Große Werke der Literatur XV. Группа авторов
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СКАЧАТЬ Auffassung, dass Landbesitz in dem Maße moralisch legitim sei, wie der Bauer den Boden bearbeite, ihm (buchstäblich etwa in Form seines Schweißes) etwas von sich selbst beimische und damit seinen Wert steigere. So wird die Bearbeitung des Bodens zur Quelle des Wohlstands ebenso wie zur Basis bürgerlicher Tugenden. Produktiver Landbesitz schafft freie, verantwortungsvolle Bürger, das Rückgrat der Republik als Staatsform. Hier liegt die theoretische Legitimation von Jeffersons bereits angesprochener Vision der USA als einer Republik freier Bauern.

      Thoreaus juristischer Status während seines Walden-Aufenthalts war nun aber nicht der des Landbesitzers; er hatte die Hütte auf Emersons Land gebaut, war also ein Squatter, der das Land nutzen, aber nicht sein Eigen nennen und entsprechend darüber verfügen durfte. Darauf ebenso wie auf das Locke-Jeffersonsche Theorem des Besitzindividualismus anspielend bemerkt Thoreau: „I enhanced the value of the land by squatting on it“ (64). Sein Beitrag zur Verbesserung des Bodens beschränkte sich darauf, ihn mit seinen Exkrementen zu düngen. „Squat“ heißt ja zunächst „sich hinhocken“. Wir treffen hier auf eines von unzähligen Wortspielen in Walden, und auf den seltenen Glücksfall, dass ein englisches Wortspiel problemlos ins Deutsche übertragen werden kann: Statt als Farmer profiliert Thoreau sich als Squatter, der buchstäblich und metaphorisch aufs Land ‚scheißt‘ – ein glänzendes Beispiel für die burleske Seite des Buches. Die Strategie der Burleske besteht ja darin, etwas mehr oder weniger Triviales ins Heroische hochzustilisieren, und dann diese Blase platzen zu lassen. Eine drastischere Demontage des Heroischen als sie hier, am Beispiel des Farmer-Mythos vorgeführt wird, ist schwer vorstellbar; burlesk ist sie insofern, als Thoreau an dessen Anspruch, den Boden zu ‚verbessern‘, festhält und damit in Konkurrenz zum Farmer tritt, sich also seinerseits zugleich heroisch aufplustert und durch den Kakao zieht.

      Die burlesken Züge zeugen von einer Souveränität, die das Gegenteil von pubertärem Narzissmus signalisiert. Für sich schon ein Ausweis von Reife, dient sie überdies einem Anliegen, das ernster und gewichtiger kaum sein könnte. Schließlich ist Ökonomie, wie Thoreau vermerkt, ein Thema, über das man sich lustig machen kann, aber damit ist es nicht erledigt: „Economy is a subject which admits of being treated with levity, but it cannot so be disposed of“ (29). Denn die von Jefferson in die Declaration of Independence eingefügte Formel von ‚the pursuit of happiness‘ läuft für Thoreau im Zeichen zeitgenössischen Wirtschaftens auf den Tod der Seele hinaus. Vom ersten Spatenstich an gräbt sich der Farmer sein Grab, das Haus wird ihm schon zu Lebzeiten zum Sarg und Mausoleum. Eine Antwort auf die Welt der Wirtschaft besteht in Askese und Verweigerung. Dem Gewinnstreben setzt Thoreau die Forderung nach freiwilliger Armut und drastischer Einschränkung der Bedürfnisse entgegen: „a man is rich in proportion to the number of things which he can afford to let alone“ (82). Das erste Kapitel von Walden befasst sich mit Ökonomie, um sie hinter sich zu lassen. Die andere Antwort auf eine dem business verfallene Welt findet Thoreau in der Natur.

      In „Qu’est-ce qu’un classique?“ (1850), einer seiner Causeries du lundi, erörtert Sainte-Beuve das für den Klassiker charakteristische und auf den ersten Blick paradox erscheinende Ineinander revolutionärer, gar ikonoklastischer Züge einerseits, konservativer Momente andererseits. Revolutionär erscheint der Klassiker insofern, als er uns aus vertrauten Vorstellungen reißt, in denen wir es uns bequem gemacht haben. Zugleich ist der Klassiker rückwärtsgewandt, es geht ihm darum, Gewissheiten freizulegen, die verschüttet waren. Daher seine hohe Akzeptanz und Langlebigkeit: Er verhilft uns nicht zu absolut neuen Einsichten, vielmehr erinnert er an etwas, das wir immer schon wussten. So ist er letztlich restaurativ in dem positiven Sinne, dass er ein ge- oder zerstörtes Gleichgewicht, eine verzerrte Harmonie und Schönheit wiederherstellt. Uns werden die Augen geöffnet für etwas, das immer schon da war und bleibende Gültigkeit beanspruchen darf:

      Un tel classique a pu être un moment révolutionnaire, il a pu le paraître du moins, mais il ne l’est pas; il n’a fait main basse d’abord autour de lui, il n’a renversé ce qui le gênait que pour rétablir bien vite l’équilibre au profit de l’ordre et du beau.8

      Etwa um die gleiche Zeit wie Sainte-Beuves Causerie verfasst Thoreau Zeilen, die sich auf den ersten Blick merkwürdig in einem Buch ausnehmen, das ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur propagiert. Im dritten Kapitel von Walden, „Reading“, bietet er ein rückhaltloses, ausgesprochen elitär wirkendes Plädoyer für das Studium der Klassiker, der antiken zumal, vorzugsweise in der Originalsprache! Auch wenn er im ersten Sommer am See kaum zur Lektüre gekommen sei, habe die Ilias stets griffbereit auf seinem Tisch gelegen. Der Leser reibt sich die Augen, wird aber alsbald mit der verblüffenden Auskunft belehrt, dass das Studium der Klassiker dem Studium der Natur nicht nur nicht entgegenstehe, beide seien vielmehr aus dem gleichen Holz geschnitzt, die Klassiker nämlich genauso natürlich wie die Natur selbst. Sie zu vernachlässigen wäre gerade so, als würde man sich auch nicht für die Natur interessieren:

      Men sometimes speak as if the study of the classics would at length make way for more modern and practical studies; but the adventurous student will always study classics, in whatever language they may be written and however ancient they may be. For what are the classics but the noblest recorded thoughts of man? They are the only oracles which are not decayed, and there are such answers to the most modern inquiry in them as Delphi and Dodona never gave. We might as well omit to study Nature because she is old (100).

      Klassiker konfrontieren uns mit Neuem, aber es ist nicht das Neue der Mode, sondern das vergessene Alte der Natur. Ähnlich wie Sainte-Beuve sieht Thoreau in ihnen eine nur scheinbar paradoxe Verquickung von revolutionären und konservativen Impulsen. Klassiker altern nicht, sie sind lebensprall wie die Natur, und wie diese vermitteln sie Zeit und Zeitlosigkeit, Besonderes und Universales miteinander:

      No wonder that Alexander carried the Iliad with him on his expeditions in a precious casket. A written word is the choicest of relics. It is something at once more intimate with us and more universal than any other work of art. It is the work of art nearest to life itself (102).

      Klassiker sind „heroic books“ (100). Sie spiegeln das in ihrer Zeit, was dem Verschleiß – „the corrosion of time“ (102) – entzogen war und deshalb auch uns nachhaltig zu faszinieren vermag. Wie die Morgendämmerung, in der sie vorzugsweise gelesen werden sollten, erfüllen sie uns mit Hoffnung und Lebensfreude.

      Besonders sinnfällig wird die Affirmation des Lebens in den Rhythmen von Tag und Nacht sowie im Zyklus der Jahreszeiten. Kein Tag, kein Frühling ist wie der andere, doch mit großer Verlässlichkeit wiederholt sich das Grundschema ihrer Abfolge. Die natürlichen Zyklen werden Thoreau nicht nur zum wichtigsten thematischen Anliegen, als Vorbild, an dem der Mensch seinen Tagesablauf ausrichten sollte; darüber hinaus gewinnt er aus ihnen die Struktur seines Buches, das damit nicht nur thematisch-stofflich, sondern auch formal den Status eines Klassikers im Sinne eines ‚natürlichen‘ Buches beansprucht.

      Bisher lag der Akzent meiner Betrachtung von Walden auf der polemisch-kritischen Seite: Das Buch vollführt, insbesondere im „Economy“-Kapitel, eine großangelegte Aufräumaktion, indem es bald aggressiv, bald witzig Grundannahmen zeitgenössischer Ökonomik in Theorie und Praxis attackiert. Die Radikalität dieser Aufräumaktion ist jedoch nicht revolutionär in dem Sinne, dass sie etwas völlig Neues ins Werk setzen will, vielmehr ist sie ‚radikal‘ im ursprünglichen Wortsinn, als Erinnerungsarbeit, die jene ‚Wurzeln‘ freilegt, jene Prinzipien, die eigentlich selbstverständlich und seit jeher anerkannt sind. So geht es im Sinne Sainte-Beuves in einem ersten Schritt um die Identifikation und Diagnose jener Kräfte, die dem Leben entgegenstehen, seine legitimen Impulse beschädigen oder verschütten. Die dabei eingesetzten, bisweilen ikonoklastischen Strategien dienen letztlich der Wiederherstellung einer gestörten Ordnung, eines Gleichgewichts, das durch die zerstörerische Dynamik des Status quo verlorengegangen oder in Vergessenheit geraten ist.

      Bei seiner Analyse zeitgenössischen Wirtschaftens kommt Thoreau zu dem Ergebnis, dass das System auf der elementaren Ebene der Bedürfnisbefriedigung СКАЧАТЬ