Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ den hohen Betrag von 80 Francs für das Jahresabonnement nicht bestreiten konnte, war auf Cafés angewiesen, in denen man oft zu mehreren um eine Nummer stand. 1824 gab es in Paris 47 000 Bezieher von Zeitungen, 1836 waren es 70 und 1846 200 Tausend. Eine entscheidende Rolle hatte bei diesem Aufstieg Girardins Zeitung »La Presse« gespielt. Sie hatte drei wichtige Neuerungen gebracht: die Herabsetzung des Abonnementspreises auf 40 Francs, das Inserat sowie den Feuilletonroman. Gleichzeitig begann die kurze, abrupte Information dem gesetzten Bericht Konkurrenz zu machen. Sie empfahl sich durch ihre merkantile Verwertbarkeit. Die sogenannte ›réclame‹ brach ihr freie Bahn: Darunter verstand man eine dem Ansehen nach unabhängige, in Wahrheit vom Verleger bezahlte Notiz, mit der im redaktionellen Teil auf ein Buch hingewiesen wurde, dem am Vortage oder auch in der gleichen Nummer ein Inserat vorbehalten war. Sainte-Beuve klagte schon 1839 über ihre demoralisierenden Wirkungen. »Wie konnte man« im kritischen Teil »ein Erzeugnis verdammen …, von dem zwei Fingerbreit tiefer zu lesen stand, daß es ein Wunderwerk der Epoche sei. Die Anziehungskraft der immer größer werdenden Lettern des Inserats bekam die Oberhand: es stellte einen Magnetberg dar, der den Kompaß ablenkte.«918 Die ›réclame‹ steht am Anfang einer Entwicklung, deren Ende die von den Interessenten bezahlte Börsennotiz der Journale ist. Schwerlich kann die Geschichte der Information von der der Pressekorruption getrennt geschrieben werden.

      Die Information brauchte wenig Platz; sie, nicht der politische Leitartikel noch der Roman im Feuilleton, verhalf dem Blatt zu dem tagtäglich neuen, im Umbruch klug variierten Aussehen, in dem ein Teil seines Reizes lag. Sie mußte ständig erneuert werden: Stadtklatsch, Theaterintrigen, auch ›Wissenswertes‹ gaben ihre beliebtesten Quellen ab. Die ihr eigene billige Eleganz, die für das Feuilleton so bezeichnend wird, ist ihr von Anfang an abzusehen. Mme de Girardin begrüßt in ihren »Pariser Briefen« die Photographie wie folgt: »Man beschäftigt sich derzeit viel mit der Erfindung des Herrn Daguerre, und nichts ist possierlicher als die seriösen Erläuterungen, die unsere Salongelehrten von ihr zu geben wissen. Herr Daguerre darf unbesorgt sein, man wird ihm sein Geheimnis nicht rauben … Wirklich, seine Entdeckung ist wundervoll; aber man versteht nichts von ihr; sie ist zu viel erklärt worden.«919 Nicht so bald und nicht überall fand man sich mit dem Feuilletonstil ab. 1860 und 68 erschienen in Marseille und Paris die beiden Bände der »Revues parisiennes« von dem Baron Gaston de Flotte. Sie machten es sich zur Aufgabe, gegen die Leichtfertigkeit der historischen Angaben, ganz besonders im Feuilleton der pariser Presse, anzukämpfen. – Im Café, beim Aperitif kam das Füllwerk der Information zustande. »Die Gepflogenheit des Aperitifs … stellte sich mit dem Aufkommen der Boulevardpresse ein. Früher, als es nur die großen, seriösen Blätter gab … kannte man keine Stunde des Aperitifs. Sie ist die logische Folge der ›Pariser Chronik‹ und des Stadtklatsches.«920 Der Kaffeehausbetrieb spielte die Redakteure auf das Tempo des Nachrichtendienstes ein, ehe noch dessen Apparatur entwickelt war. Als der elektrische Telegraph gegen Ende des Second Empire in Gebrauch kam, hatte der Boulevard sein Monopol verloren. Die Unglücksfälle und die Verbrechen konnten nunmehr aus aller Welt bezogen werden.

      Die Assimilierung des Literaten an die Gesellschaft, in der er stand, vollzog sich dergestalt auf dem Boulevard. Auf dem Boulevard hielt er sich dem nächstbesten Zwischenfall, Witzwort oder Gerücht zur Verfügung. Auf dem Boulevard entfaltete er die Draperie seiner Beziehungen zu Kollegen und Lebeleuten; und er war auf deren Effekte so angewiesen wie die Kokotten auf ihre Verkleidungskunst921. Auf dem Boulevard bringt er seine müßigen Stunden zu, die er als einen Teil seiner Arbeitszeit vor den Leuten ausstellt. Er verhält sich als ob er von Marx gelernt hätte, daß der Wert jeder Ware durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit bestimmt ist. Der Wert seiner eigenen Arbeitskraft bekommt dergestalt angesichts des ausgedehnten Nichtstuns, das in den Augen des Publikums für ihre Vervollkommnung nötig ist, etwas beinahe Phantastisches. Mit solcher Schätzung stand das Publikum nicht allein. Das hohe Entgelt des damaligen Feuilletons zeigt, daß sie in gesellschaftlichen Verhältnissen begründet war. In der Tat bestand ein Zusammenhang zwischen der Senkung der Abonnementsgebühren, dem Aufschwung des Inseratenwesens und der wachsenden Bedeutung des Feuilletons.

      »Auf Grund des neuen Arrangements« – der Herabsetzung der Abonnementsgebühren – »muß das Blatt von der Annonce leben …; um viele Annoncen zu erhalten, mußte die viertel Seite, die zur Affiche geworden war, einer möglichst großen Anzahl von Abonnenten zu Gesicht kommen. Es wurde ein Köder nötig, der sich an alle ohne Ansehen ihrer Privatmeinung richtete, und der seinen Wert darin hatte, die Neugier an die Stelle der Politik zu setzen … War der Ausgangspunkt, der Abonnementspreis von 40 Francs, einmal gegeben, so gelangte man über das Inserat fast mit absoluter Notwendigkeit zum Feuilletonroman.«922 Eben das erklärt die hohe Dotierung dieser Beiträge. 1845 schloß Dumas mit dem »Constitutionnel« und der »Presse« einen Vertrag, in dem ihm für fünf Jahre ein jährliches Mindesthonorar von 63 000 Francs bei einer jährlichen Mindestproduktion von achtzehn Bänden ausgesetzt wurde923. Eugène Sue erhielt für die »Mystères de Paris« eine Anzahlung von 100 000 Francs. Die Honorare von Lamartine hat man für den Zeitraum von 1838 bis 1851 auf 5 Millionen Francs berechnet. Für die »Histoire des Girondins«, welche zuerst als Feuilleton erschienen war, hatte er 600 000 Francs bezogen. Die üppige Honorierung von literarischer Tagesware führte notwendig zu Übelständen. Es kam vor, daß Verleger sich beim Erwerb von Manuskripten das Recht vorbehielten, sie von einem Verfasser ihrer Wahl zeichnen zu lassen. Das setzte voraus, daß einige erfolgreiche Romanciers mit ihrer Unterschrift nicht heikel waren. Näheres darüber berichtet ein Pamphlet »Fabrique de romans, Maison Alexandre Dumas et Cie«924. Die »Revue des deux mondes« schrieb damals: »Wer kennt die Titel aller Bücher, die Herr Dumas gezeichnet hat? Kennt er sie selber? Wenn er nicht ein Journal mit ›Soll‹ und ›Haben‹ führt, so hat er bestimmt … mehr als eines der Kinder vergessen, von denen er der legitime, der natürliche oder der Adoptivvater ist.«925 Es ging die Sage, Dumas beschäftige in seinen Kellern eine ganze Kompagnie armer Literaten. Noch zehn Jahre nach den Feststellungen der großen Revue – 1855 – findet man in einem kleinen Organ der Bohème die folgende pittoreske Darstellung aus dem Leben eines erfolgreichen Romanciers, den der Autor de Santis nennt: »Zuhause angekommen, schließt Herr de Santis sorgfältig ab … und öffnet eine kleine hinter seiner Bibliothek verborgene Tür. – Er befindet sich damit in einem ziemlich schmutzigen, schlecht beleuchteten Kabinett. Da sitzt, einen langen Gänsekiel in der Hand, mit verwirrtem Haar ein düster doch unterwürfig blickender Mann. In ihm erkennt man auf eine Meile den wahren Romancier von Geblüt, wenn es auch nur ein ehemaliger Ministerialangestellter ist, der die Kunst Balzacs bei der Lektüre des ›Constitutionnel‹ erlernt hat. Der wahre Verfasser der ›Schädelkammer‹ ist er; er ist der Romancier.«926927 Unter der zweiten Republik versuchte das Parlament gegen das Überhandnehmen des Feuilletons anzukämpfen. Man belegte die Romanfortsetzungen Stück für Stück mit einer Steuer von einem Centime. Mit den reaktionären Pressgesetzen, die durch Beschränkung der Meinungsfreiheit dem Feuilleton erhöhten Wert gaben, trat die Vorschrift nach kurzer Frist außer Kraft.

      Die hohe Dotierung des Feuilletons verbunden mit seinem großen Absatz verhalf den Schriftstellern, die es belieferten, zu einem großen Namen im Publikum. Es lag für den Einzelnen nicht fern, seinen Ruf und seine Mittel kombiniert einzusetzen: die politische Karriere erschloß sich ihm fast von selbst. Damit ergaben sich neue Formen der Korruption, und sie waren folgenreicher als der Mißbrauch bekannter Autorennamen. War der politische Ehrgeiz des Literaten einmal erwacht, so lag es für das Regime nahe, ihm den richtigen Weg zu weisen. 1846 bot Salvandy, der Kolonialminister, Alexandre Dumas an, auf Regierungskosten – das Unternehmen war mit 10 000 Francs bedacht – eine Reise nach Tunis zu unternehmen, um die Kolonien zu propagieren. Die Expedition mißriet, verschlang viel Geld und endete mit einer kleinen Anfrage in der Kammer. Glücklicher war Sue, der auf Grund des Erfolges seiner »Mystères de Paris« nicht nur die Abonnentenzahl des »Constitutionnel« von 3600 auf 20 000 brachte, sondern 1850 mit 130 000 Stimmen der Arbeiter von Paris zum Deputierten gewählt wurde. Die proletarischen Wähler gewannen damit nicht viel; Marx nennt die Wahl einen »sentimental abschwächenden Kommentar«928 der vorangegangenen Mandatsgewinne. Wenn so die Literatur den Bevorzugten eine politische Laufbahn eröffnen konnte, so ist diese Laufbahn СКАЧАТЬ