Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ dann aus dem Wege, wenn die schroffen Widersprüche in Thesen, die er sich nacheinander zu eigen macht, eine Auseinandersetzung erfordern würden. Den »Salon von 1846« hat er »den Bourgeois« gewidmet; er tritt als ihr Fürsprecher auf, und seine Geste ist nicht die des advocatus diaboli. Späterhin, zum Beispiel in seiner Invektive gegen die Schule des bon sens findet er für die »›honnête‹ bourgeoise« und den Notar, ihre Respektsperson, die Akzente des rabiatesten Bohémien877. Um 1850 proklamiert er, Kunst sei von Nützlichkeit nicht zu trennen; wenige Jahre später vertritt er das l’art pour l’art. In alledem bemüht er sich vor seinem Publikum so wenig um eine Vermittlung wie Napoleon III., wenn er fast über Nacht und hinter dem Rücken des französischen Parlaments vom Schutzzoll zum Freihandel übergeht. Diese Züge machen es immerhin verständlich, daß die offizielle Kritik – Jules Lemaître voran – von den theoretischen Energien, die in Baudelaires Prosa stecken, so wenig spürte.

      Marx fährt in seiner Schilderung der conspirateurs de profession folgendermaßen fort: »Die einzige Bedingung der Revolution ist für sie die hinreichende Organisation ihrer Verschwörung … Sie werfen sich auf Erfindungen, die revolutionäre Wunder verrichten sollen; Brandbomben, Zerstörungsmaschinen von magischer Wirkung, Emeuten, die um so wunderthätiger und überraschender wirken sollen, je weniger sie einen rationellen Grund haben. Mit solcher Projektenmacherei beschäftigt, haben sie keinen andern Zweck als den nächsten des Umsturzes der bestehenden Regierung und verachten auf’s tiefste die mehr theoretische Aufklärung der Arbeiter über ihre Klasseninteressen. Daher ihr nicht proletarischer, sondern plebejischer Ärger über die habits noirs (schwarzen Röcke), die mehr oder minder gebildeten Leute, die diese Seite der Bewegung vertreten, von denen sie aber, als von den offiziellen Repräsentanten der Partei, sich nie ganz unabhängig machen können.«878 Die politischen Einsichten Baudelaires gehen grundsätzlich nicht über die dieser Berufsverschwörer hinaus. Ob er seine Sympathien dem klerikalen Rückschritt zuwendet oder sie dem Aufstand von 48 schenkt – ihr Ausdruck bleibt unvermittelt und ihr Fundament brüchig. Das Bild, das er in den Februartagen geboten hat – an irgendeiner pariser Straßenecke ein Gewehr mit den Worten schwingend »Nieder mit General Aupick«879 – ist beweiskräftig. Allenfalls hätte er Flauberts Wort »Von der ganzen Politik verstehe ich nur ein Ding: die Revolte« zu seinem eigenen machen können. Das wäre dann so zu verstehen gewesen wie es der Schlußpassus einer mit seinen Entwürfen über Belgien überlieferten Notiz ergibt: »Ich sage ›es lebe die Revolution!‹ wie ich sagen würde ›es lebe die Zerstörung! es lebe die Buße! es lebe die Züchtigung! es lebe der Tod!‹ Ich würde nicht nur als Opfer glücklich sein; auch den Henker zu spielen, würde mir nicht mißfallen – um die Revolution von beiden Seiten zu fühlen! Wir haben alle republikanischen Geist im Blut wie wir die Syphilis in den Knochen haben; wir sind demokratisch infiziert und syphilitisch.«880

      Was Baudelaire so niederlegt, könnte man als die Metaphysik des Provokateurs bezeichnen. In Belgien, wo diese Notiz geschrieben ist, hat er eine Weile als Spitzel der französischen Polizei gegolten. An sich hatten derartige Arrangements so wenig Befremdendes, daß Baudelaire am 20. Dezember 1854 seiner Mutter mit Bezug auf die literarischen Stipendiaten der Polizei schreiben konnte: »Niemals wird mein Name in ihren Schandregistern erscheinen.«881 Was Baudelaire in Belgien den Ruf eintrug, war schwerlich allein die Feindschaft, die er gegen den dort gefeierten proskribierten Hugo an den Tag legte. Anteil an der Entstehung dieses Gerüchts hat seine verwüstende Ironie gehabt; er könnte sich leicht darin gefallen haben, es zu verbreiten. Der culte de la blague, den man bei Georges Sorel wiederfindet und der ein unveräußerliches Bestandstück der faschistischen Propaganda geworden ist, bildet bei Baudelaire seine ersten Fruchtknoten. Der Titel unter, der Geist in dem Céline seine »Bagatelles pour un massacre« geschrieben hat, führt unmittelbar auf eine Baudelairesche Tagebucheintragung zurück: »Eine schöne Konspiration ließe sich zwecks Ausrottung der jüdischen Rasse organisieren.«882 Der Blanquist Rigault, der seine konspirative Laufbahn als Polizeipräsident der pariser Kommune beschloß, scheint den gleichen makabren Humor gehabt zu haben, von dem in Zeugnissen über Baudelaire viel die Rede ist. »Rigault«, heißt es in den »Hommes de la révolution de 1871« von Gh. Proles, »hatte in allen Dingen bei großer Kaltblütigkeit etwas von einem wüsten Witzbold. Das war ihm unveräußerlich, bis in seinen Fanatismus hinein.«883 Selbst der terroristische Wunschtraum, dem Marx bei den conspirateurs begegnet, hat bei Baudelaire sein Gegenstück. »Wenn ich je«, schreibt er am 23. Dezember 1865 an seine Mutter, »die Spannkraft und die Energie wiederfinde, die ich einige Male besessen habe, so werde ich meinem Zorn durch entsetzenerregende Bücher Luft machen. Ich will die ganze Menschenrasse gegen mich aufbringen. Das wäre mir eine Wollust, die mich für alles entschädigen würde.«884 Diese verbissene Wut – la rogne – war die Verfassung, die ein halbes Jahrhundert von Barrikadenkämpfen in pariser Berufsverschwörern genährt hatte.

      »Sie sind es«, sagt Marx von diesen Verschwörern, »die die ersten Barrikaden aufwerfen und kommandiren.«885 In der Tat steht im Fixpunkt der konspirativen Bewegung die Barrikade. Sie hat die revolutionäre Tradition für sich. Über viertausend Barrikaden hatten in der Julirevolution die Stadt durchzogen886. Als Fourier nach einem Beispiel für den »travail non salarié mais passionné« Ausschau hält, findet er keines, das näher liegt als der Barrikadenbau. Eindrucksvoll hat Hugo in den »Misérables« das Netz jener Barrikaden festgehalten, indem er ihre Besatzung im Schatten ließ. »Überall wachte die unsichtbare Polizei der Revolte. Sie hielt die Ordnung aufrecht, daß heißt die Nacht … Ein Auge, das von oben her auf diese aufgetürmten Schatten herabgeblickt hätte, wäre vielleicht an verstreuten Stellen auf einen undeutlichen Schein gestoßen, der gebrochene, willkürlich verlaufende Umrisse zu erkennen gab, Profile merkwürdiger Konstruktionen. In diesen Ruinen bewegte sich etwas, das Lichtern ähnelte. An diesen Stellen waren die Barrikaden.«887 In der Bruchstück verbliebenen Anrede an Paris, die die »Fleurs du mal« abschließen sollte, nimmt Baudelaire von der Stadt nicht Abschied, ohne ihre Barrikaden heraufzurufen; er gedenkt ihrer »magischen Pflastersteine, welche sich zu Festungen in die Höhe türmen«888. ›Magisch‹ sind diese Steine freilich, indem Baudelaires Gedicht die Hände nicht kennt, die sie in Bewegung gesetzt haben. Aber eben dieses Pathos dürfte dem Blanquismus verpflichtet sein. Denn ähnlich ruft der Blanquist Tridon: »O force, reine des barricades, … toi qui brilles dans l’éclair et dans l’émeute … c’est vers toi que les prisonniers tendent leurs mains enchaînées.«889 Am Ende der Kommune tastete sich das Proletariat, wie ein zu Tode getroffenes Tier in seinen Bau, hinter die Barrikade zurück. Daß die Arbeiter, im Barrikadenkampfe geschult, der offenen Schlacht, die Thiers den Weg hätte verlegen müssen, nicht gewogen waren, hat mit Schuld an der Niederlage getragen. Diese Arbeiter zogen, wie einer der jüngsten Historiker der Kommune schreibt, »dem Treffen im freien Felde die Schlacht im eigenen Quartier … und, wenn es sein mußte, den Tod hinter dem zur Barrikade getürmten Pflaster einer Straße von Paris vor«890.

      Der bedeutendste der pariser Barrikadenchefs, Blanqui, saß damals in seinem letzten Gefängnis, dem Fort du Taureau. In ihm und seinen Genossen sah Marx in seinem Rückblick auf die Junirevolution »die wirklichen Führer der proletarischen Partei«891. Man kann sich von dem revolutionären Prestige, das Blanqui damals besessen und bis zu seinem Tode bewahrt hat, schwerlich einen zu hohen Begriff machen. Vor Lenin gab es keinen, der im Proletariat deutlichere Züge gehabt hätte. Sie haben sich auch Baudelaire eingeprägt. Es gibt ein Blatt von ihm, das neben andern improvisierten Zeichnungen den Kopf von Blanqui aufweist. – Die Begriffe, die Marx in seiner Darstellung der konspirativen Milieus in Paris heranzieht, lassen die Zwitterstellung, die Blanqui darin einnahm, erst recht erkennen. Es hat einerseits seine guten Gründe, wenn Blanqui als Putschist in die Überlieferung einging. Ihr stellt er den Typus des Politikers dar, der es, wie Marx sagt, als seine Aufgabe ansieht, »dem revolutionären Entwicklungsprozeß vorzugreifen, ihn künstlich zur Krise zu treiben, eine Revolution aus dem Stegreif, ohne die Bedingungen einer Revolution zu machen«892. Hält man, auf der andern Seite, Beschreibungen, die man über Blanqui besitzt, dagegen, so scheint er vielmehr einem der habits noirs zu gleichen, an denen jene Berufsverschwörer ihre mißliebigen Konkurrenten hatten. Folgendermaßen beschreibt ein Augenzeuge den Blanquischen СКАЧАТЬ