Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ nach Herzenslust die Gräber zertreten und die Blumen fressen ließen, welche hier und da eine dieser Ruhestätten der Dorfbewohner schmückten.

      Die ersten Worte, womit Seine Erlaucht ihren Besuch bei dem Vogt eingeleitet, waren Hubert entgangen. Als der Student eintrat, fixierte ihn der Gewaltige und fragte, mit der Reitpeitsche, die er in der Hand hielt, auf ihn deutend: »Wer ist das?«

      »Ein armer Student aus Köln, dem ich ein Nachtquartier gegeben habe, Erlaucht«, antwortete der Vogt.

      »Ein Student ... so? Was braucht Er für solche Leute Herberge zu halten, Vogt? Hernächst heißt's, das Gehalt langt nicht. Auf die Art langt's freilich nicht! Der Bursche sieht ja aus, als ob er krank wäre ... komm' Er einmal näher, Er!«

      Und dabei winkten Seine Erlaucht Hubert gebieterisch heran und geruhten, als der Student ihnen näher trat, gnädigst hinzuzusetzen: »Teufel, ja ... wie ein von Motten zerfressener Pelzhandschuh sieht er aus – was fehlt Ihm – das kalte Fieber?«

      Hubert hatte einige Augenblicke nötig, um sich in das Wesen dieses Mannes und die Art, wie er ihn behandelte, zu finden; da er aber, ohne lange zu fragen, aus allem schließen konnte, daß er vor dem souveränen Gebieter und Landesherr stehe, so fügte er sich in das Los, für eine Zeitlang der Gegenstand der gräflichen Herablassung zu werden, und antwortete ruhig:

      »Ich litt allerdings an einem Fieber, aber an keinem Wechselfieber, sondern ...«

      »Tut nichts, tut nichts, Fieber ist Fieber, komm' Er noch näher und knie Er da hin.«

      Damit wies der Fürst auf eine Stelle zwischen seinen beiden ausgestreckten Beinen dicht vor sich am Boden, und da er dabei mit einer höchst gebieterischen Bewegung der Hand, in welcher er seine große Reitpeitsche hielt, auf diese Stelle deutete – so antwortete Hubert halb verlegen und betroffen lächelnd, halb errötend von beginnendem Zorn:

      »Sie halten mich wohl nicht zufällig für einen hoffnungsvollen jungen Hühnerhund, der nur noch etwas Nachhilfe in der Dressur bedarf?«

      »Knie Er dahin, sag' ich Ihm!« schrie der Graf, dunkelrot werdend.

      Der in der Entfernung stehende Mann in Militärtracht, der Adjutant des Grafen, sprang herbei, faßte Hubert an der Schulter, und indem er ihm zuflüsterte:

      »Gehorche Er, gehorche Er, man will Sein Bestes!« drückte er ihn vor dem Gebieter in die Knie nieder.

      Graf Philipp hatte unterdes seinen Handschuh abgezogen und seine Reitpeitsche dem Vogt zu halten gegeben. Er streckte jetzt mit großer Grandezza seine Rechte aus und legte sie auf des Studenten Haupt. Hubert fühlte, daß, während die übrige Hand schwer und wuchtig auf seinem Schädel liegen blieb, der kleine Finger derselben ohne Aufhören die Bewegung des Kreuzes darauf machte.

      Graf Philipp murmelte nun eine Minute lang unverständliche Worte zwischen den Zähnen; dann stemmte er seine Faust auf seinen Schenkel und sagte:

      »Steh' Er nur auf jetzt. Jetzt ist Er kuriert! ... Er glaubt's nicht, he?«

      »In der Tat, Erlaucht, ich glaube es nicht. Ich glaube überhaupt nicht an sympathetische Kuren.«

      »So ... Er glaubt nicht an sympathetische Kuren? Wer sagt Ihm, daß es Sympathie ist? He? Es ist der Graf von Ruppenstein, der Ihn durch Händeauflegen kuriert. Die von Ruppenstein heilen durch Händeauflegen.«

      »Wie die Könige von Frankreich mit ihrem: Roi te touche. Dieu te guérisse (der König berührt dich – möge Gott dich heilen)?« fragte Hubert mit einer Ironie, auf welche Graf Philipp viel zu wenig zu stoßen gewohnt war, als daß er sie bemerkt hätte.

      »Weiß Er das? Ja, so ist es. Es ist brav, daß Er was Tüchtiges gelernt hat. – Hat Er kein Zahnweh?«

      »Ich bedauere, daß ich nicht damit aufwarten kann ...«

      »Vogt,« fuhr der Graf fort, »Sein Weib hat zuweilen Zahnweh; hat sie jetzt keins?«

      »Seit Erlaucht sie das letzte Mal kuriert haben, hat sie nie wieder davon etwas verspürt.«

      »Sieht Er wohl«, wandte sich der Graf an Hubert. »Wie lange ist es her, Vogt?«

      »Mögen bereits drei bis vier Jährlein sein, hochgräfliche Erlaucht.«

      »Sieht Er wohl?« rief der Graf abermals aus. »Und wie ist es mit Seinem langen Amtsdiener, dem Groschen oder Schilling, oder wie heißt der Mensch, der immer Zahnweh hat ...? Komm' Er einmal her. Er Storchbein!«

      Schilling trat aus dem Winkel hinter dem Kachelofen, wo er sich bis jetzt möglichst unsichtbar gemacht hatte, vor, mit einer kläglichen Miene, die nicht in dem leisesten Zuge den Schalk, der sich dahinter versteckte, verriet; und indem er mit seinen langen behaarten Fingern ohne Unterlaß über die untere Kinnlade fuhr, sagte er: »Erlaucht, hier sitzt es – hier, es ist ganz erschrecklich ...«

      »Hinknien!« geruhten Seine Erlaucht zu befehlen. Schilling kniete an derselben Stelle, von der Hubert sich eben erhoben hatte.

      »Mund auf!« fuhr der Graf fort.

      Schilling öffnete mit Hast wie eine weite Flügeltür den Zugang zum verborgenen Innern seines physiologischen Systems. Der Graf fuhr mit dem Zeigefinger hinein und machte sich damit an den Zähnen zu schaffen, auf welche Schilling gedeutet hatte. Dieser stieß dabei tiefe, tiefe Seufzer aus, wie die eines Menschen, der eben erleichtert aufatmet beim allmählichen Verschwinden eines unleidlichen Schmerzes.

      Der Graf murmelte unterdes seinen mysteriösen Spruch; als er fertig war, sagte er:

      »Er spürt's schon – das tut Ihm gut, nicht wahr? Nun geh' Er, bleiben Ihm in Gnaden gewogen.«

      »Ich bin wie im Himmel!« sagte Schilling und ging zu seinem alten Platz zurück, »wie im Himmel!«

      Wie im Himmel, sagte Schilling. Es war ein kühner Vergleich; er war zu kühn. Denn gesetzt auch, Schilling hätte, was wir bezweifeln dürfen, vorher einen ganz entsetzlichen Schmerz an seinen Zähnen empfunden und ihn schwinden gefühlt, so konnte doch nur eine ganz überschwengliche und krankhaft gereizte Phantasie sich in dieser Amtsstube und dem Antlitze Philipp III. von Ruppenstein gegenüber in den Himmel träumen.

      Der Graf zog seinen Handschuh wieder an. »Vogt,« sagte er, »was wir Ihm sagen wollten, wir haben mißfällig bemerkt, daß die Pöngelder und Brüchten aus Seiner Vogtei mit jedem Jahre geringer werden. In den Kameralregistern figuriert die Vogtei Elsen immer mit dem geringsten Item. Wie kommt das? Will Er mir weismachen, daß das Volk in Seiner Vogtei weniger Kontraventionen mache und etwa redlicher sei als in den andern? Larifari! Was tu' ich mit der Redlichkeit! Er paßt dem Volke nicht auf die Finger! Wie ist's mit den Scortengeldern? Seit zwei Jahren ist aus Seiner Vogtei kein Scortengeld mehr eingelaufen. Wie kommt das? Kann Er sich dawider verdefendieren?«

      »Wir haben, Gott sei Dank, seitdem keine Gefallene mehr in unsern Gemeinden gehabt, hochgräfliche Erlaucht, keine einzige«, antwortete der Vogt schüchtern.

      »Keine Gefallene? In fünf Dörfern? Seit zwei Jahren? Wahrhaftig, es sollte mir leid tun! Ist Er ein Kind, Vogt, oder glaubt Er, ich sei eins? Weiß Er was, wir werden der Renitenz wider diese Abgabe ein Ende machen; wir werden Ihm mit nächstem ein Dekret zufertigen lassen, daß Er von nun an das Scortengeld jährlich ohne Ausnahme von jedem Hause in Seiner Vogtei zu erheben hat!«

      »Das ist allerdings der СКАЧАТЬ