Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ noch zu reden. Schlagen Sie unsere großen lebenden Dichter auf, Whitman, Paquet, Rilke und zahllose andere, orientieren Sie sich in der frei-religiösen Bewegung, lesen Sie die liberalen Blätter, überall haben Sie ein vehement pantheistisches Gefühl. Vom Monismus, der Synthese aller unserer Form zu schweigen. Dies ist die trotz allem lebendige Kraft der Technik, daß sie uns den Stolz der Wissenden gegeben hat und zugleich die Ehrfurcht derer, die das stolze Weltgebäude erkannten. Denn trotz alles Wissens – nicht wahr? – hat noch kein Geschlecht ehrfürchtiger das geringste Leben erkannt, als wir. Und was die Philosophen, von den ersten Ioniern bis zu Spinoza, und die Dichter bis zu dem Spinozisten Goethe beseelt hat, jenes allgöttliche Naturgefühl ist unser Eigentum geworden.

      ich Wenn ich Ihnen widerspreche – und ich weiß, ich widerspreche nicht nur Ihnen, sondern der Zeit von ihren simpelsten bis zu manchen bedeutendsten Vertretern – dann fassen Sie das bitte nicht auf als die Sucht, interessant zu erscheinen. Es ist mir wahrhaftig ernst darum, wenn ich sage, daß ich keinen anderen Pantheismus anerkenne als den Humanismus Goethes. Aus seiner Dichtung erscheint die Welt allgöttlich, denn er war ein Erbe der Aufkärung, wenigstens dann, daß nur das Gute ihm wesentlich war. Und was im Munde jedes anderen wesenlos, nicht nur erschienen wäre, nein, wirklich nur inhaltlose Phrase gewesen wäre, das wurde in seinem Munde, und wird in der Gestaltung der Dichter überhaupt, Inhalt. Mißverstehen Sie mich nicht, man kann niemandem sein Recht auf Gefühle streitig machen, aber der Anspruch auf maßgebliche Gefühle ist zu prüfen. Und da sage ich: mag jeder einzelne noch so ehrlich seinen Pantheismus fühlen, maßgeblich und mitteilbar machen ihn nur die Dichter. Und ein Gefühl, das nur möglich ist auf dem Gipfel seiner Gestaltung, zählt nicht mehr als Religion. Das ist Kunst, ist Erbauung, aber nicht das Gefühl, was unser Gemeinschaftsleben religiös gründen kann. Und das soll doch wohl die Religion.

      der freund Erlauben Sie. Ich will Sie nicht widerlegen, aber die Ungeheuerlichkeit dessen, was Sie sagen, möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen: die höhere Schule. In welchem Geiste erzieht sie denn ihre Schüler?

      ich Im Geiste des Humanismus – wie sie sagt.

      der freund Ihrer Ansicht nach wäre also unsere Schulbildung eine Erziehung für Dichter und für Menschen des stärksten, gestaltungsfähigsten Gefühlslebens?

      ich Sie sprechen mir vollkommen aus dem Herzen. Wirklich: ich frage, was soll ein normal veranlagter Mensch mit dem Humanismus? Ist diese reifste Ausgeglichenheit der Erkenntnisse und Gefühle ein Bildungsmittel für junge Menschen, die nach Werten dürsten? Ja, ist der Humanismus, der Pantheismus etwas anderes als die gewaltige Inkarnation der ästhetischen Lebensauffassung? Ich glaube das nicht. Wir können im Pantheismus die höchsten, ausgeglichensten Augenblicke des Glückes erleben – nie und nimmer hat er Kräfte, das sittliche Leben zu bestimmen. Man soll die Welt nicht belachen, nicht beweinen, sondern begreifen. In diesem spinozistischen Wort gipfelt der Pantheismus. NB da Sie mich nach der Schule fragten: die gibt ihren Pantheismus nicht einmal gestaltet. Wie selten geht man ehrlich auf die Klassiker zurück? Das Kunstwerk, diese einzig ehrliche Erscheinung pantheistischen Gefühls, ist verbannt. Und wenn Sie noch eine Ansicht von mir hören wollen, diesem arzneimäßigen Pantheismus, den uns unsere Schule verschrieben hat, verdanken wir die Phrase.

      der freund Also zuletzt werfen Sie dem Pantheismus noch Unehrlichkeit vor.

      ich Unehrlichkeit … nein, das möchte ich nicht sagen. Aber Gedankenlosigkeit, die werfe ich ihm vor. Denn die Zeiten sind nicht mehr die Goethes. Wir haben die Romantik gehabt und ihr verdanken wir die kräftige Einsicht in die Nachtseite des Natürlichen: es ist nicht gut im Grunde, es ist sonderbar, grauenhaft, furchtbar, scheußlich – gemein. Aber wir leben, als wäre die Romantik nie gewesen, als wäre es am ersten Tage. Darum nenne ich unseren Pantheismus gedankenlos.

      der freund Ich glaube fast, ich bin auf eine fixe Idee bei Ihnen gestoßen. Offen gestanden, ich verzweifele, das Einfache und doch Elementare des Pantheismus Ihnen begreiflich zu machen. Mit mißtrauischer logischer Schärfe werden Sie niemals das Wunderbare des Pantheismus verstehen, daß in ihm gerade das Häßliche und Schlechte als Notwendiges und daher Göttliches erscheint. Ein seltenes Heimatgefühl gibt diese Überzeugung, jenen Frieden, den Spinoza unübertrefflich Amor dei genannt hat.

      ich Ich gebe zu, daß der Amor dei als Erkenntnis, als Einsicht mit meiner Vorstellung von Religion sich nicht verträgt. Der Religion liegt ein Dualismus zu Grunde, ein inniges Streben nach Vereinigung mit Gott. Ein einzelner Großer mag auf dem Wege der Erkenntnis dahin gelangen. Die Religion spricht die mächtigeren Worte, sie ist fordernder, sie kennt auch das Ungöttliche, sogar den Haß. Eine Göttlichkeit, die allerorten ist, die wir jedem Erlebnis und jedem Gefühl mitteilen, ist Gefühlsvergoldung und Profanation.

      der freund Sie irren, denn Sie meinen, der notwendige religiöse Dualismus fehle dem Pantheismus. Durchaus nicht. Ich sagte schon vorher, daß bei aller tiefen wissenschaftlichen Erkenntnis ein Gefühl der Demut vor dem kleinsten Lebenden, sogar vor dem anorganischen in uns wohnt. Nichts liegt uns ferner, als schülermäßige Überhebung. Sagen Sie doch selbst: sind wir nicht von tiefstem, mitfühlendem Verständnis für alles Geschehen? Denken Sie nur an moderne Strömungen im Strafrecht. Sogar den Verbrecher wollen wir als Menschen achten. Wir verlangen Besserung, nicht Strafe. Durch unser Gefühlsleben zieht sich der wahrhafte religiöse Antagonismus, von eindringendem Verständnis und einer Demut, die ich fast resignierend nennen möchte.

      ich In diesem Antagonismus sehe ich nur Skepsis. Eine Demut, die alle wissenschaftliche Erkenntnis verneint, weil sie mit Hume an der Geltung des Kausalgesetzes zweifelt, oder ähnliche laienhafte Spekulation nenne ich nicht religiös. Das ist einfach gefühlsselige Schwachheit. Wenn unsere Demut wiederum das Bewußtsein unseres Wertvollsten, wie Sie das Wissen nennen, untergräbt, so gibt sie keinen lebendigen, religiösen Antagonismus, sondern skeptische Selbstzersetzung. Aber ich weiß genau, daß gerade das den Pantheismus so ungeheuer behaglich macht, daß man sich in Hölle und Himmel, in Hochmut und Skepsis, in Übermenschentum und sozialer Demut gleich gemütlich fühlt. Denn natürlich – ohne ein bißchen unpathetisches, ich meine leidloses Übermenschentum geht es nicht ab. Wo Schöpfung göttlich ist, da ist der Herr der Schöpfung es natürlich erst recht.

      der freund Eines vermisse ich doch bei allem was Sie sagen. Die Erhabenheit eines allbeherrschenden Wissens konnten Sie mir nicht beschreiben. Und das ist ein Grundpfeiler unserer Überzeugung.

      ich Was ist denn dieses unser Wissen für uns? Ich frage nicht, was es für die Menschheit bedeutet. Sondern welchen Erlebniswert hat es für jeden Einzelnen? Nach dem Erlebnis müssen wir doch fragen. Und da sehe ich nur, daß dieses Wissen uns eine Gewohnheits-Tatsache geworden ist, mit der wir vom sechsten Jahre an aufwachsen bis ans Ende. Wir wiegen uns immer in der Bedeutung dieses Wissens für irgendein Problem, für die Menschheit – für das Wissen selbst. Aber persönlich geht es uns nichts an, läßt es uns kühl, wie alles Gewohnte. Was haben wir gesagt, als man den Nordpol erreichte. Eine Sensation, die bald vergessen war. Als Ehrlich die Mittel gegen die Syphilis entdeckte, Skepsis und Zynismus der Witzblätter. Eine russische Zeitung schrieb, es sei zu bedauern, daß das Laster nun freies Spiel habe. Kurz gesagt: ich glaube einfach nicht an die religiöse Erhabenheit des Wissens.

      der freund Müssen Sie denn nicht verzweifeln? Glauben Sie an nichts? Sind Sie Skeptiker an Allem?

      ich Ich glaube an unsere eigene Skepsis, unsere eigene Verzweiflung. Sie werden verstehen, was ich meine. Ich glaube nicht weniger als Sie an die religiöse Bedeutung unserer Zeit. Ja, ich glaube auch an die religiöse Bedeutung des Wissens. Ich verstehe den Schauer, den uns der Einblick in die Natur zurückgelassen hat, und vor allem empfinde ich, daß wir alle noch tief in den Entdeckungen der Romantik leben.

      der freund Und was nennen Sie die Entdeckungen der Romantik?

      ich Es ist, was ich vorhin andeutete, das Verständnis für alles Furchtbare, Unbegreifliche und Niedrige, das in unserem Leben verwoben СКАЧАТЬ