Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch). Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch) - Franz Werfel страница 165

СКАЧАТЬ noch immer verklärt küstenwärts:

      »Ganz nahe ... ganz nahe sind sie ... ich meine die Berge ...«

      Dann aber rappelte er sich auf, erregt, als sei es nun höchste Zeit. Haiks drohende Worte klangen ihm in den Ohren. Er wiederholte mit klappernden Zähnen:

      »Es geht nicht um mich und dich, sondern um den Brief an Jackson ...«

      Haik nickte bestätigend, doch ohne Vorwurf: »Besser wäre es schon gewesen, wenn dich Hagop angezeigt hätte ...«

      Stephans verschrumpftes Gesichtchen begehrte nicht mehr auf, sondern versuchte friedfertig zu lächeln:

      »Das macht nichts ... Du wirst durch mich keine Zeit verlieren ... Ich gehe zurück ... morgen ...«

      Haik duckte sich plötzlich und winkte Stephan heftig, desgleichen zu tun. Von der nahen Straße, die den ganzen Tag nicht sonderlich belebt gewesen war, drang ein merkwürdiges Gescharre mit lallenden Jammerlauten herauf. Ein paar Saptiehs trieben einen kleinen Armeniertransport gegen Hammam. Transport war freilich eine allzu großartige Bezeichnung für diese Nachfechsung alter Leute und kleiner Kinder, die man in irgendwelchen gottverlassenen Dörfern aufgestöbert hatte. Die Saptiehs, die noch vor Mitternacht in Hammam sein wollten, fluchten und hieben auf den armseligen Spuk ein, so daß er unglaublich rasch hinter der nächsten Straßenbiegung verschwand. Dieser bedeutsame Zwischenfall schien Haiks Meinung endgültig befestigt zu haben:

      »Ja! Es ist das allerbeste, wenn du zurückgehst. Aber wie? Durch die Sümpfe kannst du allein nicht kommen ...«

      In Stephans Geist, der die Berge so traulich nahe fühlte, verwirrten sich alle Maße:

      »Warum denn nicht? Der Weg ist nicht so weit ...«

      Haik aber schüttelte entschieden den Kopf:

      »Nein, nein, durch den Sumpf kannst du allein nicht kommen. Es ist besser, du gehst an Antakje vorüber. Dort, siehst du!? Das ist viel leichter ... Aber auch dort werden sie dich auf den Wegen erwischen. Du sprichst nicht türkisch, du kannst nicht beten wie sie und siehst überhaupt so aus, daß sie gleich rasend werden ...«

      Stephan sank träumerisch auf seine Decke zurück:

      »Ich werde ja nur in der Nacht laufen ... Vielleicht erwischen sie mich dann nicht ...«

      »Ach, du«, brummte Haik mitleidsvoll verächtlich und überlegte, wie weit er Stephan begleiten könne, ohne mehr als einen Tag für seine große Aufgabe zu verlieren. Der Bagradiansohn aber, dem in fieberfröstelnder Behaglichkeit jetzt alles einfach und leicht vorkam, stammelte vor sich hin:

      »Vielleicht wird mir Christus helfen ...«

      Diese Hilfe freilich erschien unter den obwaltenden Umständen Haik noch als die einzig praktische. Außer der himmlischen hatte er sehr wenig andere Hoffnung für die glückliche Heimkehr Stephans auf den Musa Dagh. Und wirklich, eine höhere Macht schien jetzt zu Stephans Gunsten eingreifen zu wollen. Der turkmenische Hausvater erkletterte über die angelehnte Leiter sein Dach und begann die Schilfbündel und das Süßholz hinabzuwerfen. Haik sprang sogleich auf und half ihm diensteifrig bei dieser Arbeit. Als sie mit ihr fertig waren, schien der Bauer einen überraschenden Einfall zu haben und blinzelte Stephan an:

      »Wollt ihr mit, ihr Burschen? Morgen früh fahre ich nach Antakje zum Markt. Weil ihr aus Antakje seid, will ich euch nach Hause bringen. Noch am Abend werden wir dort sein ...«

      Und mit stolzem Selbstbewußtsein wies er auf den großen Stall hinter dem Hause:

      »Ich fahre nicht mit dem Ochsenwagen, damit ihr es wißt, sondern mit dem Pferdchen und einem wirklichen Räderwagen.«

      Haik schob den falschen Turban ein wenig zur Seite, um sich nachdenklich seinen Kopf zu kratzen, den Witwe Schuschik vor seinem Aufbruch kahlgeschoren hatte:

      »Nimm den Vetter Hussein hier nach Antakje mit, Vater! Seine Leute wohnen dort. Die Meinigen sind ja in Hammam. Schade, daß du mit deinem Wagen nicht nach Hammam fährst! Da werd ich halt laufen müssen ...«

      Der Turkmene versenkte sich aufmerksam in den Anblick des Pfiffigen:

      »Aus Hammam sind deine Eltern. Allah kerim, bir! Gott ist gnädig, Junge! In Hammam kenne ich jeden Menschen. Was für ein Geschäft haben sie?«

      Haik begegnete den forschenden Augen des Bauern mit gekränkter Nachsicht:

      »Aber, Vater, ich habe dir doch gesagt, daß sie erst seit gestern dort sind. Sie wohnen im Chan Omar Agha ...«

      »Janasydsche, mögen sie dort glücklich sein! Aber im Chan Omar Agha ist Einquartierung. Die Soldaten, die gegen die verräterischen Ermeni auf dem Musa Dagh gesandt werden ...«

      »Was sagst du? Einquartierung? Davon haben die Meinigen nichts gewußt. Vielleicht aber ist das Militär schon abgezogen. Nun, Hammam ist groß, und es wird auch noch andere Herbergen geben.«

      Dagegen ließ sich wirklich nichts sagen. Der Turkmene, dem es nicht gelungen war, Essad zu entlarven, dachte angestrengt nach, bewegte ein paarmal stumm die Lippen und räumte schließlich das Feld.

      Lang vor Mitternacht schon rüstete sich Haik zum Aufbruch. Vorher aber sorgte er noch für Stephan, so gut er konnte. Er packte ihm eine seiner Fleischwürste in den Rucksack. Gott weiß, vielleicht verirrte sich der Ungeschickte und der Proviant ging ihm aus. Haik aber traute es sich zu, in der Ebene von Aleppo überall Speis und Trank zu finden. Er füllte ferner Stephans Thermosflasche an der Quelle, die am Haus vorüberfloß; er säuberte seine Kleider von dem trockenen Schmutz. Während er mit geradezu erbitterter Sorge um den Kameraden bemüht war, gab er ihm immer wieder genaue Lehren darüber, wie er sich zu verhalten habe:

      »Er bringt dieses Zeug dort zum Wochenmarkt. Du kannst dich sehr gut dazwischen verstecken. Am besten, du sprichst kein Wort. Bist ja krank, nicht?! Sobald du die Stadt siehst, springst du ab, aber ganz leise, verstehst du, und legst dich ins Feld in einen Graben, in ein Loch. Dort wartest du, bis alles finster ist ... Hast du das kapiert?«

      Stephan hockte verkrümmt auf seiner Matte. Er fürchtete die Koliken, die sich wieder meldeten. Mehr noch fürchtete er die Verlassenheit. Die Nacht war nicht wolkenbewegt wie gestern, sondern makellos klar. Dicht und weiß stand der ungeheure Torbogen der Milchstraße über dem Dache des Turkmenen. Stephan fühlte einen Augenblick lang Haiks Hand in der seinen. Das war alles. Noch einmal vernahm er des Freundes Stimme, hochmütig und grob wie einst:

      »Mach es gut, hörst du, und zerreiß den Brief an Jackson!«

      Haik hatte schon den Fuß auf die Leiter gesetzt, als er noch einmal zu Stephan zurückkehrte. Ohne ein Wort zu sagen, bekreuzigte er ihm rasch und scheu die Stirn und die Brust.

      In Zeiten der Todesnot soll jeder Armenier für jeden Armenier ein Priester und Vater sein. Dies hatte Ter Haigasun im Religionsunterricht zu Yoghonoluk gelehrt, als noch kein Mensch wußte, daß die Zeit der Todesnot schon angebrochen war.

      Knapp vor dem Dorfe Ain el beda bog der Karrenweg in die Ebene ein. Der Turkmene ließ sein Pferdchen frisch durch die völlig leere Frühe laufen. Der hochbeladene Leiterwagen holperte grausam über die tiefen, erstarrten Räderspuren. Stephan bemerkte das schmerzhafte Geratter kaum. Er lag auf seiner Decke zwischen den Schilfbündeln und fieberte. Dieses Fieber war eine Gnade Gottes. Es betäubte Zeit und Raum in ihm. Von matten, aber recht angenehmen Bildern umwirrt, dachte er nicht daran, СКАЧАТЬ