Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Читать онлайн книгу Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe - Levin Schücking страница 143

Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ Worten der Frau aschfahl im Gesicht geworden. Wenn irgendein Wort in der Welt geeignet war, auf ihn einen niederschmetternden Eindruck zu machen, so war es das Wort: »der Schlag«. Am Schlage waren seine glorreichen Väter seit drei Generationen gestorben. Vor dem Schlage zitterte das Mark in seinen Gebeinen. Selbst seine Ärzte wagten nicht, das Wort vor ihm auszusprechen.

      »Dies ist eine schreckliche Verschwörung«, sagte er deshalb kleinlaut und gedemütigt, sich immer mehr zurückziehend. »Diese Frau ermordet mich, Wrechten. Führen Sie mich fort, wo sind Sie, Wrechten? führen Sie mich fort«, und dabei machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand, und die Worte stammelnd: »Die Frau ist mein Tod!« nahm er, rückwärts gehend, das verglaste Auge auf die zürnende Mahnerin geheftet, seinen Rückzug aus der Amtsstube und sofort spornstreichs aus dem Hause.

      Als er fort war, als er draußen, von seinen Leuten mühsam geschoben, glücklich im Sattel saß und an den Gräbern, die rechts und links an seinem Wege lagen, entlang, hinter den Strebepfeilern der Kirche verschwand – da sank die Flamme der Erregung, die in der armen Frau aufgelodert war, zusammen. Ein Strom von Tränen quoll über ihre Wangen. Sie hörte, sie bemerkte gar nicht, daß endlich der zu Tode erschrockene Vogt sich von seinem nicht zu beschreibenden Entsetzen, das ihn bis jetzt hatte starr dastehen lassen, erholte und die vom Schreck versiegelten Lippen öffnete, um einen Strom von Klagen, Vorwürfen, Verwünschungen über sie zu ergießen, einen Strom, der mit dem aus tiefster Seele hervorbrechenden Jammerruf endete: »Nein, die Frau ist zu dumm!«

      »Ich fürchte, das kostet uns allen hier den Hals!« sagte Schilling und zeigte seine Leichenbittermiene von tödlicher Blässe bedeckt.

      Auch Hubert hatte während des Vorigen wie von Überraschung an den Boden gefesselt gestanden; jetzt aber war er längst auf die Frau zugeeilt, in die Knie war er vor ihr gefallen, und so drückte er ihre beiden Hände stürmisch an seine Lippen, während er ausrief: »Weinen Sie nicht, weinen Sie doch nicht – es war groß, es war heldenmütig von Ihnen – Sie sind ja wie eine Heilige – Sie haben wie der Engel mit dem feurigen Schwert den Feind in die Flucht geschlagen, Sie haben uns alle gerettet!«

      Zehntes Kapitel

       Unters Militär!

       Inhaltsverzeichnis

      Die stille Frau hatte sich erhoben und war zum Zimmer hinausgewankt. Der Vogt raufte sich in seiner Verzweiflung das Haar, während Schilling ihn stumm beobachtete und im Anblick dieses Kummers nach und nach die Befriedigung fand, die ihm über sein eigenes innerliches Entsetztsein hinweghalf. Denn Schilling war zwar das allmächtige Faktotum seines Vorgesetzten und lenkte ihn in allen amtlichen Geschäften, wie der Herr die Wasserbäche. Das hinderte aber nicht, daß Schilling seinen Vogt mit denselben Augen betrachtete wie alle übrigen Mitgeschöpfe, welche mit ihm die Luft dieses stillen und abgeschiedenen Tales voll idyllischer Ruhe und Frieden atmeten, nämlich mit entschiedener Mißgunst und Schadenfreude. Ja, er war eine boshafte, schadenfrohe Seele, der Amtsbote von Elsen. Dafür war er ein armer, vielgeplagter Schelm. Er mußte hinaus in Wetter und Wind. Er mußte den Bauern Ladungen, Strafurteile, Mahnzettel und andere angenehme Eröffnungen bringen, bei welchen der Gelassenste und Sanftmütigste den Boten, so unschuldig dieser daran ist, doch mit aller Intensität seines Begehrungsvermögens zum Henker wünscht. Er war der Vermittler aller Drangsale, welche eine arme Bevölkerung heimsuchten, und es schien, er hatte früh instinktartig gefühlt, daß dies ein entsetzlicher Lebensberuf sein würde, wenn man ihn mit Teilnahme und Wohlwollen für die Betroffenen ausübte. Die Sache erleichterte sich nur dann ganz bedeutend, wenn man sich dabei ein gewisses Behagen anlernte und sorgfältig die zarten Keime der Schadenfreude ausbildete und großzog, welche in jedem Menschen liegen, und die auch Schilling gar nicht ungewöhnlich tief versteckt in seiner Brust vorfand. Er hatte auch gar keine Mühe mit der Entwicklung so glücklicher Anlagen; sie wuchsen von selber, sie wuchsen mit jedem Tage, an welchem er müde, durchnäßt und hungrig in seine Hütte zurückkehrte; mit jedem Tage, an welchem er aus Ungeduld über seines Vogts unbehilfliche, endlos schleppende, nie zum Ende kommende Behandlung der einfachsten Geschäfte, die ihn warten, stehen, rennen und mit Warten, Stehen, Rennen immer aufs neue beginnen ließ, hätte aus der Haut fahren mögen; mit jedem Tage, an welchem er sich den bittern Erfahrungssatz wiederholte, daß ein armer, von einem Jammersold zehrender Unterbeamter zu dem Leben eines Hundes verdammt sei.

      Schilling also beruhigte sich jetzt alsbald über seine eigene Sorge, indem er schadenfroh die Verzweiflung seines Vorgesetzten beobachtete. Er überließ diesen darauf sich selber und wandte Hubert seine Aufmerksamkeit zu. »Mache der Herr Student, daß er fortkommt,« sagte er, »je eher, desto besser!«

      Hubert blickte eine Weile auf den Vogt, als ob er eine Meinungsäußerung von diesem erwarte. Der Vogt aber war so tief in seine eigene Ratlosigkeit versunken, daß er sicherlich nicht daran dachte, mit seinem Rat jemand anderm beizustehen – er beschäftigte sich in diesem Augenblick damit, in erschrecklicher Trostlosigkeit mit beiden flachen Händen unaufhörlich auf seine Knie zu schlagen.

      »Ich muß zuerst mit Marie reden«, sagte Hubert nach einer Pause; »wo ist sie? Führen Sie mich zu ihr!«

      Als Hubert in die Wohnstube eintrat, stand Marie auf; mit bleichen Zügen, die ihre innere Bewegung verrieten, aber unbefangenen Blicks trat sie ihm entgegen und reichte ihm lebhaft ihre Rechte.

      »Ich habe von meiner Mutter gehört,« sagte sie, »was Sie für mich getan haben. Ich danke Ihnen aus voller Seele dafür – mein ganzes Leben hindurch wird die Dankbarkeit für Ihre Hochherzigkeit nicht in mir erlöschen.«

      Hubert schüttelte einen Augenblick schweigend die Hand, welche ihm mit so warmem Druck entgegenkam. »Ich wollte, die Gefahr wäre größer gewesen«, antwortete er dann: »ich würde Ihnen zuliebe größern Gefahren trotzen als dieser, die mich freilich zu einer weitern Flucht zwingt, sobald wir uns gegenseitig ausgesprochen und darüber verständigt haben ... daß ...«

      »Nun daß ...«

      Marie blickte fragend zu ihm auf. Sie begegnete einem Blicke, der sie plötzlich über und über erröten machte. Rasch entzog sie ihm die Hand, welche er noch immer gefaßt hielt, und trat ein paar Schritte zurück.

      Huberts Verlegenheit stieg. Es ging ihm eine Ahnung auf, daß er Mariens Herzlichkeit vollständig mißverstanden.

      Stotternd sagte er endlich: »Glauben Sie nicht, Marie, daß ich Vorteile aus unserer Lage ziehen will, die Sie ... vielleicht nicht ... mir einräumen wollen ... ich habe wirklich nicht im entferntesten gedacht ...«

      Marie wandte sich ab und nahm rasch ihren vorigen Platz hinter dem kleinen Nähtische wieder ein, hinter welchem sie gesessen, als ob sie etwas wie einen Schutz dahinter suche.

      »Wie könnt' ich von Ihnen etwas Unehrenhaftes glauben,« sagte sie dann, »ich meine, wir haben uns verstanden und können dies Gespräch fallen lassen.«

      Die stille Frau hatte unterdes die beiden jungen Leute aufmerksam beobachtet und offenbar nicht verstanden.

      »Meine Tochter«, sagte sie leise, »hat, wie ich fürchte, eine andere Neigung. Es kann aber niemals etwas daraus werden. Sie wird es bald einsehen und sich besinnen. Lassen Sie ihr Zeit dazu. Mir werden Sie willkommen und lieb sein. Sie sind erzogen von einem guten und redlichen Manne. Ich vertraue Ihnen. Aber Ihres Bleibens ist nicht länger hier, Sie müssen sich retten.«

      »Also auch Sie, die so mutig den Feind in die Flucht geschlagen, Sie glauben noch an Gefahr? – Gut denn; aber ich gehe nicht eher, als bis ich auch Marien in Sicherheit weiß!«

      Die stille Frau schwieg СКАЧАТЬ