Название: Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen, Dramen & Gedichte (Über 200 Titel in einem Buch)
Автор: Franz Werfel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075835543
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»Iß davon, Junge! Essen schlägt alle Schmerzen tot.«
Stephan wollte seinen Wirt nicht kränken und biß mit matten Zähnen in den Käse. Er kaute und kaute, ohne den ersten Bissen schlucken zu können. Der Freundliche blickte ihn sorgenvoll an:
»Vielleicht wirst du mehr Kraft brauchen, als du hast, Söhnchen ...«
Stephan verstand die gutturalen Worte nicht, durfte es aber nicht zu erkennen geben. Er verneigte sich deshalb, legte die Hand aufs Herz und rezitierte den Universalsatz von seiner Krankheit, mochte er passen oder nicht:
»Ben bir az hasta im.«
Der Turkmene schwieg lange. Dann machte er, während seine mächtigen Backenknochen geruhsam mahlten, eine heftige Bewegung mit seiner messerbewehrten Faust, als wolle er etwas entzweischneiden. Stephan erschrak bis ins Lebensmark. Denn nun hörte er armenische Worte:
»Du heißt gar nicht Hussein. Laß diese Geschichten! Willst du wirklich nach Antakje? Ich glaub es dir nicht.«
Stephan wäre durch diesen Schlag fast um die Besinnung gekommen. Trotz seines Fiebers rannen ihm kalte Schweißtropfen über die Stirn. Die kleinen tiefliegenden Augen des Turkmenen waren sehr traurig geworden:
»Fürchte dich nicht, wie du auch heißt, und glaube an Gott! Solange du bei mir bist, wird dir nichts geschehen.«
Stephan nahm all seine Kenntnisse zusammen und versuchte ein paar türkische Worte zu stammeln. Der alte Bauer winkte ab, noch immer mit dem Messer in der Hand. Er brauchte keine Worte mehr. Der elenden Herden gedachte er, die von den Saptiehs bei Tag und Nacht an seinem Hause vorbeigetrieben wurden:
»Woher stammst du, Junge? Kommst du aus dem Norden? Bist du ihnen durchgebrannt? Fort aus einem Transport, he?«
Stephan faßte notgedrungen Zutrauen. Kein Leugnen mehr hätte geholfen. Er flüsterte ein rasches, abgehacktes Armenisch, damit ihn nur sein Wirt und nicht die feindselig lauschende Welt verstehen könne:
»Ich bin von hier. Vom Musa Dagh. Aus Yoghonoluk. Ich will nach Hause. Zu meinen Eltern.«
»Nach Hause?« Die knollige Bauernhand strähnte weisheitsvoll den grauen Bart: »Da gehörst du ja zu denen, die auf den Berg gezogen sind und dort Krieg gegen unser Militär führen. Schau einmal an ...« Die Stimme des Guten verfinsterte sich. Stephan glaubte schon, jetzt sei alles zu Ende. Er sank zur Seite und preßte schicksalergeben das Gesicht auf den braundürren Pelz dieser Erde. Der Turkmene hielt sein großes Messer in der Hand. Er mußte bloß zustoßen. Wann würde er's tun? Doch nur die schmunzelnde Stimme des Alten schlug an sein Ohr:
»Und wie heißt der andre, dein Vetter, dieser Essad? Das ist eine geriebene Seele. Die bekommt man nicht so leicht wie dich, Junge ...«
Stephan gab keine Antwort. In die letzte Bereitschaft eingewühlt, wartete er. Bald aber fühlte er sich von steinharten, doch sanftmütigen Händen aufgehoben:
»Was kannst du denn für die Alten und ihre Schuld? Gott möge dich hinbringen. Es wird dir und es wird ihnen nichts nützen. Jetzt komm! Wir wollen sehen, was sich machen läßt.«
Stephan mußte sich wieder in den Wagen zwischen die Schilfbündel legen. Der Turkmene aber schien ungeduldig geworden zu sein und hieb auf den Gaul ein, obgleich dieser so viele Meilen schon hinter sich hatte und sein struppiges Fell von Schweiß glänzte. Die Fahrt geriet jetzt oft in scharfen Trab, ja in kurzen Galopp, während der Bauer sonderbare Selbstgespräche führte oder das Pferd mit tadelnden Zurufen bedachte. Wie sehr Stephan auch zusammengeschüttelt wurde, er fühlte sich auf seinem rasselnden Bett immer tiefer in Gottes wohliger Hut. Er versuchte an Mama zu denken. War sie wirklich krank? Ach nein, nichts, gar nichts war geschehen. Was aus Sato, dieser Hündin, kommt, ist Gestank und Lüge. Wenn er, Stephan, zurückkehrt, wenn er vor dem langen Graben des Nordsattels stehen wird, dann rennt Awakian wie ein Toller um Papa, dann stürzen sie beide ihm entgegen, die Eltern, dann werden sie vor Freude über den Geretteten weinen, dann werden sie ihn umarmen und sich umarmen wie in alter Zeit. Trotz dieser mühsamen Gaukeleien gelang es Stephan nur sehr selten, Mamas reines Bild zu gewinnen. Meist war sie auf eine für ihn leidvolle Art mit Iskuhis Gestalt zusammengeschmolzen. Er konnte dagegen nichts tun, obgleich ihn das Zwitterbild eigentümlich peinigte. Dann aber mahnte ihn wieder Haiks Stimme, die Zeit nicht leichtsinnig zu vertrödeln. Jetzt war es Tag, jetzt hieß es schlafen und Kraft sammeln für den nächtlichen Weg. Er preßte, dem Freunde gehorsam, die Lider zu. Doch sein Knabenkörper hatte gegen den Schlaf schon so schwer gesündigt, daß dieser nichts mehr von ihm wissen wollte, sondern nur einen untergeordneten, aus Ohnmacht, Fieberflut und Überwachheit gemischten Wechselbalg schickte, der die Glieder lähmte, anstatt sie zu erquicken. Stephan schlief und erwachte nicht, als das Tageslicht immer goldhaltiger wurde, der abgehetzte Gaul in klapprigem Schritt einherzottelte und der Karrenweg ins Steigen zu kommen schien. Der Bauer hielt und hieß den fiebernden Fahrgast aussteigen. Mit schwerer Mühe entriß sich Stephan seinem Zustand und kroch vom Wagen herab. Er sah in mäßiger Ferne eine nackte Kuppe, von Festungsmauern umgürtet, deren Fuß mit weißen Häuserwürfeln weithin bedeckt war. Der Turkmene stieß seine Peitsche in dieses Bild:
»Habib en Neddschar, die Zitadelle! Antakje! Jetzt mußt du dich besser verstecken, Junge!«
Tatsächlich mündete der holprige Weg ein paar hundert Schritte weiter in die Bezirksstraße von Hammam, die Dschemal Pascha ebenfalls hatte neu schottern lassen. Auf dieser frischen Bahn herrschte unerwartet großes Leben. Der Turkmene schob die Schilfbündel auseinander, wodurch im Wagen eine tiefe Grube entstand:
»Da kriech hinein! Ich führe dich durch die Stadt und noch ein Stück über die Eiserne Brücke hinaus. Weiter aber geht's nicht. So, jetzt bleib still liegen!«
Stephan streckte sich aus. Der Bauer bedeckte ihn sehr geschickt, so daß er Luft bekam und unter der Last nicht allzusehr zu leiden hatte. In diesem Graben wichen alle Gedanken und Bilder von der Seele des Bagradiansohnes. Er lag da, nur mehr ein Stück gleichgültiger Schwere, ohne Furcht und ohne Mut. Der Wagen rollte schon auf der breiten Straße, glatt und angenehm. Stimmen lärmten und lachten von allen Seiten. Gleichgültig vernahm sie Stephan in seiner Tiefe. Dann holperte die Fahrt wieder, wie es schien, über eine gepflasterte Strecke. Plötzlich aber hielt der Wagen mit einem erschrockenen Ruck. Männer näherten sich und umstellten das Gefährt. Ohne Zweifel Saptiehs, Soldaten oder Polizisten. An Stephans Ohr drang das Gespräch dumpf und doch wie durch ein Schallrohr verstärkt:
»Wohin, Bauer?«
»In die Stadt, zum Wochenmarkt! Wohin denn anders?«
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