Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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»Gott gebe es«, antwortete Hubert; »aber es ist ein wunderliches Land hier, wo die Menschen sich hinter feste Mauern flüchten müssen, weil die, welche die Macht haben, bei ihren Leidenschaften sich weder um Gesetz noch Recht scheinen kümmern zu brauchen. Es ist wahrhaftig schade, daß auf diesen öden und rauhen Bergkuppen nicht die alte heilige Feme mehr in voller Blüte steht; solch einem Herrn wie diesem Philipp wünscht man von ganzer Seele den Weidenstrick um den Hals. Man begreift aber auch, warum diese kurze und handliche Manier, Ruhe und Frieden zu stiften, just hier im Lande erfunden wurde! – Wollen Sie mir nicht den Namen des Mannes anvertrauen, zu dem Sie Marien bringen werden?«
Die Frau des Vogts schüttelte mit dem Kopfe. »Sie soll dort in Sicherheit und in Ruhe sein vor allem, was sie bedrängen kann«, entgegnete sie. »Ich will seinen Namen niemand nennen. Es ist ein Herr, den Sie ohnehin nicht kennen. Ich war einst als junges Mädchen ein Jahr lang in seinem Hause. Meine Eltern hatten mich dahin gegeben, damit ich das Hauswesen lerne. Seitdem ist er mir gewogen geblieben. Er ist auch gütig gegen Marie gesinnt; er hat mehreremal bei uns vorgesprochen, wenn ihn sein Weg in diese Gegend führte ... Er hat ebenfalls Leid und Kummer um sein Kind getragen, in frühem Jahren, und hat viel erlebt und ist rauh geworden und hart, daß die Menschen ihn fürchten. Aber ich weiß, daß er gut ist. Er wird mich nicht zurückweisen in meinem Elend!«
»So bleibt mir nichts übrig als zu gehen«, sagte Hubert.
»Zögern Sie jetzt nicht länger zu fliehen«, sagte die Frau des Vogts. Die Zeit drängt. Lassen Sie von Schilling sich führen; er wird Ihnen den Weg zeigen, um die nächste Grenze zu erreichen. Kommen Sie, ich will es Schilling selbst auftragen.«
Rasch hatte Hubert sich reisefertig gemacht und stand schon auf dem Flur, und Schilling trat neben ihn, um den Wegweiser zu machen.
Sie gingen über den Kirchhof, dann rechts um die alte Kirche herum, eine Stiege hinab und durch eine lange Dorfgasse.
»Nehmen wir einen Weg,« bemerkte Hubert, »der uns nicht durch die Dudenrodische Hovesaat führt... Gott weiß es, daß ich ein unschuldiger Mensch bin, aber ich habe es hier in wenigen Tagen schon dahin gebracht, daß ich zweier Herren Länder vermeiden muß.«
Sie schritten weiter. Als sie dem Ausgange des Dorfes nahe waren, fragte Hubert: »Wie weit werde ich zu gehen haben, bis ich an die Grenze komme?«
»Eine starke Stunde, das heißt, wenn Sie so weit kommen«, fiel Schilling ein, indem er sich umwandte und stehen blieb.
Auch Hubert wandte sich; er vernahm in diesem Augenblick den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes, das hinter ihnen drein die Dorfgasse herunterkam.
Es war ein Reiter in blauer Uniform, der sich näherte und um den allerlei gelbes Schnür- und Riemenwerk flatterte, als er in voller Hast dahergesprengt kam.
»Das wird doch mir nicht gelten?« rief Hubert erschrocken aus.
Schilling schob mit einer schnellen, unvermuteten Bewegung seinen Arm unter den Huberts, erfaßte diesen und sagte: »Wir werden es ja sehen – der Mann winkt und danach scheint es beinaheso ...«
»Alle Teufel, so lassen Sie mich doch –«
»Damit ich um meinen Dienst bin, wenn ich Sie durchbrennen lasse!«, versetzte Schilling kühl: »daraus wird nichts – nur still gestanden!«
Hubert wollte ihn gewaltsam von sich schleudern, aber Schillings Hand war wie eine eiserne Klammer.
»Nur ruhig!« sagte er mit einer höhnischen Kaltblütigkeit.
»Ein schöner Führer, den man mir mitgegeben hat«, dachte Hubert und war versucht, zornig in des Vogts Redensart: die Frau ist zu dumm! einzustimmen, als der blaue Reiter auf schweißbedecktem Pferde neben ihnen hielt.
»Ist das der Student?« fuhr er Schilling an. »Ja, Herr Kammerhusar – das ist er; er wollte durchgehen, ich habe ihn festgehalten.«
»Brav von ihm,« fuhr der Husar fort, »jetzt kann er helfen, ihn eskortieren.«
»Wohin?«
»Nach Ruppenstein! Er soll unters Militär. Vorwärts!«
Der Mann wandte sein Pferd und zog zugleich ein Pistol aus der Satteltasche hervor, dessen Hahn er spannte. »Vorwärts, vorwärts!« wiederholte er dann barsch.
Hubert begriff zu gut, daß ihm Einwände und Worte hier nicht helfen würden; so schritt er jetzt voran, den Weg, den er gekommen, zurück. Ungefähr eine Viertelstunde vor dem Dorfe begegnete ihm eine schwerfällige alte Karosse, mit einem Kutscher in abgetragener Livree, mit zwei alten, mühsam den schlechten Weg daherkeuchenden Rappen bespannt. In dem Wagen saß eine seltsam und altfränkisch aufgeputzte Dame mit hoher gepuderter Frisur, die sich beim Anblick des Gefangenen aus dem Wagenschlag vorbeugte und mit ihren kleinen blinzelnden Augen neugierig auf den Studenten blickte.
Schilling und der Kammerhusar grüßten sie ehrerbietig, was die Dame mit einer Art stolzer Herablassung erwiderte.
»Wer ist die alte Person?« fragte Hubert, der bis jetzt keinen seiner Begleiter einer Anrede gewürdigt hatte.
»Das ist die Mamsellen-Mutter vom Schloß,« versetzte Schilling, »die besorgt unserer Erlaucht das ganze Hauswesen und hat einen großen Stein bei ihm im Brett. Jetzt wird sie die Mamsell Marie abholen; hab' mir's gedacht, daß es das Ende von der Geschichte sein würde.«
Hubert antwortete nicht. Er fühlte einen dämonischen Zorn, einen unsäglichen Groll in sich aufsteigen, in welchem er etwas wie einen Mord hätte begehen können. Seine jugendfrische offene Natur hatte noch nicht gelernt, sich wie eine feige und sklavische Welt um ihn her fügsam mit dem schreiendsten Unrecht zu vertragen. Der Gewalt gegenüber zuckte in ihm jeder Nerv im Drange nach Vergeltung durch Gewalt. Er dachte an Franz von Ardey; er dachte sich an die Stelle dieses Menschen, der so ruhig sich in die Herrschaft eines bösen Weibes zu fügen schien ... er, in dessen Lage, hätte lieber seine Knechte bewaffnet, alles Gesindel der Gegend angeworben, die Zigeunerdörfer aufgewiegelt und mit ihnen dieses Ruppenstein überfallen, niedergebrannt, vom Erdboden vertilgt, den »Tollen« an langsamem Feuer geröstet, und dann den Karl Moor in den fernen Gebirgen, die mit ihren rauhen baumlosen Kuppen im Osten und Süden vor ihm den Horizont schlossen, gespielt.
Hubert hatte einmal den Karl Moor von einer wandernden Schauspieltruppe aufführen sehen. Er hatte darüber gespottet. Das Stück war ihm vorgekommen wie ein Zerrbild. Er hatte nirgends eine Welt gesehen, wohin es paßte; nirgends Menschen in Fleisch und Blut erblickt, an welche die Ausgeburten des Poeten ihn erinnert hätten. Heute begriff er den Karl Moor und begriff den Poeten!
Noch eine Weile und Ruppenstein lag vor dem Gefangenen und seinen Häschern. Die alten, aus Bruchstein aufgeführten Häuser des Städtleins zogen sich einen Berghang hinan, der in der Mitte zwischen zwei tief in die Bergwände eingeschnittenen Schluchten lag; wenn etwas in dem dürftigen Neste hätte die Habgier eines Feindes oder einer Bande, wie wir vorhin Hubert eine in seinen zornigen Gedanken organisieren sahen, reizen können, so würden jene Schluchten ein Verteidigungsmittel von großem Wert gewesen sein. Jenseits des Orts, auf der halben Höhe des Berges, erhob sich ein massiver mächtiger Steinbau, das Schloß Ruppenstein, die Residenz Philipps des Tollen. Es stand so breit, stolz und selbstbewußt da, als sei der Eckstein der Gerechtigkeit selber hineingemauert, als bärgen sich moralische Schätze in seinem Innern, mehr als irdische СКАЧАТЬ