Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Wo irgend bei wichtigen Anlässen er seiner Rede den Lauf läßt, ist sie fehl am Ort, sei es bei der Taufe des Neugeborenen, sei es beim letzten Weilen der Ottilie mit den Freunden. Und wird dort das Abgeschmackte in ihr hinreichend an den Wirkungen fühlbar, so hat nach seiner berühmten Apologie der Ehe Goethe geschlossen: »So sprach er lebhaft und hätte wohl noch lange fortgesprochen«. Unbeschränkt läßt sich in der Tat solche Rede verfolgen, die, um mit Kant zu sprechen, ein »ekelhafter Mischmasch« ist, »zusammengestoppelt« aus haltlosen humanitären Maximen und trüben, trügerischen Rechtsinstinkten. Niemandem sollte das Unreine darin entgehen, jene Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit im Leben der Gatten. Alles läuft auf den Anspruch der Satzung hinaus. Doch hat in Wahrheit die Ehe niemals im Recht die Rechtfertigung, das wäre als Institution, sondern einzig als ein Ausdruck für das Bestehen der Liebe, die ihn von Natur im Tode eher suchte als im Leben. Dem Dichter jedoch blieb in diesem Werk die Ausprägung der Rechtsnorm unerläßlich. Wollte er doch nicht, wie Mittler, die Ehe begründen, vielmehr jene Kräfte zeigen, welche im Verfall aus ihr hervorgehn. Dieses aber sind freilich die mythischen Gewalten des Rechts und die Ehe ist in ihnen nur Vollstreckung eines Unterganges, den sie nicht verhängt. Denn nur darum ist ihre Auflösung verderblich, weil nicht höchste Mächte sie erwirken. Und allein in diesem aufgestörten Unheil liegt das unentrinnbar Grauenvolle des Vollzugs. Damit aber rührte Goethe in der Tat an den sachlichen Gehalt der Ehe. Denn wenn auch unverbildet diesen darzutun in seinem Sinne nicht lag, so bleibt die Einsicht in das untergehende Verhältnis gewaltig genug. Im Untergange erst wird es das rechtliche als das Mittler es hochhält. Goethen aber fiel es, wiewohl er von dem moralischen Bestande dieser Bindung eine reine Einsicht gewiß nie gewonnen, doch nicht bei, die Ehe im Eherecht zu begründen. Es ist die Moralität der Ehe für ihn im tiefsten und verschwiegenen Grunde am wenigsten zweifelsfrei gewesen. Was er im Gegensatz zu ihr an der Lebensform des Grafen und der Baronesse darzulegen wünscht, ist das Unmoralische nicht so sehr als das Nichtige. Dies eben bezeugt sich darin, daß sie weder der sittlichen Natur ihres gegenwärtigen Verhältnisses sich bewußt sind, noch der rechtlichen derjenigen, aus denen sie getreten sind. – Der Gegenstand der Wahlverwandtschaften ist nicht die Ehe. Nirgends wären ihre sittlichen Gewalten darin zu suchen. Von Anfang an sind sie im Verschwinden, wie der Strand unter Wassern zur Flutzeit. Kein sittliches Problem ist hier die Ehe und auch kein soziales. Sie ist keine bürgerliche Lebensform. In ihrer Auflösung wird alles Humane zur Erscheinung und das Mythische verbleibt allein als Wesen.

      Dem widerspricht freilich der Augenschein. Nach ihm ist eine höhere Geistigkeit in keiner Ehe denkbar als in der, wo selber der Verfall es nicht vermag, die Sitte der Betroffenen zu mindern. Aber im Bereich der Gesittung ist das Edle an ein Verhältnis der Person zur Äußerung gebunden. Es steht, wo nicht die edle Äußerung jener gemäß, der Adel in Frage. Und dieses Gesetz, dessen Geltung man freilich unbeschränkt nicht ohne großen Irrtum nennen dürfte, erstreckt sich über den Bereich der Gesittung hinaus. Gibt es ohne Frage Äußerungsbereiche, deren Inhalte unangesehen dessen gelten, der sie ausprägt, ja sind dies die höchsten, so bleibt jene bindende Bedingung unverbrüchlich für das Gebiet der Freiheit im weitesten Sinne. Ihm gehört die individuelle Ausprägung des Schicklichen, ihm die individuelle Ausprägung des Geistes an: alles dasjenige, was Bildung genannt wird. Die bekunden die Vertrauten vor allem. Ist das wahrhaft ihrer Lage gemäß? Weniger Zögern möchte Freiheit, weniger Schweigen möchte Klarheit, weniger Nachsicht die Entscheidung bringen. So wahrt Bildung ihren Wert nur da, wo ihr freisteht, daß sie sich bekunde. Dies erweist auch sonst die Handlung deutlich.

      Ihre Träger sind, als gebildete Menschen, fast frei vom Aberglauben. Wenn er bei Eduard hin und wieder hervortritt, so anfangs nur in der liebenswerteren Form eines Hangens an den glücklichen Vorzeichen, während einzig der banalere Charakter Mittlers, trotz dem selbstgenügsamen Gebaren, Spuren jener eigentlich abergläubischen Angst vor den bösen Omen erblicken läßt. Ihn als einzigen hält nicht die fromme sondern abergläubische Scheu davor zurück, Friedhofsgrund wie anderen zu betreten, indessen den Freunden weder dort zu lustwandeln anstößig, noch zu schalten verboten scheint. Ohne Bedenken, ja ohne Rücksicht werden die Grabsteine an der Kirchenmauer aufgereiht und der geebnete Grund, den ein Fußpfad durchzieht, bleibt zur Kleesaat dem Geistlichen überlassen. Keine bündigere Lösung vom Herkommen ist denkbar, als die von den Gräbern der Ahnen vollzogene, die im Sinne nicht nur des Mythos sondern der Religion den Boden unter den Füßen der Lebenden gründen. Wohin führt ihre Freiheit die Handelnden? Weit entfernt, neue Einsichten zu erschließen, macht sie sie blind gegen dasjenige, was Wirkliches dem Gefürchteten einwohnt. Und dies daher, weil sie ihnen ungemäß ist. Nur die strenge Bindung an ein Ritual, die Aberglaube einzig heißen darf, wo sie ihrem Zusammenhange entrissen rudimentär überdauert, kann jenen Menschen Halt gegen die Natur versprechen, in der sie leben. Geladen, wie nur mythische Natur es ist, mit übermenschlichen Kräften, tritt sie drohend ins Spiel. Wessen Macht, wenn nicht ihre, ruft den Geistlichen hinab, welcher auf dem Totenacker seinen Klee baute? Wer, wenn nicht sie, stellt den verschönten Schauplatz in ein fahles Licht? Denn ein solches durchwaltet – eigentlicher oder umschriebener verstanden – die ganze Landschaft. An keiner Stelle erscheint sie im Sonnenlicht. Und niemals, soviel auch vom Gute gesprochen wird, ist von seinen Saaten die Rede oder von ländlichen Geschäften, die nicht der Zierde, sondern dem Unterhalt dienten. Die einzige Andeutung derart – Aussicht auf die Weinlese – führt vom Schauplatz der Handlung fort auf das Gut der Baronin. Desto deutlicher spricht die magnetische Kraft des Erdinnern. Von ihr hat in der Farbenlehre – um dieselbe Zeit möglicherweise – Goethe gesagt, daß die Natur dem Aufmerksamen »nirgends tot noch stumm; ja dem starren Erdkörper hat sie einen Vertrauten zugegeben, ein Metall, an dessen kleinsten Teilen wir dasjenige, was in der ganzen Masse vorgeht, gewahr werden sollten«. Mit dieser Kraft haben Goethes Menschen Gemeinschaft und im Spiel mit dem Unten gefallen sie sich wie in ihrem Spiel mit dem Oben. Und doch, was sind zuletzt ihre unermüdlichen Anstalten zu dessen Verschönerung anderes als der Wandel von Kulissen einer tragischen Szene. So manifestiert sich ironisch eine verborgene Macht in dem Dasein der Landedelleute.

      Ihren Ausdruck trägt wie das Tellurische so das Gewässer. Nirgends verleugnet der See seine unheilvolle Natur unter der toten Fläche des Spiegels. Von dem »dämonisch-schauerlichen Schicksal, das um den Lustsee waltet«, spricht bezeichnend eine ältere Kritik. Das Wasser als das chaotische Element des Lebens droht hier nicht in wüstem Wogen, das dem Menschen den Untergang bringt, sondern in der rätselhaften Stille, die ihn zu Grunde gehn läßt. Die Liebenden gehen, soweit Schicksal waltet, zu Grunde. Sie verfallen, wo sie den Segen des festen Grundes verschmähen, dem Unergründlichen, das im stehenden Gewässer vorweltlich erscheint. Buchstäblich sieht man dessen alte Macht sie beschwören. Denn zuletzt läuft jene Vereinigung der Wasser, wie sie schrittweis festem Lande Abbruch tut, auf die Wiederherstellung des einstigen Bergsees hinaus, der sich in der Gegend befand. In alledem ist die Natur es selbst, die unter Menschenhänden übermenschlich sich regt. In der Tat: sogar der Wind, »der den Kahn nach den Platanen treibt«, »erhebt sich« – wie der Rezensent der »Kirchenzeitung« höhnisch mutmaßt – »wahrscheinlich auf Befehl der Sterne«.

      Die Menschen selber müssen die Naturgewalt bekunden. Denn sie sind ihr nirgends entwachsen. Ihnen gegenüber macht dies die besondere Begründung jener allgemeinern Erkenntnis aus, nach welcher die Gestalten keiner Dichtung je der sittlichen Beurteilung unterworfen sein können. Und zwar nicht, weil sie, wie die von Menschen, alle Menscheneinsicht überstiege. Vielmehr untersagen bereits die Grundlagen solcher Beurteilung deren Beziehung auf Gestalten unwidersprechlich. Die Moralphilosophie hat es stringent zu erweisen, daß die erdichtete Person immer zu arm und zu reich ist, sittlichem Urteil zu unterstehen. Vollziehbar ist es nur an Menschen. Von ihnen unterscheidet die Gestalten des Romans, daß sie völlig der Natur verhaftet sind. Und nicht sittlich über sie zu befinden, sondern das Geschehn moralisch zu erfassen, ist geboten. Töricht bleibt, wie Solger, später auch Bielschowsky es getan, ein verschwommenes sittliches Geschmacksurteil, das sich nie hervorwagen dürfte, da an Tag zu legen, wo es noch am ersten den Beifall erhaschen kann. Die Figur des Eduard tut es niemand zu Dank. Aber wieviel tiefer als jene sieht Cohen, dem es – nach den Darlegungen seiner »Ästhetik« – sinnlos gilt, Eduards Erscheinung in dem Ganzen des Romans zu isolieren. Dessen Unzuverlässigkeit, ja Roheit ist der Ausdruck flüchtiger Verzweiflung in einem verlorenen Leben. Er erscheint »in der СКАЧАТЬ