Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Bestimmung des Weibes biologisch sein – erst das Weib wird mehr als ein Tier oder eine Sklavin, wird Mensch und des Mannes Genossin sein, das sich dieser seiner Bestimmung selbst und bewußt weiht.”

      Die Worte über die Notwendigkeit der gemeinsamen Erziehung der Geschlechter jedoch (im 1. Wickersdorfer Jahrbuch) bergen eine so weitschauende und edle Idee, daß ich es mir nicht versagen kann, sie wiederum im Wortlaut anzuführen:

      „Die Jugend ist die Zeit der Empfänglichkeit für die absoluten Werte des Lebens, die Zeit des Idealismus. Sie ist die einzige Zeit, … in der ein soziales Empfinden entstehen kann, das nicht auf dem Opportunismus beruht, nicht das größtmögliche Glück möglichst vieler erstrebt, sondern das die Gesellschaft ansieht als eine Organisation zum Zwecke der Förderung des Geistes. Die Einheit der Menschheit vor dem Geiste darf da nicht preisgegeben werden, wo die junge Generation seinem Dienste geweiht wird. Schon in der Jugend sollen beide Geschlechter nicht nur die gleiche Sprache sprechen und verstehen lernen, sondern sie auch miteinander sprechen. Hier in der Jugend sollen sie den tiefen, wichtigsten Bund miteinander schließen, der alle späteren unvermeidlichen Trennungen überdauert. Hier sollen sie nicht nur die gleiche Lebensrichtung empfangen, sondern sie sich auch gegenseitig geben. Hier, wo sie einander in gleicher Richtung streben und sich entwickeln sehen, sollen sie den großen Glauben aneinander finden, aus dem allein die Achtung vor dem andern Geschlechte entspringen kann. Die Erinnerung, daß sie einmal Kameraden gewesen sind im heiligsten Werke der Menschheit, daß sie einmal zu zweien »ins Tal Eidophane«, in die Welt der Idee geblickt haben, diese Erinnerung wird das stärkste Gegengewicht gegen den sozialen Kampf der Geschlechter bilden, der immer war, zu unsrer Zeit aber in hellen Flammen auszubrechen und die Güter, zu deren Hüterin die Menschheit bestellt ist, zu gefährden droht. Hier in der Jugend, wo sie noch Menschen im edlen Sinne des Wortes sein dürfen, sollen sie auch einmal die Menschheit realisiert gesehen haben. Dies große, unersetzliche Erlebnis zu gewähren, ist der eigentliche Sinn der gemeinsamen Erziehung.”

      Bliebe das sexuelle Moment. Es wird nicht hinweggeleugnet, nicht vertuscht, sondern kräftig bejaht. Im Streben nach den gleichen Zielen, im ersten Einblick in neue Welten des Wissens und des Gedankens, in täglichen gemeinsamen Erlebnissen, sollen Knaben und Mädchen sich vor allen Dingen als Kameraden achten lernen. Aber „dem gewöhnlichen Knaben von 16 Jahren ist das Mädchen wesentlich Geschlechtswesen”. Und dieses Bewußtsein ist natürlich und nicht völlig auszulöschen. Es soll auch nicht ausgelöscht werden. Im Gegenteil: „Es gibt dem Verkehr eine gewisse Färbung, es verleiht ihm eine Anmut und Zartheit, die nur ein armseliger Pedant wegwünschen könnte; und gerade dies Empfinden erhält immer jene edle Distanz, deren Bestehen die Vorbedingung jedes dauernden … Verkehrs ist.”

      Das hohe Ziel einer Koedukation, wie sie im Programm der F. S. G. enthalten ist, fordert allerdings dreierlei: physisch und geistig gesunde Schüler, taktvolle, einflußreiche Lehrer und zwischen beiden rückhaltlose Offenheit.

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      1912

      Nicht ohne Zögern haben wir uns zu einer regelrechten »Bierzeitung« entschlossen, zu jener Form, die in mehr oder weniger plumpem oder persönlichem Witz nur ein verzerrtes Abbild jener »letzten Wahrheiten« gibt, die mancher Schüler seinem Lehrer laut sagen möchte. Doch konnten und wollten wir nicht darauf verzichten, flüchtig und mit möglichst kurzen Worten den Schleier zu lüften von dem, was hinter Scherz, Satire, Ironie liegt, wollten auch von der tieferen Bedeutung dessen reden, was die »Bierzeitung« nur in seinen zufälligen Symptomen fröhlich bekriegt. Und wollten so allem Kleinlichen und Spitzen, was die folgenden Seiten bringen, jede andere als fröhliche Bedeutung nehmen.

      In diesem Sinne zuvor einen herzlichen und vorbehaltlosen Dank unseren Lehrern, die uns während einer langen Schulzeit immer wieder Beweise ihrer schweren Arbeit zu unserem Besten gegeben haben.

      Zum zweiten aber stellen wir jene so einfache und ernste Frage: Was hat die Schule uns gegeben? Zunächst: Wissen, Wissen, Wissen. Manches davon kann fruchtbar werden, aber jetzt brauchen wir davon nicht zu reden; haben doch gerade die Besten unserer Lehrer uns immer wieder gesagt: »Nicht Wissen ist das, was die Schule Ihnen schließlich mitgeben soll«. – Sondern? – Arbeit und Gehorsam wollte sie uns mitgeben.

      Über die Arbeit sprach in einer der letzten Aula-Reden Herr Dr. Steinmann, in der Rede, die eine Epoche bedeutete. Sprach er doch vor Lehrern und Schülern in der Aula einer Schule nicht über Geographie und Technik u.ä., sondern über die Schule. Er meinte, Arbeit sei ein absoluter Wert, es komme nicht darauf an, wofür man arbeite. Wir möchten ihm entgegnen, daß es für den jungen Menschen keine wichtigere Frage gebe, als die nach dem Ziele seiner Arbeit.

      Auf diese Frage blieb uns die Schule die Antwort schuldig. Aus eigenster Erfahrung sagen wir, daß bei aller Schularbeit stets das quälende Gefühl des Willkürlichen und Ziellosen uns begleitete. Die Schule hat uns keine allgemeinen ernsten Pflichten gegeben, sondern nur Schulaufgaben. Und diesen täglichen Schulaufgaben gegenüber konnte sich kein lebendiges Pflichtgefühl entfalten, sondern die ewiggestrige Gewohnheit, nicht der Gedanke an ein Morgen, dem unsere Arbeit gelte, beherrschte unser Schulleben. Nicht der Gedanke, daß wir für Güter des Volkes oder der Menschheit, deren bewußte Glieder wir sind, arbeiten, durfte uns leuchten. Wir fassen das zusammen in einem Wort, dessen Schwere wir uns bewußt sind: Die Schule hat uns, indem unsere Arbeit kein Ziel vor sich sah, keine Ideale gegeben. Denn Ideale sind Ziele. (In solchen Gedanken aber mußten wir nicht selten Äußerungen unserer Lehrer über die Schulreform hören, wie: Die Schulreform wünscht Trennung der Schule vom Unterricht, oder: … so weit wir auch kommen mögen, ohne Arbeit wird nie etwas erreicht werden). Wir wollen kein Weniger an Pflichten, sondern ein Mehr: Das Bewußtsein, daß wir selber unsere Arbeit ernst nehmen müssen.

      Die Schule hat uns keine Ideale und ernsten Pflichten gegeben. Sie hat uns – welch abgedroschene Phrase – auch keine Rechte gegeben. Wie wir unsere Arbeit nicht ernst nehmen konnten, so durften wir uns selber nicht ernst nehmen. Wir haben keine Schülerschaft bilden dürfen. Viel Freiheiten wurden uns gelassen, wir durften Repetitionen abhalten, durften einen Ausschuß wählen, wir hatten es in dieser Beziehung vielleicht besser, als Schüler mancher anderen Schule. Aber das alles ist Gnade, kein Recht. Es waren Konzessionen an starke Strömungen in der Öffentlichkeit, Experimente, die wir nur allzu deutlich als solche empfinden mußten. Es waren Neuerungen, die nicht als im Wesen der Schülerschaft begründet anerkannt wurden. Und demgemäß konnte alles das auch keinen offenen freudigen Verkehr zwischen Lehrern und Schülern herbeiführen.

      Fern von der Schule hat bisher sich der beste Teil unserer Jugend abgespielt, fern von einer Schule, die dieser Jugendlichkeit keine Achtung entgegengebracht und ihr keine Ideale gegeben hat, die da glaubte, sogenannte »Dummejungenstreiche«, Unfug und kindisches Betragen gegen den Lehrer seien Äußerungen wahrer Jugendlichkeit. –

      Nichts würden wir tiefer bedauern, als wenn Verstimmung oder gar ein feindlich veränderter Kurs in der Erziehung die Folge dieser mit ernstem Bedacht geschriebenen und weit von Pathetik entfernten Zeilen wäre. Und kein schöneres Ende unserer Schulzeit könnten wir denken, als wenn nicht trotz, sondern auf Grund dieser Zeilen offener Verkehr und offene Aussprache mit unsern Lehrern, die wir während der Schulzeit entbehren mußten, ermöglicht würde.

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      1912

      Die erste propagatorische Tat aller, die im Dienste der Schulreform wirken, muß sein: die Schulreform zu erretten von dem Odium, als sei sie ein Interesse der Interessierten oder ein Dilettantensturm gegen den Handwerkerstand der Pädagogen. »Die Schulreform ist eine Kulturbewegung«, СКАЧАТЬ