Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Bauerntum noch im Genuß des eroberten Ackers stand. In einem naiven Vers an Alphonse Karr hat der Dichter sein Schaffen dem eines Weinbauern gleichgestellt:

      Tout homme avec fierté peut vendre sa sueur!

      Je vends ma grappe en fruit comme tu vends ta fleur,

      Heureux quand son nectar, sous mon pied qui la foule,

      Dans mes tonneaux nombreux en ruisseaux d’ambre coule,

      Produisant à son maître, ivre de sa cherté,

       Beaucoup d’or pour payer beaucoup de liberté! 929

      Diese Zeilen, in denen Lamartine seine Prosperität als eine bäuerliche lobt und der Honorare sich rühmt, die ihm sein Produkt auf dem Markt verschafft, sind aufschlußreich, wenn man sie minder von der moralischen Seite”930 denn als einen Ausdruck von Lamartines Klassengefühl betrachtet. Es war das des Parzellenbauern. Darin liegt ein Stück Geschichte von Lamartines Poesie. Die Lage des Parzellenbauern war in den vierziger Jahren kritisch geworden. Er war verschuldet. Seine Parzelle lag »nicht mehr im sogenannten Vaterland, sondern im Hypothekenbuch«931. Damit war der bäuerliche Optimismus, die Grundlage der verklärenden Anschauung der Natur, die Lamartines Lyrik eigen ist, in Verfall geraten. »Wenn die neu entstandene Parzelle in ihrem Einklang mit der Gesellschaft, in ihrer Abhängigkeit von den Naturgewalten und ihrer Unterwerfung unter die Autorität, die sie von oben beschützte, natürlich religiös war, wird die schuldzerrüttete, mit der Gesellschaft und der Autorität zerfallene, über ihre eigene Beschränktheit hinausgetriebene Parzelle natürlich irreligiös. Der Himmel war eine ganz schöne Zugabe zu dem eben gewonnenen schmalen Erdstrich, zumal da er das Wetter macht; er wird zum Insult, sobald er als Ersatz für die Parzelle aufgedrängt wird.«932 An eben diesem Himmel waren die Gedichte Lamartines Wolkengebilde gewesen, wie denn Sainte-Beuve schon 1830 geschrieben hatte: »Die Dichtung von André Chénier … ist gewissermaßen die Landschaft, über der Lamartine den Himmel ausgespannt hat.«933 Dieser Himmel stürzte für immer ein, als die französischen Bauern 1849 für die Präsidentschaft von Bonaparte stimmten. Lamartine hatte ihr Votum mit vorbereitet934. »Er hätte wohl nicht gedacht«, schreibt über seine Rolle in der Revolution Sainte-Beuve, »daß er bestimmt war, der Orpheus zu werden, welcher mit seinem güldenen Bogen jenen Einfall der Barbaren lenken und mäßigen sollte.«935 Baudelaire nennt ihn trocken »ein bißchen hurig, ein bißchen prostituiert«936.

      Für die problematischen Seiten dieser glanzvollen Erscheinung hat schwerlich einer einen schärferen Blick besessen als Baudelaire. Das mag damit zusammenhängen, daß er selber seit jeher wenig Glanz auf sich hatte ruhen fühlen. Porché meint, es sehe ganz danach aus, als habe Baudelaire nicht die Wahl gehabt, wo er seine Manuskripte placieren könne937. »Baudelaire«, schreibt Ernest Raynaud, »hatte mit … Gaunersitten zu rechnen; er hatte es mit Herausgebern zu tun, die auf die Eitelkeit der Leute von Welt, der Amateure und der Anfänger spekulierten und welche Manuskripte nur annahmen, wenn man Abonnements zeichnete.«938 Baudelaires eigenes Verhalten entspricht dieser Sachlage. Er stellt das gleiche Manuskript mehreren Redaktionen zur Verfügung, vergibt Zweitdrucke, ohne sie als solche zu kennzeichnen. Er hat den literarischen Markt schon früh völlig illusionslos betrachtet. 1846 schreibt er: »So schön ein Haus sein mag, es hat vor allem einmal – und ehe man sich bei seiner Schönheit aufhält – soundsoviel Meter Höhe und soundsoviel Meter Länge. – Ebenso ist die Literatur, welche die unschätzbarste Substanz darstellt, vor allem Zeilenfüllung; und der literarische Architekt, dem nicht schon sein bloßer Name einen Gewinn verspricht, muß zu jedem Preise verkaufen.«939 Bis an sein Ende blieb Baudelaire auf dem literarischen Markt schlecht placiert. Man hat berechnet, daß er mit seinem gesamten Werk nicht mehr als 15 000 Francs verdient hat.

      »Balzac richtet sich mit Kaffee zu Grunde, Müsset stumpft sich durch Absinthgenuß ab …, Murger stirbt … in einer Heilanstalt wie eben jetzt Baudelaire. Und nicht einer dieser Schriftsteller ist Sozialist gewesen!«940 schreibt der Privatsekretär von Sainte-Beuve, Jules Troubat. Baudelaire hat die Anerkennung, die der letzte Satz ihm zollen wollte, gewiß verdient. Aber er war darum nicht ohne Einsicht in die wirkliche Lage des Literaten. Ihn – und sich selber an erster Stelle – mit der Hure zu konfrontieren, war ihm geläufig. Das Sonett an die käufliche Muse – »La muse vénale« – spricht davon. Das große Einleitungsgedicht »Au lecteur« stellt den Dichter in der unvorteilhaften Positur dessen dar, der für seine Geständnisse klingende Münze nimmt. Eines der frühsten Gedichte, die in die »Fleurs du mal« keinen Eingang fanden, ist an ein Straßenmädchen gerichtet. Seine zweite Strophe lautet:

      Pour avoir des souliers, elle a vendu son âme;

      Mais le bon Dieu rirait si, près de cette infâme,

      Je tranchais du tartufe et singeais la hauteur,

       Moi qui vends ma pensée et qui veux être auteur. 941

      Die letzte Strophe »Cette bohême-là, c’est mon tout« schließt dieses Geschöpf unbekümmert in die Bruderschaft der Bohème ein. Baudelaire wußte, wie es um den Literaten in Wahrheit stand: als Flaneur begibt er sich auf den Markt; wie er meint, um ihn anzusehen, und in Wahrheit doch schon, um einen Käufer zu finden.

      —————

      Der Schriftsteller, der den Markt einmal betreten hatte, sah sich dort um wie in einem Panorama. Eine eigene Literaturgattung hat seine ersten Orientierungsversuche aufbehalten. Es ist eine panoramatische Literatur. »Le livre des Cent-et-un«, »Les Français peints par eux-mêmes«, »Le diable à Paris«, »La grande ville« genossen nicht zufällig um die gleiche Zeit wie die Panoramen die Gunst der Hauptstadt. Diese Bücher bestehen aus einzelnen Skizzen, die mit ihrer anekdotischen Einkleidung den plastischen Vordergrund jener Panoramen und mit ihrem informatorischen Fundus deren weitgespannten Hintergrund gleichsam nachbilden. Zahlreiche Autoren leisteten Beisteuer zu ihnen. So sind diese Sammelwerke ein Niederschlag der gleichen belletristischen Kollektivarbeit, der Girardin im Feuilleton eine Stätte eröffnet hatte. Sie waren das Salongewand eines Schrifttums, das von Hause aus dem Straßenverschleiß bestimmt war. In diesem Schrifttum nahmen die unscheinbaren Hefte in Taschenformat, die sich ›physiologies‹ nannten, einen bevorzugten Platz ein. Sie gingen Typen nach, wie sie dem, der den Markt in Augenschein nimmt, begegnen. Vom fliegenden Straßenhändler der Boulevards bis zu den Elegants im Foyer der Oper gab es keine Figur des pariser Lebens, die der physiologue nicht umrissen hätte. Der große Augenblick der Gattung fällt in den Anfang der vierziger Jahre. Sie ist die hohe Schule des Feuilletons; Baudelaires Generation hat sie durchgemacht. Daß sie ihm selber wenig zu sagen hatte, zeigt, wie früh er den eigenen Weg ging.

      Man zählte 1841 sechsundsiebenzig neue Physiologien942. Von diesem Jahre an sank die Gattung ab; mit dem Bürgerkönigtum war auch sie verschwunden. Sie war eine von Grund auf kleinbürgerliche. Monnier, der Meister des Genres, war ein mit ungewöhnlicher Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ausgestatteter Spießer. Nirgends durchbrachen diese Physiologien den beschränktesten Horizont. Nachdem sie sich den Typen gewidmet hatten, kam die Reihe an die Physiologie der Stadt. Es erschienen »Paris la nuit«, »Paris à table«, »Paris dans l’eau«, »Paris à cheval«, »Paris pittoresque«, »Paris marié«. Als auch diese Ader erschöpft war, wagte man sich an eine ›Physiologie‹ der Völker. Man vergaß nicht die ›Physiologie‹ der Tiere, die sich seit jeher als harmloser Vorwurf empfohlen haben. Auf die Harmlosigkeit kam es an. In seinen Studien zur Geschichte der Karikatur macht Eduard Fuchs darauf aufmerksam, daß im Anfang der Physiologien die sogenannten Septembergesetze stehen – das sind die verschärften Zensurmaßnahmen von 1836. Durch sie wurde eine Mannschaft von fähigen und in der Satire geschulten СКАЧАТЬ