Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke - Walter Benjamin страница 192

Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9789176377444

isbn:

СКАЧАТЬ Gesetz darin, daß in dem Augenblick, wo wir uns der Autonomie des Geistes mit Kant, Fichte und Hegel bewußt wurden, die Natur in ihrer unermeßlichen Gegenständlichkeit sich auftat; im Augenblick, da Kant die Wurzeln des menschlichen Lebens in der praktischen Vernunft entdeckte, mußte die theoretische Vernunft in unendlicher Arbeit die moderne Naturwissenschaft ausbauen. – So steht es jetzt um uns. Alle die soziale Sittlichkeit, die wir mit herrlichem, jugendlichem Eifer schaffen wollen, ist gefesselt durch die skeptische Tiefe unserer Einsichten. Und heute weniger als je verstehen wir das Kantische Primat der praktischen Vernunft über die theoretische.

      der freund Im Namen des religiösen Bedürfnisses reden Sie einer zügellosen, unwissenschaftlichen Reformerei das Wort. Sie scheinen sich mit der Nüchternheit, die Sie vorhin anzuerkennen schienen, doch schlecht zu vertragen. Sie verkennen die Größe, ja die Heiligkeit der entsagungsvollen sachlichen Arbeit, die nicht nur im Dienste der Wissenschaft, sondern in einem Zeitalter naturwissenschaftlicher Bildung auch auf sozialem Gebiete geleistet wird. Eine revolutionäre Jugendlichkeit kommt dabei allerdings nicht auf die Kosten.

      ich Gewiß. Nach dem Stande unserer Kultur soll und muß auch die soziale Arbeit, statt heroisch-revolutionären Strebungen, sich einem evolutionistischen Gange unterwerfen. Aber ich sage Ihnen das eine: Wehe, wenn man darüber das Ziel vergißt, sich vertrauensvoll dem fast krebsartigen Gang der Evolution anheimgibt. Und das tut man. Deshalb kommen wir aus diesem Zustand nie und nimmer im Namen der Entwicklung heraus, sondern im Namen des Zieles. Und dies Ziel können wir nun einmal nicht äußerlich aufstellen. Der Kulturmensch hat nur einen Ort, den er sich rein erhalten kann, in dem er wirklich sub specie aeterni sein darf: das ist sein Inneres, er selbst. Und die alte und oft geplagte Not ist, daß wir selber uns verlieren. Verlieren durch all die glorreichen Fortschritte, die Sie rühmen: verlieren, fast möchte ich sagen, durch den Fortschritt. Religionen aber kommen aus der Not und nicht aus dem Glück. Und wenn pantheistisches Lebensgefühl diese reine Negativität, das Sich-selbst-Verlieren und Sich-fremd-Werden als Aufgehen im Sozialen rühmt, so ist das unwahr.

      der freund Freilich – ich wußte nicht, daß Sie Individualist seien.

      ich Das bin ich nicht, sowenig wie Sie. Individualisten setzen ihr Ich als maßgeblichen Faktor ins Leben. Ich sagte schon, daß der Kulturmensch, soweit für ihn der Fortschritt der Menschheit als selbstverständliche Maxime gilt, das nicht kann. Übrigens: diese Maxime ist so selbstverständlich in die Kultur aufgenommen, daß sie als Grundlage der Religion für die Fortgeschrittenen schon deshalb inhaltslos, bequem und gleichgültig wäre. Das nebenbei. – Es fällt mir nicht ein, Individualismus zu predigen. Nur daß der Kulturmensch sein Verhältnis zur Gesellschaft erfasse, will ich. Daß man mit der unwürdigen Lüge breche, als erfülle der Mensch sich vollkommen im Dienste der Gesellschaft, als sei das Soziale, in dem wir doch nun einmal leben, das auch die Persönlichkeit letzthin Bestimmende.

       Man mache Ernst mit der sozialistischen Maxime, man gebe zu, daß das Individuum gezwängt, in seinem Innenleben gezwängt und verdunkelt wird; und aus dieser Not gewinne man ein Bewußtsein vom Reichtum, vom natürlichen Sein der Persönlichkeit wieder. Langsam wird ein neues Geschlecht wagen, sich wieder bei sich selbst umzusehen, nicht nur in seinen Künstlern. Man wird den Druck und die Unwahrheit, die uns jetzt zwingen, erkennen. Man wird den Dualismus von sozialer Sittlichkeit und Persönlichkeit anerkennen. Aus dieser Not wird eine Religion wachsen. Und sie wird notwendig, weil noch niemals die Persönlichkeit derart hoffnungslos im sozialen Mechanismus verstrickt war. Aber ich fürchte, Sie haben mich noch nicht ganz verstanden und vermuten da Individualismus, wo ich lediglich Ehrlichkeit verlange. Und damit einen ehrlichen Sozialismus gegen den heutigen konventionellen. Gegen einen Sozialismus, den jeder anerkennt, der bei sich selbst etwas nicht im Reinen fühlt.

      der freund Wir geraten in ein fast undisputables Gebiet. Sie geben kaum Belege und berufen sich auf die Zukunft. Aber sehen Sie sich in der Gegenwart um. Sie haben den Individualismus. Ich weiß, daß Sie ihn bekämpfen. Aber Sie müssen gerade von Ihrem Standpunkt aus, meine ich, seine Ehrlichkeit anerkennen. Nirgends aber läuft der Individualismus auf Ihr Ziel hinaus.

      ich Es gibt viele Arten des Individualismus. Ich leugne nicht, daß es sogar Menschen gibt, die ganz ehrlich im Sozialen aufgehen können, es werden nicht die tiefsten und besten sein. Aber ob im Individualismus Keime zu meiner Anschauung, besser zu einer künftigen Religiosität liegen, kann ich gar nicht entscheiden. Jedenfalls erkenne ich in dieser Bewegung Anfänge. Meinetwegen die Heroenzeit einer neuen Religion. Die Heroen der Griechen sind stark wie die Götter, nur göttliche Reife, göttliche Kultur fehlt ihnen noch. So erscheinen die Individualisten mir.

      der freund Ich verlange keine Konstruktion. Aber weisen Sie mir im Gefühlsleben der Zeit diese neureligiösen Strömungen, diesen individualistischen Sozialismus nach, wie Sie in der Zeit allerorten den Pantheismus in den Gemütern erkennen. Ich sehe nichts, was Sie stützen könnte. Geistreicher Zynismus und bläßliches Ästhetentum sind nicht die Keime künftiger Religiosität.

      ich Ich hätte nicht geglaubt, daß auch Sie unsere Literatur mit dem gewohnten Blick von der hohen Warte verwerfen. Mir sagt das alles anderes. Abgesehen davon, daß geistreiches Ästhetentum nicht unsere größten Schöpfungen stempelt. Aber verkennen Sie nicht das Bohrende, Verlangende, das im Geistreichen liegt. Diese Sucht, Abgründe aufzureißen und zu überspringen. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen, wenn ich sage, daß dieses Geistreiche zugleich Vorbote und Feind religiösen Fühlens ist.

      der freund Nennen Sie eine übersättigte Sehnsucht nach Unerhörtem religiös? Dann möchten Sie Recht haben.

      ich Sehen wir diese Sehnsucht doch etwas anders an! Entstammt sie nicht dem gewaltigen Willen, nicht alles so ruhig und selbstverständlich im Ich verankert zu sehen, wie wir es gewohnt sind? Sie predigt eine mystisch-individualistische Feindschaft dem Gewohnten. Das ist ihre Fruchtbarkeit. Allerdings, sie kann es bei ihrem letzten Wort niemals lassen und setzt den vorlauten Schluß dazu. Die tragische Naivität des Geistreichen. Wie ich schon sagte, es überspringt die Klüfte wieder, die es aufreißt. Ich fürchte und liebe diesen Zynismus, der so mutig ist, und zuletzt nur ein wenig zu eigensüchtig, um nicht die eigene Zufälligkeit über die historische Notwendigkeit zu setzen.

      der freund Sie begründen ein Gefühl, das auch ich kenne. Die Neuromantik – Schnitzler, Hofmannsthal, auch Thomas Mann bisweilen – bedeutend, liebenswert, ja herzlich sympathisch und gefährlich.

      ich Aber ich wollte gar nicht von diesen reden, sondern von andern, die offenbar die Zeit beherrschen. Oder zum mindesten die Zeit bedeuten. Was ich davon sagen kann, sage ich gern. Aber allerdings kommen wir ins Uferlose.

      der freund Die Gefühle gehen ins Uferlose, und der Gegenstand der Religion ist die Unendlichkeit. Soviel bringe ich von meinem Pantheismus mit.

      ich Bölsche sagt einmal, die Kunst nähme das allgemeine Bewußtsein und die Lebenssphäre späterer Zeiten vorahnend voraus. Und ich glaube nun, diejenigen Kunstwerke, die unsere Epoche beherrschen – nein, nicht einfach beherrschen – ich glaube, daß die Werke, die am heftigsten in ihrer ersten Begegnung uns berühren, daß vor allem Ibsen und der Naturalismus dieses neureligiöse Bewußtsein in sich tragen. Nehmen Sie Ibsens Dramen. Im Hintergrunde stets das soziale Problem – gewiß. Aber das Treibende sind die Menschen, die ihre Persönlichkeit der neuen gesellschaftlichen Ordnung gegenüber orientieren müssen: Nora, Frau Alving, und wenn man tiefer geht: Hedda, Solneß, Borkman, Gregers und viele andere. Und weiter die Art, wie diese Menschen sprechen. Der Naturalismus hat die individuelle Sprache entdeckt. Das ergreift uns so sehr, wenn wir unsern ersten Ibsen oder Hauptmann lesen, daß wir mit unserer alltäglichsten und intimsten Äußerung ein Recht in der Literatur, in einer gültigen Weltordnung haben. Unser individuelles Gefühl erhöht sich daran. – Oder nehmen Sie eine Auffassung von Individuum und Gesellschaft, wie in Spittelers »Herakles’ Erdenfahrt«! Das schwebt uns vor, da liegt unser Ziel und wieder ist das eine der zündendsten, begeisterungsschwersten Stellen, die in der Moderne geschrieben sind. Herakles kann СКАЧАТЬ