Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ versteht. Genau in diesem Sinne erscheint die Rasse, die von Kain herkommt, bei Baudelaire. Er hätte ihn freilich nicht definieren können. Es ist die Rasse derer, die keine andere Ware besitzen als ihre Arbeitskraft.

      Baudelaires Gedicht steht in dem »Revolte« überschriebenen Zyklus905. Die drei Stücke, die ihn zusammensetzen, halten einen blasphemischen Grundton fest. Der Satanismus von Baudelaire darf nicht allzu schwer genommen werden. Wenn er von einiger Bedeutung ist, so als die einzige Attitude, in der Baudelaire eine nonkonformistische Position auf die Dauer zu halten imstande war. Das letzte Stück des Zyklus, »Les litanies de Satan«, ist, seinem theologischen Inhalt nach, das miserere einer ophitischen Liturgie. Satan erscheint in seinem luziferischen Strahlenkranz: als Verwahrer des tiefen Wissens, als Unterweiser in den prometheischen Fertigkeiten, als Schutzpatron der Verstockten und Unbeugsamen. Zwischen den Zeilen blitzt das finstere Haupt Blanquis auf.

      Toi qui fais au proscrit ce regard calme et haut

       Qui damne tout un peuple autour d’un échafaud. 906

      Dieser Satan, den die Kette der Anrufungen auch als den »Beichtvater … der Verschwörer« kennt, ist ein anderer als der höllische Intrigant, den die Gedichte mit dem Namen des Satan trismegistos, des Dämon, die Prosastücke mit dem Ihrer Hoheit nennen, die ihre unterirdische Wohnung in der Nähe des Boulevards hat. Lemaître hat auf den Zwiespalt hingewiesen, der aus dem Teufel hier »einmal den Urheber alles Bösen, dann wieder den großen Besiegten, das große Opfer«907 macht. Es heißt das Problem nur anders wenden, wenn man die Frage aufwirft, was Baudelaire nötigte, der radikalen Absage an die Herrschenden eine radikal-theologische Form zu geben.

      Der Protest gegen die bürgerlichen Begriffe von Ordnung und Ehrbarkeit war nach der Niederlage des Proletariats im Junikampf bei den Herrschenden besser aufgehoben als bei den Unterdrückten. Die, welche sich zu Freiheit und Recht bekannten, erblickten in Napoleon III. nicht den Soldatenkaiser, der er in Nachfolge seines Oheims sein wollte, sondern den vom Glück begünstigten Hochstapler. So haben die »Châtiments« seine Figur festgehalten. Die Bohème dorée ihrerseits sah in seinen rauschenden Festlichkeiten, in dem Hofstaat, mit welchem er sich umgab, ihre Träume von einem ›freien‹ Leben in der Wirklichkeit angesiedelt. Die Memoiren, in denen der Graf Viel-Castel die Umgebung des Kaisers schildert, lassen eine Mimi und einen Schaunard als recht ehrbar und spießbürgerlich erscheinen. In der oberen Schicht gehörte der Zynismus zum guten Ton, das rebellische Räsonnement in der unteren. Vigny hatte in seinem »Eloa« dem gefallenen Engel, dem Luzifer, auf Byrons Spur im gnostischen Sinn gehuldigt. Barthélemy, auf der anderen Seite, hatte in seiner »Némésis« den Satanismus den Herrschenden zugesellt; er ließ eine Messe des agios sagen und einen Psalm von der Rente absingen908. Dieses Doppelgesicht des Satans ist Baudelaire durch und durch vertraut. Ihm spricht der Satan nicht nur für die Unteren sondern auch für die Oberen. Marx hätte sich kaum einen besseren Leser für die folgenden Zeilen wünschen können. »Als die Puritaner«, so heißt es im »Achtzehnten Brumaire«, »auf dem Konzil von Konstanz über das lasterhafte Leben der Päpste klagten …, donnerte der Kardinal Pierre d’Ailly ihnen zu: ›Nur noch der Teufel in eigener Person kann die katholische Kirche retten, und ihr verlangt Engel.‹ So rief die französische Bourgeoisie nach dem Staatsstreich: Nur noch der Chef der Gesellschaft vom 10. Dezember kann die bürgerliche Gesellschaft retten! Nur noch der Diebstahl das Eigentum, der Meineid die Religion, das Bastardtum die Familie, die Unordnung die Ordnung.«909 Baudelaire, der Bewunderer der Jesuiten, wollte, auch in seinen rebellischen Stunden, diesem Retter nicht ganz aufsagen und nicht für immer. Seine Verse behielten sich vor, was seine Prosa sich nicht verboten hatte. Darum stellt sich der Satan in ihnen ein. Ihm danken sie die subtile Kraft, noch im verzweifelten Aufbegehren dem die Gefolgschaft nicht ganz zu kündigen, wogegen Einsicht und Menschlichkeit sich empörten. Fast immer dringt das Bekenntnis der Frömmigkeit wie ein Streitruf aus Baudelaire. Er will sich seinen Satan nicht nehmen lassen. Der ist der wahre Einsatz in dem Konflikt, den Baudelaire mit seinem Unglauben zu bestehen hatte. Es geht nicht um Sakramente und um Gebet; es geht um den luziferischen Vorbehalt, den Satan zu lästern, dem man verfallen ist.

      Mit seiner Freundschaft zu Pierre Dupont hat sich Baudelaire als sozialer Dichter bekennen wollen. Die kritischen Schriften von d’Aurevilly geben von diesem Autor eine Skizze: »In diesem Talent und in diesem Kopfe hat Kain über den sanften Abel die Oberhand – der rohe, ausgehungerte, neiderfüllte und wilde Kain, der in die Städte gegangen ist, um die Hefe des Grolls zu schlürfen, die sich dort ansammelt, und Teil an den falschen Ideen zu haben, die dort ihren Triumph erleben.«910 Diese Charakteristik sagt recht genau, was Baudelaire mit Dupont solidarisch machte. Wie Kain ist Dupont »in die Städte gegangen« und hat sich von der Idylle abgewandt. »Das Lied, wie es von unsem Vätern verstanden wurde …, ja selbst die schlichte Romanze liegt ihm ganz fern.«911 Dupont hat die Krise der lyrischen Dichtung mit dem fortschreitenden Zerfall zwischen Stadt und Land kommen fühlen. Einer seiner Verse gesteht das, unbeholfen; er sagt, daß der Dichter »abwechselnd den Wäldern sein Ohr leihe und der Masse«. Die Massen haben ihm seine Aufmerksamkeit entgolten; Dupont war um 1848 in aller Munde. Als die Errungenschaften der Revolution eine nach der andern verloren gingen, dichtete Dupont sein »Chant du vote«. In der politischen Dichtung dieser Zeit gibt es Weniges, was sich mit dessen Refrain messen kann. Er ist ein Blatt von dem Lorbeer, den Karl Marx damals für die »drohend finstere Stirn«912 der Junikämpfer in Anspruch nahm.

      Fais voir, en déjouant la ruse,

      O République! à ces pervers,

      Ta grande face de Méduse

       Au milieu de rouges éclairs! 913

      Ein Akt literarischer Strategie war die Einleitung, die Baudelaire 1851 zu einer Lieferung Dupontscher Gedichte beisteuerte. Man findet darin die folgenden merkwürdigen Aussprüche: »Die lächerliche Theorie der Schule des l’art pour l’art schloß die Moral aus und oft selbst die Leidenschaft; sie wurde dadurch notwendig unfruchtbar.« Und weiter, mit offenbarer Beziehung auf Auguste Barbier: »Als ein Dichter, der trotz manchem gelegentlichen Ungeschick sich fast immer groß bewährte, auftrat und die Heiligkeit der Julirevolution proklamierte, dann in ebenso flammenden Versen Gedichte auf das Elend in England und Irland schrieb, … war die Frage ein für allemal abgetan und fortan die Kunst untrennbar von der Moral wie von der Nützlichkeit.«914 Das hat nichts von der tiefen Duplizität, von der Baudelaires eigene Dichtung beflügelt wird. Sie nahm sich der Unterdrückten an, aber ebenso ihrer Illusionen wie ihrer Sache. Sie hatte ein Ohr für die Gesänge der Revolution, aber auch ein Ohr für die ›höhere Stimme‹, die aus dem Trommelwirbel der Exekutionen spricht. Als Bonaparte durch den Staatsstreich zur Herrschaft kommt, ist Baudelaire einen Augenblick aufgebracht. »Dann faßt er die Ereignisse vom ›providentiellen Gesichtspunkt‹ her ins Auge und unterwirft sich wie ein Mönch.«915 »Theokratie und Kommunismus«916 waren ihm nicht Überzeugungen sondern Einflüsterungen, die sich sein Ohr streitig machten: die eine nicht so seraphisch, die andere nicht so luziferisch wie er wohl meinte. Nicht lange, so hatte Baudelaire sein revolutionäres Manifest preisgegeben und nach einer Reihe von Jahren schreibt er: »Der Grazie und der weiblichen Zartheit seiner Natur verdankt Dupont seine ersten Lieder. Zum Glück hat die revolutionäre Aktivität, welche damals fast alle mit sich riß, ihn nicht ganz von seinem natürlichen Weg abgelenkt.«917 Der schroffe Bruch mit dem l’art pour l’art hatte nur als Haltung für Baudelaire seinen Wert. Er erlaubte ihm, den Spielraum bekanntzugeben, der ihm als Literat zur Verfügung stand. Ihn hatte er vor den Schriftstellern seiner Zeit voraus – die größten unter ihnen nicht ausgenommen. Damit wird ersichtlich, worin er über dem literarischen Betrieb stand, der ihn umgab.

      Der literarische Tagesbetrieb hatte sich hundertundfünfzig Jahre lang um Zeitschriften bewegt. Gegen Ende des ersten Jahrhundertdrittels begann das sich zu ändern. Die schöne Literatur bekam durch das Feuilleton einen Absatzmarkt in der Tageszeitung. In der Einführung des Feuilletons СКАЧАТЬ