Große Werke der Literatur XV. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Form des Lebendigseins ist Wachsein nichts weniger als die Freisetzung des Göttlichen in uns; einem, der ganz wach wäre, könnte man, wie einem Gott, nicht ins Angesicht schauen: „I have never yet met a man who was quite awake. How could I have looked him in the face?“ (90).

      Walden Pond ist ein Mikrokosmos. Im See kristallisiert sich eine Fülle konkreter Naturbeobachtungen ebenso wie symbolischer Assoziationen. Zugleich bietet er Anlass zu globalen Spekulationen, etwa wenn er mit anderen heiligen Gewässern wie dem Ganges in Dialog tritt. Immer wieder verbinden sich zentripetale und zentrifugale, erdgewandte und transzendente Dynamik. Als sich die Gedanken beim nächtlichen Angeln in „vast and cosmogonal themes in other spheres“ (175) verloren haben, werden sie durch ein Zupfen an der Angel wieder ‚geerdet‘. Kontemplation und Meditation wechseln mit Phasen, in denen Thoreau aktiv und bisweilen massiv in die Natur eingreift, etwa wenn er durch Paddelschläge Echoeffekte erzeugt oder durch Positionswechsel den Blickwinkel zum See verändert. Dass Thoreau bei allem Drang, der Natur nahezukommen, auch ein Gefühl für ihre Fremdheit bewahrt, zeigt die Jagd nach dem Taucher (loon). Was immer er anstellt, der Vogel schlägt ihm ein Schnippchen, ja mit seinem ‚Lachen‘ scheint er sich über die Anstrengungen des Jägers lustig zu machen (234–236).

      Thoreaus Naturbegriff – wenn man denn von einem ‚Begriff‘ sprechen will – ist kaum auf einen Nenner zu bringen. Den einen erscheint er widersprüchlich, andere sehen in der femininen Konnotation vieler Naturbeschreibungen eine Verlängerung des altvertrauten patriarchalischen Bedürfnisses nach Herrschaft, nach Dominanz über die Natur. Hier ist durchaus Spielraum für Kontroversen, und er wird von der Kritik ausgiebig genutzt. Über jeden Zweifel erhaben ist dagegen Thoreaus stilistische Brillanz. Selbst seine schärfsten Kritiker stehen einigermaßen fassungslos vor Sätzen und Absätzen, die zu den komplexesten in englischer Sprache gehören und dabei stets transparent und kontrolliert daherkommen. Der Reichtum des Wortschatzes; der Wechsel von griffigen Aphorismen und anspruchsvollen Perioden; die zwanglose Kombination abstrakter Gedanken mit schlichten, der Alltagserfahrung entnommenen Bildern; eine Syntax, die wie die Prosa eines Melville in Moby-Dick die Lungen und das Hirn zu weiten scheint (so Cesare Pavese über Moby-Dick10); schließlich eine überzeugende, den Kriterien der organischen Form genügende Gesamtstruktur: Mit Walden ist Thoreau ein Buch gelungen, das seinem Traum von einem ‚natürlichen Buch‘ so nahe wie nur irgend möglich kommt.

      Jeder Thoreau-Leser hat seine Lieblingsstellen, ich selbst finde seinen Stil am eindrucksvollsten dort, wo er zugleich locker und prägnant Beschreibung und Reflexion ineinander übergehen lässt, ein Verfahren, das er schon an Goethes Italienischer Reise bewundert hatte. Zu diesen Passagen gehört der Anfang von „Solitude“:

      This is a delicious evening, when the whole body is one sense, and imbibes delight through every pore. I go and come with a strange liberty in Nature, a part of herself. As I walk along the stony shore of the pond in my shirt sleeves, though it is cool as well as cloudy and windy, and I see nothing special to attract me, all the elements are unusually congenial to me. The bullfrogs trump to usher in the night, and the note of the whippoorwill is borne on the rippling wind from over the water. Sympathy with the fluttering alder and poplar leaves almost takes away my breath; yet, like the lake, my serenity is rippled but not ruffled. These small waves raised by the evening wind are as remote from storm as the smooth reflecting surface. Though it is now dark, the wind still blows and roars in the wood, the waves still dash, and some creatures lull the rest with their notes. The repose is never complete. The wildest animals do not repose, but seek their prey now; the fox, and skunk, and rabbit, now roam the fields and woods without fear. They are Nature’s watchmen, – links which connect the days of animated life (129).

      Die Häufung phonetischer Figuren (Alliterationen und Assonanzen); Wortwiederholungen in bald kürzeren, bald länger ausschwingenden Sätzen; asyndetische im Wechsel mit polysyndetischen Fügungen; die Positionierung des Ichs, das ganz auf die abendliche Szenerie eingestimmt ist, ohne sich in ihr zu verlieren; die Verbindung von Beschreibung und Reflexion: Thoreaus Gedichte wurden und werden nur von wenigen geschätzt, aber Passagen wie diese verbinden Anschauung und Nachdenken zu einer Poesie, die den Vergleich mit der Gedankenlyrik etwa William Wordsworths herausfordert. Im Blickwinkel des Gesamtwerks ist man kaum überrascht, auch hier eines von Thoreaus Lieblingsbildern zu finden: das der gekräuselten Wellen. Zum einen verweist es auf das lebendige und belebende Zusammenwirken verschiedener Elemente, von Wasser und Wind (wobei man die alte, universale Gleichung von Wind und Geist mitrealisieren darf), und damit auf das Ganze der Natur. Zum anderen spiegelt das Bild die Stimmung des Sprechers, der sich in großer Freiheit der Heiterkeit der Natur, ihrer „serenity“ öffnet.

      Damit wird der Gegenpol zu jenem Tod-im-Leben erreicht, der über weite Strecken den ersten Teil von Walden beherrscht. In „Economy“ klagt Thoreau: „There is nowhere recorded a simple and irrepressible satisfaction with the gift of life, any memorable praise of God“ (78). Walden will diesem spirituellen und kulturellen Defizit abhelfen und daran erinnern, dass die Schöpfung keineswegs beendet ist. So heißt es bereits im 2. Kapitel: „The morning wind forever blows, the poem of creation is uninterrupted; but few are the ears that hear it“ (85). Indem das Ich in den Lobpreis dieses ,Gedichts‘ einstimmt, hat es teil an einer Resakralisierung der Natur. Was das Ritual des Badens im See auf der Alltagsebene zu leisten vermochte, wird in „Spring“ ins Kosmische gesteigert. Darauf verweisen die zahlreichen Bezüge auf Mythos und Religion. Der Frühling reproduziert „the creation of Cosmos out of Chaos“, jedes Jahr beginnt mit ihm aufs Neue das Goldene Zeitalter der Ovidschen Metamorphosen (313–316). Und wie in den Anfangskapiteln Bibelzitate und -anspielungen auf die Verurteilung des Materialismus zielen, so kommt jetzt das Evangelium, die ‚frohe Botschaft‘ von der Auferstehung zum Tragen, und zwar mit der zugespitzten rhetorischen Frage des 1. Korintherbriefs (15, 55): „O Death, where was thy sting? O Grave, where was thy victory, then?“ (317).

      Mit und in den Jahreszeiten leben heißt, dem Lauf der Sonne folgen. Im Zusammenhang mit dem Bohnenfeld war von einer ‚solaren‘ Perspektive die Rede; uns allen würde manche Sorge erspart, wenn wir uns klar machten, dass die Sonne ohne Unterschied auf bebaute wie unbebaute Felder scheint. Der Leser mag sich an Platons Sonnengleichnis aus dem 6. Buch der Politeia erinnern, im „Spring“-Kapitel wird der Sonnenmythos jedoch eher christlich gewendet, um am Ende einer kosmischen Sicht Platz zu machen. Der Schluss von Walden bündelt die Motiv- und Bildbereiche des Erwachens, des Morgens und der Sonne, zugleich überhöht er sie mit einem Wortspiel (sunson) und einem Bild (der Morgenstern), das den Walden-Aufenthalt in die Nachfolge Christi stellt, und schließlich lässt er – mit einem zutiefst transzendentalistischen Gestus – sowohl den Solarmythos wie auch das Christentum hinter sich: „Only that day dawns to which we are awake. There is more day to dawn. The sun is but a morning star“ (333).

      Jedes Frühjahr triumphiert das Leben über den Tod, und in dem Maße, wie wir an diesem Ereignis teilhaben, werden auch wir neu geboren. Die Überwindung des Todes ist ein spiritueller Vorgang, sein Gelingen aber hängt für Thoreau wesentlich vom Kontakt des Menschen mit der Natur ab. So folgt in Walden auf das Paulus-Zitat ein Plädoyer für die unberührte, wilde Natur; ohne deren belebende Kraft würde unsere Zivilisation absterben:

      Our village life would stagnate if it were not for the unexplored forests and meadows which surround it. We need the tonic of wildness […]. At the same time that we are earnest to explore and learn all things, we require that all things be mysterious and unexplorable, that land and sea be infinitely wild, unsurveyed and unfathomed by us because unfathomable. We can never have enough of Nature (317f.).

      Nach mäßiger Anerkennung im 19. Jahrhundert ist Walden im 20. Jahrhundert in den Kanon amerikanischer Meisterwerke aufgerückt. Daran haben die im Zuge der culture wars seit den 1970er Jahren durchgeführten Revisionen nichts geändert. Während Franklins Autobiography in den maßgeblichen College-Anthologien drastisch zugunsten weiblicher und ethnischer Autoren gekürzt wird, druckt die Norton Anthology of American Literature nach wie vor den kompletten Text von Walden СКАЧАТЬ