstaat auf die kühlen frostigen Höhen des Gedankens empordrängt. Es kommt eine Zeit, wo die Fassungskraft der inneren Sinne gereift ist und mit seinem größeren Umfassungsvermögen das Ohr nicht mehr den Lärm, sondern die stille Schweigsamkeit der Welt zuerst heraushört; nicht mehr das fröhliche Toben und Rauschen und Treiben des Lebens, sondern die Totenstille sich ihm aufdrängt, die der Lärm vergebens zu übertäuben strebt, indem es ihr in das drohende, verbissene Antlitz lacht.
Es kommt eine Zeit, wo die Illusionen schwinden und das Leben in seiner nackten Wirklichkeit vor uns tritt. Nichts in der Welt mag öfter ausgesprochen sein; aber die meisten, die es aussprechen, sagen es andern nach, wenn irgendeine ihrer Hoffnungen fehlschlägt, irgendein Mißgeschick ihre Wege kreuzt; die wenigsten mögen die Behauptung aus eigener innerer Erfahrung aussprechen, weil sie nie viel Illusionen gehabt haben, die schwinden könnten. Die meisten finden das Leben so, wie sie es sich immer gedacht haben, nicht weil es wirklich so wäre, sondern weil ihnen das Vermögen fehlt, zu sehen, zu fühlen, wie es wirklich ist. – Es gehört Phantasie und Gefühl dazu, Illusionen zu haben; sich eine Unendlichkeit von Glück durch Liebe, von Glanz durch Gedankenhoheit, von Schönheit durch Gotterfülltheit ins Leben zu träumen, alles das nahe, erfaßbar vor sich zu wähnen, zu schwelgen in der Freude darüber. Und nun zu der unseligen Reife des Gedankens und der Erfahrung zu gelangen, welche die innere Schäbigkeit des Weltlaufs durchschaut, die sich selber als unabweisbare Wahrheit und Ueberzeugung gestehen muß, daß alle Illusionen eben Illusionen waren, daß nichts von all dem schönen Glauben, in dem man glücklich gewesen ist, sich erfüllt; – das heißt, jene Bemerkung in ihrer vollen Wahrheit fühlen; das ist, was sinnend, träumerisch und traurig macht; das heißt, den Königsmantel, den das Leben um die Schultern geschlagen hat, weggerissen und darunter den wundgepeitschten Rücken sehen; es heißt, die türkische Braut seiner Zukunft, die verhüllt und verschleiert einem angetraut ist, endlich genuß- und liebebedürftig ihrer Stirnbinden, ihrer Schleier berauben dürfen und – eine gelbe, schmutzige Sklavin finden.
Jeder Mensch, der so über die Schwelle seines Illusionenbaues geführt wird, durchmißt den umgekehrten Lebenslauf, den der Sänger von Florenz machte; er tritt aus der vita nuova seiner Jugendhoffnungen in das alte Leben, welches die Welt lebt, und während jener in dem neuen Leben anfing zu denken und zu philosophieren, drängt sich dem anderen das Denken in dem alten Leben auf; für die Poesie, die ihm entrissen wird, greift er nach einem für seine Ruhe gefährlichen und schlimmen Surrogat, der Philosophie.
Die Philosophie einer Frau ist – mit wenigen Ausnahmen der männlicheren Geister unter ihnen – getäuschte oder unbefriedigte Liebe; oder es ist der Druck des Müßiggangs ihrer Gefühle, der auf ihnen liegt, und wie das Druckwerk einer Wasserkunst die Springbrunnen ihrer Gedanken öffnet und in vollen Garben aufsprudeln läßt. Die Liebe macht sie poetisch und ihr Schwinden philosophisch; und indem wir uns wieder zu unsrer Heldin wenden, fragt es sich also, ob ihr Sinnen ein poetisches Träumen oder ein philosophisches Nachdenken über die Nichtigkeit der irdischen Dinge gewesen sei? Machen wir den Beobachter.
Nur einen Korridor und ein Vorzimmer von ihr entfernt summt, rauscht, lacht, flüstert die Gesellschaft, klappert mit den Spielmarken, wedelt mit den Fächern, СКАЧАТЬ