Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Gott steh' uns bei,« atmete der Vikar auf; »das wäre uns beinahe übel bekommen!«
»Mein Gott, mein Gott, was war das?« stöhnte Herr von Driesch.
Der Vikar half dem gnädigen Herrn wieder auf die Beine.
»Was das war, weiß der Himmel. Kommen Ew. Gnaden, wir haben für diese Nacht genug gesehen. Wir wollen zu Bette gehen und dem lieben Gott das übrige anheimstellen. Von dieser Welt war es nicht.«
Zu Bette gehen! das ließ sich leichter sagen als ausführen. Das Gehen war Herrn von Driesch vergangen; seine Knie schlotterten, der Vikar mußte ihn aufrecht halten und halb in seine Schlafkammer tragen, wo der Geistliche sich aufs Sofa warf, denn für nichts in der Welt wäre der Gutsherr den Rest der Nacht hindurch allein geblieben. Beide brachten ihn zu, sich ihre gegenseitigen Ansichten und Vermutungen über die Sache mitzuteilen und auch den Beschluß festzustellen, niemand fürs erste etwas von dem Abenteuer zu sagen.
Den Leuchter, den die Gestalt von dem Tische fortgenommen hatte, fand man am andern Morgen auf dem Hofe liegen. Auch die Füllung in den Lambris zeigte sich noch geöffnet; es war ein Wandschrank dahinter angebracht, von dem Herr von Driesch früher nichts gewußt hatte. In dem Holze war auch der Messerstich zu sehen, den die Gestalt gemacht hatte; in dem Schranke selbst aber fand sich nichts als ein paar alte Lappen, ein leerer Latwergentopf und das verrostete Radschloß einer Flinte, wie man sie in alten Zeiten gebrauchte.
Zweites Kapitel
Der Frühling war ins Land gekommen, auf jene unmerkliche und durchaus nicht angenehme Art, wie er sich in Westfalen ankündigt, wo das im ganzen milde Klima des Winters bis tief in die Sommermonate hinein herrschend bleibt. Schnee, der gleich wieder zerschmolz, warmer Sonnenschein am Mittage, eine naßkalte Luft am Abend und Morgen machten die Tage unangenehm und der Wind, der bald aus dieser, bald aus jener Ecke wehte, ließ fürs erste keine günstige Aenderung hoffen.
Es war an einem Nachmittage, der sich durch seine Freundlichkeit vor vielen jüngst vergangenen auszeichnete, als ein Reiter, von einem Bedienten gefolgt, des Weges zog, der aus dem Innern des Landes nach dem Rheine und seitwärts ab nach dem Herrenhause von Diependahl führte. Der Reisende schien einen langen Weg zurückgelegt zu haben, denn sein Tier war nicht allein, ebenso wie er selbst, stark von Kot bespritzt, sondern schritt auch matt und müde voran, ohne durch die Sporen seines Herrn viel aufgeregter zu werden. Dieser war eine sehr kräftige und sehr hohe Figur, mit gebräunten aber nicht unschönen Zügen, obwohl sie vor Wetter und Wind wenig geschont und etwas abgespannt schienen. Auch lag eine starke Narbe über die linke Wange, halb bedeckt von dem schwarzgefärbten und gesteiften Schnurrbart, der rechts und links, an den Enden wie eine Nadel spitz gedreht, weiter als die Breite des Gesichts vorragte. Der Reiter trug einen hellblauen Uniformrock mit orangegelben Aufschlägen, an dessen Tressen Kundige erkannt hätten, daß sein Inhaber den Grad eines Leutnants in der ***schen Armee bekleidete; außerdem einen dreieckigen Hut, unter dem ein langer und zierlich geflochtener Zopf über den Rücken niederhing, während über dem National ein kleiner Federbusch nickte. Beinkleider von weißem Hirschleder und hohe Reiterstiefel vollendeten den Anzug; außerdem war der Fremde bewaffnet und führte einen schweren Mantelsack hinten auf dem Sattelkissen. Auch der Bediente stak in der steifen und unzweckmäßigen Uniform, in der die Helden jener guten alten Zeit ihre eingeschnürte Figur zur Schau trugen; meist lang aufgeschossene Burschen, einer gerade wie der andre, bildeten sie die verkörperten Alexandriner des Kriegstheaters, während die Damen jener Tage in den runden Fischbeingestellen ihrer Vertugadins das Rondeau vorstellten, dessen zierliches und galantes Lächeln, versetzt mit einem Anhauch von anmutiger Neckerei, auf ihren Lippen schwebte.
»Peter,« sagte der Offizier, sich auf seinem Pferde zurückwendend, »komm einmal heran!«
Der Soldat stachelte seinen Gaul vor: »Befehlen Herr Leutnant!«
»Hör' Bursche, wir wissen nicht, zu welchen Leuten wir kommen; sei einmal kein Esel, sondern besonnen und vorsichtig; halt dich stille, aber mach Augen und Ohren auf; verstehst du mich? Mach dich an irgendeins der Mädchen, die viel bei der Herrschaft ist, bei Tische aufwartet oder irgendwo sonst ein Wort aufschnappt.«
»Ich will schon kundschaften,« sagte der Soldat.
»Wenn man dich die Nacht über fern von mir einquartieren will, so leid es nicht; sag', ich wäre gewohnt, dich nachts in meiner Nähe zu haben; hab' auch ein Auge auf die Pistolen und sorg', daß das Pulver auf der Pfanne nicht feucht wird. Laß die Sättel heute nacht auf den Pferden.«
»Befehlen Herr Leutnant!«
»Das wird das alte Kastell sein; es ist wüst, wie es scheint, aber es wird sich schon etwas daraus machen lassen; die Lage ist nicht übel.«
Die Hufe der Pferde schlugen die Planken einer Brücke und gleich darauf das unebene und höckerige Pflaster des Hofes von Diependahl.
Der lange Junker Philipp stand in Hemdärmeln und baute im Scheine der sinkenden Abendsonne mit einem Beile Tannenstämmchen zu Bohnenstangen zurecht; als er die beiden Reiter geradeswegs auf den Hof zukommen sah, sprang er erschrocken in das Herrenhaus.
Der Freiherr von Katterbach, dem wie ein Damoklesschwert ein Urteil der pfälzischen Hofkammer in Untersuchungssachen wegen seiner Angriffe auf den von Driesch überm Haupte schwebte und der nur den Trost hatte, den auch Damokles sich nachgerade gemacht haben mag, daß das Schwert doch immer hing und nie fiel – war die Nachricht, daß zwei bewaffnete Reiter, einem Militärkommando so ähnlich wie ein Ei dem andern, auf seinem Hofe hielten, höchst unangenehm. Er wanderte gerade ruhig durch den Flur, um in ein gegenüberliegendes Zimmer zu gehen, als Philipp durch die offene Haustür hereinsprang, ihn am Aermel faßte und leise zuflüsterte: »Zwei Dragoner, Vetter; da, sie sind schon abgestiegen!« Der Freiherr stieß einen Fluch aus. »Philipp, hol' die Knechte und die Halfner zusammen – denen wollen wir heimleuchten!«
Die beiden Fremden hatten ihre Pferde an ein Gartengitter gebunden und traten über die beiden Stufen, die ins Haus führten. Philipp, der sich nicht in Hemdärmeln mit einem Beile in der Hand überraschen lassen wollte, sprang hinter den geöffneten Flügel der Haustür, während der Hofrat mit untergeschlagenen Armen schweigend dastand, die Runzeln seines Gesichts in eine durchaus nicht gastliche Physiognomie verzog und die Ankommenden erwartete.
Sporen und Säbel klirrten auf der Flur; der Leutnant machte einen militärischen Gruß und verlangte den Hofrat СКАЧАТЬ