Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe
Автор: Levin Schücking
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075838650
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Er war durch die entsetzlich lange Fahrt bis aufs äußerste erschöpft, deshalb verlor er, während alles dies mit ihm vorgenommen wurde, den Rest von halbem Bewußtsein, der ihm noch geblieben war, und fühlte nichts mehr von dem, was man weiter mit ihm begann.
Er wußte auch nicht, wie lange dieser Zustand gedauert hatte, als er wieder zum Bewußtsein erwachte. Nachdem er seine Sinne gesammelt und sich allmählich Rechenschaft darüber gegeben hatte, was mit ihm vorgegangen und wie er in seine gegenwärtige Lage geraten, begann er seine Umgebung zu mustern. Er sah sich in einem großen Gemache, das Fenster nach zwei Seiten hatte; an der einen Seite blickte ein beinahe schon kahler, seines rotgelben Laubes fast schon beraubter Bergwald durch die beiden Fenster in das Gemach. Das Bett, in welchem Hubert lag, stand mit dem Kopfende an der diesen Fenstern gegenüber befindlichen Wand, so daß man rechts und links an das Bett herantreten konnte. Es hatte einen Himmel und Vorhänge von verschossenem Baumwollenzeug, das mit großen roten Blumen auf braunem Grunde bedeckt war. Die Fenster dagegen waren ohne Vorhänge, und die Decke des Gemachs ruhte ohne weitern Verputz als einen Kalkanstrich auf massivem, ganz überflüssig dickem Gebälk. Die Wände waren mit dunkeln braunen Ledertapeten, die sich im Laufe der Jahre von ihrem Rahmen losgespannt hatten und in Falten und Bäuchen herabhingen, überzogen, und ihre dunkle Farbe trug dazu bei, dem ganzen Räume etwas sehr Düsteres und Unfreundliches zu geben, das noch dadurch erhöht war, daß man die Fenster in der Wand zur Linken des, Bettes mit Läden verschlossen hatte. Rechts befand sich ein Kamin, dessen Öffnung jedoch mit einem Brett verschlossen war; ein davorgestellter Kachelofen diente zur Erwärmung des Zimmers.
Ein lebendes Wesen fand Hubert, als er diese Beobachtungen machte, nicht in dem Raume. Er war völlig allein, Wenn er einen häßlichen alten Mann mit einem schweren Harnisch und einem roten darübergeworfenen Mantel nicht als Gesellschaft betrachten wollte, der in Lebensgröße sehr schlecht gemalt über dem Kamin hing. Es kam auch niemand – er vernahm auch draußen kein Geräusch – es war so still ringsumher wie in einem verzauberten Schlosse. Daß man ihn jedoch nicht ohne Wartung und Pflege ließ, sah Hubert an den Gegenständen, welche den Nachttisch neben seinem Bette bedeckten. Hier waren Medizinflaschen, Kompressen und Salbentöpfe in erklecklicher Anzahl aufgestellt;... er durfte keinen Augenblick daran zweifeln, daß irgendein ihm unbekannter Kunstgenosse des Doktors Heukeshoven seine Experimente mit ihm machte. Und da augenscheinlich auch etwas wie eine Apotheke in der Nachbarschaft sein mußte, so war damit wenigstens eine tröstlichere Beruhigung, daß Hubert sich in einem zivilisierten Lande befinde, gegeben, als sie einst der reisende Voltaire empfand, wie er einen Galgen erblickte.
Hubert Bender lag lange, wie er glaubte, wohl stundenlang, ohne daß er jemand kommen hörte. Endlich – das abnehmende Licht kündigte bereits den nahenden Abend an – wurde draußen ein sacht auftretender Schritt vernehmbar; die Tür am obern Ende des Raumes öffnete sich leise, und ein Mann in schwarzer Kleidung mit gepuderter Perücke trat herein und näherte sich dem Bette.
Hubert erkannte in ihm den einen der drei Menschen, welche er in dem geheimnisvollen alten Hause erblickt hatte, den Diener, der zu den zwei andern hereingetreten war.
Als der Mann mit der Perücke sein breites und glattes Gesicht, aus dem ein paar stechende und unheimliche kleine Augen hervorleuchteten, über den Kranken beugte und diesen hell wach fand, sagte er:
»Ah ... sind wir endlich ruhig geworden? Sind wir endlich besser? Zwei Tage haben Sie nichts getan als phantasieren.«
»Ich sehe ein, daß dies sehr sträflich von mir war!« bemerkte Hubert. Der sanfte Krankenwärter reichte ihm einen Löffel voll bitter und widrig schmeckender Medizin, den Hubert, während der andere ihm das Haupt stützte, geduldig hinunterschluckte.
»Wünschen Sie nun noch etwas?« fragte der Mann darauf.
Wünschen ... ob Hubert etwas wünschte! Es war eine grausame Frage, gestellt an einen hilflosen Kranken in seiner Lage, von einem Manne, der eben im Begriff stand, eilig wieder das Zimmer zu verlassen ... freilich wünschte Hubert Bender etwas, und vor allen Dingen zuerst Aufklärung über sein Schicksal; und dann wünschte er – aber bevor er sich noch besonnen, wie zu beginnen, war der Mann allbereits verschwunden; nur die Worte: »In einer Stunde wird der Doktor kommen,« sprach er noch, während er fortging, und dann warf er ziemlich laut die Tür hinter sich zu.
Es wurde dunkler und dunkler; die Minuten, die Viertelstunden verrannen, und Hubert fühlte sich unsäglich schwach, mutlos und gebrochen. Er wartete und wartete auf den Doktor, aber der Doktor kam nicht; aus der einen Stunde, von der sein Krankenwärter gesprochen, schienen ihm mindestens drei geworden. Es ward vollständig dunkle Nacht; niemand brachte ihm Licht; draußen vor seinen Fenstern begann eine Eule zu heulen; erst leise in längern Zwischenräumen, dann immer lauter und lauter, als ob sie gleich einem heranschreitenden Verderben immer näher komme, bis sie ganz dicht neben dem Schloßflügel in einem der alten Tannenbäume sitzen mußte, und nun ein entsetzliches Jammergeheul erhob. Zu Huberts weiterer Unterhaltung knusperten und pfiffen Mäuse unter seinem Bette ... es schien eine erkleckliche Anzahl davon vorhanden, und zuweilen trieben sie ihren straflosen Übermut so weit, daß sie an den Bettvorhängen oder Pfosten in die Höhe liefen und über Huberts Decke den Schauplatz ihrer heitern Spiele ausdehnten.
Es war eine trübselige Lage, in welcher unser armer Student sich befand, und ganz gewiß würde er darüber in Verzweiflung geraten sein, wenn er nur die Kraft gehabt hätte, zu verzweifeln. Endlich, endlich ... Hubert glaubte, es müsse acht oder neun Uhr sein ... ließen sich draußen wieder Schritte vernehmen, und zwar lautere, raschere Schritte als vorher; ein Lichtschimmer drang durch die Spalten der alten Tür, gleich darauf wurde die Tür geöffnet, und der schwarzgekleidete Mann von vorhin trat ein, eine brennende Talgkerze auf einem gewundenen Silberleuchter in der Hand. Hinter ihm kam ein kleiner, schmächtiger Mann mit dünnem Zopf, gekleidet in einen braunen Frack mit großen übersponnenen Knöpfen und schmalem, stehendem Kragen, in eine überaus lange grüne Weste und in schwarzstoffene Kniehosen.
»Da ist der Doktor«, sagte der andere, indem er das Licht ohne weiteres schonungslos dem Gesichte Huberts nahe brachte.
»Sagen Sie mir, Herr Doktor,« sagte Hubert, während ihm der Arzt schweigend den Puls fühlte, »wo bin ich hier ... ich weiß weder, wo ...«
»Sie dürfen sich mit solchen Fragen nicht aufregen, mein lieber Herr«, antwortete der Doktor mit einem herablassenden Lächeln. »Sie müssen erst zu Kräften kommen, dann werden Sie es schon erfahren. Man hat Sie in sehr hilflosem Zustande gefunden und aus Mitleid hierher gebracht, um Sie zu pflegen. Halten Sie sich deshalb ganz ruhig und still ...«
»Aber wie soll ich ruhig ...«
»Sie dürfen nur die notwendigsten Worte reden, mehr nicht. Sie müssen vor allem die Halsorgane schonen. Ich verlasse Sie jetzt und komme morgen in der Frühe wieder.«
»Lassen Sie mir wenigstens Licht hier.«
»Herr Baptist wird Ihnen Licht lassen; er wird Ihnen zu essen bringen und dann das Nachtlicht СКАЧАТЬ