Die Todesstrafe I. Jacques Derrida
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Название: Die Todesstrafe I

Автор: Jacques Derrida

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия: Passagen forum

isbn: 9783709250389

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СКАЧАТЬ („Rühre mich nicht an!“20 [einzigartiges Beispiel; das Berühren kommentieren, Jesus berührend berührt, außer in Johannes 20,17]+ 21). Ich werde diese wohlbekannte Passage vorlesen und Ihre Aufmerksamkeit, unter anderem, auf jenen Moment lenken, da die Tränen Marias angesichts der Leinenbinden die Trauer zum Ausdruck bringen, die nicht ausagiert wird, die nicht arbeiten kann, weil das, was Maria angesichts der Leinenbinden beweint, nicht nur der Tod des begrabenen Jesus ist, sondern auch das Verschwinden seines aus dem Grab verschwundenen22 Leichnams. Jesus ist nicht nur tot, dieser zum Tode Verurteilte ist zuallererst ein Verschwundener 23, sein Leichnam ist verschwunden (ebendies bedeuten die entbundenen Leinenbinden zunächst). Der zum Tode Verurteilte ist nicht nur exekutiert worden, der Tote ist ein Verschwundener, außerhalb des Grabes, und der Schmerz ist schlimmer, untröstlicher, das ist der Schmerz der Frau, die nicht in der Lage ist, den Leichnam des Geliebten zu beweinen, nicht in der Lage, ihre Trauerarbeit zu verrichten, wie man so sagt. Ein wenig wie die Antigone, von der wir vor einigen Jahren sprachen24, und die weniger den Tod ihres Vaters beweint, diesmal, nicht ihres Sohnes, als vielmehr die Abwesenheit eines lokalisierbaren Grabmals – und die auf diese Weise beweint, ihre Trauer nicht vor einem Leichnam, einem anwesenden Leichnam ausweinen zu können. Das erinnert auch an den Text aus den Nomoi über den Entzug des Begräbnisses/Grabmals [sépulture], den ich bereits vorgelesen habe.25 Im Fall Christi, in jenem Moment des Evangeliums, gibt es < ein > Begräbnis/ Grabmal, was jedoch auf eine Art Abwesenheit von Grabmal hinausläuft, es gibt auch < ein > Kenotaph, < ein > leeres Grab [tombeau] und Leinenbinden, die die Abwesenheit des Leichnams signieren. Man könnte, ohne allzu viel Pathos, sagen, dass Maria in jenem Moment, als sie angesichts der Leinenbinden den Engeln gegenüber klagt, nicht mehr zu wissen, „wohin sie ihn gelegt haben“, den Leichnam Jesu, eine Präfiguration des Unglücks, der Klage und des Zorns sämtlicher Frauen, Mütter, Töchter und Schwestern der „Verschwundenen unserer Zeit“ darstellt, die, auf den Straßen Chiles, Argentiniens oder Südafrikas, ebenfalls Anklage erheben, die jene anprangern, die Schlimmeres getan haben als ihre Männer zu foltern und zu töten, denn sie haben sie verschwinden lassen, in einem Verschwinden, das bisweilen schlimmer erscheint als der Tod.

      Ich lese jetzt in einem Zug den Abschnitt Johannes 20,1-18:

      Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenommen war.

      Da lief sie schnell zu Simon Petrus und dem anderen Jünger, den Jesus liebte, und sagte zu ihnen: Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben.

      Da gingen Petrus und der andere Jünger hinaus und kamen zum Grab;

      sie liefen beide zusammen, aber weil der andere Jünger schneller war als Petrus, kam er als Erster ans Grab.

      Er beugte sich vor und sah die Leinenbinden liegen, ging jedoch nicht hinein.

      Da kam auch Simon Petrus, der ihm gefolgt war, und ging in das Grab hinein.

      Er sah die Leinenbinden liegen

      Und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.

      Da ging auch der andere Jünger, der als Erster an das Grab gekommen war, hinein; er sah und glaubte.

      Denn sie hatten noch nicht die Schrift verstanden, dass er von den Toten auferstehen müsse.

      Dann kehrten die Jünger wieder nach Hause zurück.

      Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein.

      Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.

      Die Engel sagten zu ihr: Frau, warum weinst Du? Sie antwortete ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt haben.

      Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war.

      Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.

      Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf Hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister.

      Jesus sagte zu ihr: Rühre mich nicht an; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.

      Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.26

      Wie wird dieser einzigartige Augenblick, dieses Dasein ohne Da-sein Christi, dieses Dasein*, das kein Da-sein* ist, dieses Fort/Da-Sein* Christi, der gestorben ist, aber nicht tot ist, der lebendig tot/tot lebendig [mort vivant] ist, der wiederauferstanden, aber noch nicht erhöht ist, der hier ist, ohne hier zu sein, hier, aber da [], dort [là-bas] (fort*, jenseits*), das heißt bereits jenseits, noch ohne jenseits, im Jenseits zu sein, wie wird dieser Moment, diese einzigartige Zeit, die nicht zum gewöhnlichen Ablauf der Zeit gehört, wie wird diese Zeit ohne Zeit sowohl im Tod als Verurteilung zum Tode (als Todesstrafe), im Tod des zum Tode Verurteilten bedeutet, aber auch im Diskurs oder im Bericht, im gewöhnlichen, öffentlichen oder medialen Sprechen, und zuallererst in der Literatur, und hier zum Beispiel im Text von Genet, in seiner poetischen Zeit wie in der Zeit selbst, die – in einer „Geschichte“ (dem, was Genet eine „Geschichte“ und eine „nicht immer künstliche“ Geschichte nennen wird) – den zum Tode Verurteilten an den Evangelisten bindet, an die Rede des Überbringers der Botschaft, der im Übrigen um Vergebung bitten wird? Ich werde Auszüge aus einer langen Passage vorlesen (man müsste alles lesen, oder wiederlesen, Sie sollten es tun), bis zu einer Stelle, an der wir, neben dem „Vergebt mir!“, auf einen Satz stoßen, der vom zum Tode Verurteilten (Weidmann) sagt, dass er ebenfalls jenseits, darüber hinaus sei, wie Christus, einmal von den Leinenbinden entbunden.

      Lesen und kommentieren Notre-Dame-des-Fleurs, S. 9-10 und 12-13 [deutsch: a.a.O., S. 7-8 und 12-14].

      Weidmann, den Kopf umwickelt mit weißen Leinenbinden, Nonne oder verletzter, in Roggenfelder gefallener Flieger, erschien Euch in einer Fünf-Uhr-Ausgabe an einem Septembertag ähnlich dem, an dem der Name von Notre-Dame-des-Fleurs bekannt wurde. Sein schönes Gesicht stürzte, von Maschinen vervielfältigt, auf Paris und Frankreich herab, in die hintersten Winkel vergessener Dörfer, in Schlösser und Hütten, und enthüllte bekümmerten Bürgern, daß ihr Alltag von verzauberten Mördern gestreift wird, die eine tückische, einverstandene Dienstbotentreppe geräuschlos bis an ihren Schlaf führt, durch den sie hindurchschreiten. Unter seinem Bild erstrahlten wie Morgenröte seine Verbrechen (Mord eins, Mord zwei, Mord drei – bis sechs), verkündeten seinen heimlichen Ruhm und bereiteten seinen künftigen Ruhm vor.

      Kurz zuvor hatte der Neger Ange Soleil seine Geliebte getötet.

      Kurz darauf ermordete der Soldat Maurice Pilorge seinen Geliebten Escudero, um ihm etwas weniger als tausend Francs zu stehlen, dann schnitt man ihm zu seinem zwanzigsten Geburtstag den Hals durch, als er gerade, Ihr erinnert euch, dem wütenden Henker eine Nase drehte.

      Ein Fähnrich zur See schließlich, ein Kind noch, verriet um zu verraten: СКАЧАТЬ