Große Werke der Literatur XV. Группа авторов
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Читать онлайн книгу Große Werke der Literatur XV - Группа авторов страница 17

СКАЧАТЬ Effi Briest ist bei allem feinen psychologischen Takt materialistisch härter konzipiert als die anderen genannten Romane. Wird nicht Effi, wenn sie von ihrem Mann umworben und von ihren Eltern verheiratet wird, wird sie nicht letztlich wie ein Ausstattungsstück behandelt, das richtig „stehen“ muss,10 um gut zu wirken? Wird sie nicht, wie gesellschaftlich gesittet und leichthin immer, eigentlich doch geradezu verkauft, und hat sie das nicht von vornherein akzeptiert? Natürlich hat Tolstois Anna den mächtigen Karenin letztlich wegen gesellschaftlicher und materieller Vorteile geheiratet. Aber das ist nicht der Konflikt, an dem sie verzweifelt. Sie stirbt an der Enttäuschung ihrer totalen Liebe. Effi hat ihren Verführer Krampas nie geliebt, sehnt sich weder nach ihm, noch leidet sie an Schuldgefühlen. Aufgerieben wird sie davon, dass sie abhängig bleibt: Abhängig ist sie im Sorgerecht, ja Besuchsrecht für ihr Kind, abhängig ist sie lebenslang von den Vorurteilen anderer, vor allem denen ihres geschiedenen Mannes; und eben auch materiell und in ihrer ganzen Lebensführung ist sie abhängig.

      Nur ein Detail sei vergleichend genannt. In Madame Bovary ist viel von Geld die Rede. Aber wenn die Bovary das Geld ihres Mannes verschwendet und Schulden macht, sie würde ja auch stehlen oder sich prostituieren, dann letztlich aus verzweifelter Sehnsucht nach einem von Liebe erfüllten Leben, so geprägt von Clichés, illusionär, ja teilweise dumm sie sich das immer vorstellen mag. In dem Augenblick, in dem sie das Gift nimmt, von ihren Schulden gehetzt, ist sie doch strahlend schön wie nie zuvor, und, wie es ausdrücklich heißt: „Sie litt nur an ihrer Liebe“.11 Wenn Effi Briest dagegen den Brief öffnet, in dem ihre Eltern ihr von Duell und Scheidung berichten, liegt höchst materiell ein Bündel Banknoten bei. Auf dem umhüllenden Papierstreifen steht die Summe, und ausdrücklich vermerkt der Erzähler: „von des Vaters Hand“.12 Das ist viel unauffälliger erzählt als die Geldverwicklungen der Bovary, aber heißt es nicht ganz fein, ganz hart und ganz anders: Innstetten hat Effi ihren Eltern wie eine fehlerhafte Ware zurückgegeben, und sie mögen von jetzt an bitte für ihren Unterhalt aufkommen?

      Wie steht es nun mit Effi Briests ‚armen Schwestern‘, zunächst einmal denen bei Fontane selbst? Noch viel drastischer als Effi war Cécile, eine sehr schöne, sensible, innerlich aufrichtige, aber nahezu völlig ungebildete ‚femme fragile‘, seinerzeit ‚gekauft‘ worden. Der alte Fürst hat sie ihrer verwitweten und verarmten Mutter abgenommen, und dann wurde sie an dessen Sohn geradezu ‚vererbt‘: ein schöner, wertvoller Besitz’, bewundert und geliebt wie ein edles Pferd, aber eben genau das. Und als Fürstenmaitresse hatte sie die ökonomische Basis erworben (z.B. „das Gut […], das will sagen, [das] Gut der Frau“, 252), wovon ihr Mann und sie jetzt gut leben können. Allerdings, eine adlige Fürstenmaitresse gehörte damals zur großen Gesellschaft. Aber so ist sie freilich auch mit einer ‚Geschichte‘ belastet, die Gordon, der sie zu lieben meint, nicht erträgt. Wenn er Cécile beleidigt, beleidigt er auch die Liebe, zu der er nicht finden kann. Und wie eine erinnerte Heimat, in die man ebenfalls, wie in die verweigerte Liebe, nicht hinein findet, stehen hier die Waldlandschaften des Harz dagegen und die üppigen Blumengärten in Berlin, die „Blumenwelt“ (259), die die kranke Cécile von ihrer Terrasse aus sieht. Sie stehen da wie eine Natur, die man durch ein Fenster betrachtet. Hinter allem Zwang und Krampf gesellschaftlicher ‚Wirrungen‘ wird eine Natur sichtbar, die schmerzlich, ja tödlich fehlt.13

      In Irrungen, Wirrungen, wie Cécile eine Geschichte unlebbarer Anpassung an gesellschaftliche Konventionen, schlägt die Beleidigung noch klarer auf den Beleidigten zurück. Und auch hier, im Kern der ‚Wirrungen‘, geht es nur oberflächlich um Standesunterschiede: Botho hat, wie die Leser genau erfahren, „9000 jährlich und gibt 12000 aus“ (361): für Rasse-Pferde, eine Gemälde-Sammlung und dergleichen. Die Hypothek auf seinen Familienbesitz wurde eben gekündigt. Er muss, er muss, er kann nicht anders, als sich an eine reiche Erbin zu ‚verkaufen‘, heiter und komfortabel gewiss, alles wird im Plauderton vereinbart, so wie ja auch Céciles Vorgeschichte als Fürstenmaitresse ganz gesittet verlaufen und nach ‚höfisch‘ geprägten Moralgesetzen auch völlig akzeptabel gewesen war, wie sie nur als ‚Klatsch‘ weiter lebt, und schließlich ja auch bürgerlich wohl situiert zu Ende geht. Aber prinzipiell herrschte hier derselbe materielle Zwang wie bei Stines Schwester Pauline, die sich vom Baron aushalten lassen muss. Und nun erkennt man auch den komplementären Wertekonflikt zu den Beleidigungs-Konstellationen. Stine weiß neben vielem anderen, dass ihr kranker junger Graf, krank durch eine „standesgemäße“, ganz „ritterliche“ Kriegsverletzung, so er wegen solch einer Mésalliance sein Erbe verlöre – wohlgemerkt: Was sein Adel wert ist, wird durch ein „Majorat“ (541), also durch einen Erbschafts-Vertrag bürgerlichen Rechts geregelt –, dass er dann so gut wie mittellos wäre und als gewöhnlicher Invalide auch so gut wie erwerbsunfähig. Und für alles, was dann das Leben an Härte und Misere bringen wird, fragt ihn Stine, „soll das Herz aufkommen“ (552)?

      Bei Fontane ist alles taktvoll gemildert, aber das ‚Herz‘ hat keine Chance. So geht es letztlich sehr klar auch jetzt um Menschen, die vom Geld definiert werden, die sich verkaufen müssen, deren Humanität dagegen, wie die Stines, hilflos ist, oder um Menschen die, wie in den Beleidigungen gegenüber Cécile und Lene, zuletzt sich selbst zerstörend gegen die Welt opponieren. Und es geht auch bereits um arbeitende Menschen: Gordon ist zwar ein ehemaliger Offizier und wird satisfaktionsfähig sein, aber jetzt ist er ein akademisch gebildeter ‚höherer Angestellter‘; Lene und Stine sind Arbeiterinnen. Sie machen saubere, feine, anspruchsvolle Textilarbeit, teilweise, und nicht ungemütlich, zu Hause; und die Industriearbeit bei Borsig wird in einer oft zitierten Szene in Stine gerade als Mittagspause dargestellt. Gleichwohl, die Verweisfunktion auch feiner Fäden und Spuren auf eine harte Realität der Zeit ist unverkennbar. Anders gesagt, und das scheint mir jetzt wichtig, Fontane erzählt nur, aber dies durchaus und gezielt.

      Metonymien des Naturalismus

      Metonymien sind rhetorische Figuren,14 und dazu zählen im Sinne einer Rhetoric of Fiction auch Erzählfiguren,15 die Bedeutungsübertragungen herstellen nach dem Prinzip partes pro partibus (Teile stehen für Teile). Der Name des Firmengründers ‚Horch‘ beispielsweise (das ist der eine pars bzw. ‚Teil‘), steht im übergreifenden Kontext der Produktion und des Gebrauchs von Automobilen (das wäre das implizite totum), auch wenn er inzwischen in lateinisch ‚Audi‘ übersetzt wurde, er kann für einen anderen ‚Teil‘ dieses ganzen Kontexts stehen, nämlich für ein einzelnes Auto. So können wir etwa sagen: „Ich fahre jetzt einen Audi“, und dies wird seit je problemlos verstanden.

      Und genauso, nach demselben Mechanismus wechselseitiger Bedeutungs-Vertretung, können dann auch umfangreichere Texte und Kultur-Phänomene bedeutsam aufeinander bezogen werden. Metonymien stellen also ein Wechselspiel her von Verallgemeinerung und Vereinzelung, von Verbindung und Trennung, Konnex und Identität, einen wechselseitigen Bezug von Teilen, Ganzheiten und anderen Teilen auf einender, und so fort. In diesem Sinne war das eingangs skizzierte ‚Textum‘-Modell von ‚Tweed und Kaschmir‘, in dem vielfarbige Fäden auftauchen, verschwinden, irgendwo sonst, vielleicht sogar weit getrennt, wieder hervortreten und so fort, ein solches ‚Gewebe‘ war immer schon eine metonymische Konfiguration.

      Dazu nun gleich ein weiteres Beispiel zum Thema „Fontane und der europäische Naturalismus“. Die Szene:

      Der ältere Herr […] reichte seiner Dame den Arm und ging im langsamen Tempo, wie man eine Rekonvaleszentin führt, bis an das Ende des Zugs […],

      diese Szene und überhaupt die ganze gepflegte Langeweile – „niemand sprach“ – in einem Abteil des Schnellzuges von Berlin in den Harz am Anfang von Fontanes Cécile16 hat auf den ersten Blick sicher wenig zu tun mit der Brutalität der Handlung in Zolas Eisenbahn-Roman La bête humaine / Die menschliche Bestie (1890). Aber das Eisenbahnnetz ist ganz wörtlich ein großer „Konnex“, in dem dieses betont „leere […] Compartiment“, in dem man „allein“ zu bleiben hofft, Station für Station und explizit anschaulich (in praesentia würden die Rhetoriker sagen) nicht nur mit Berlin („die Siegessäule halb gespenstisch“) und der gesellschaftlichen СКАЧАТЬ