Название: Das Netzwerk
Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783864896224
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»Nanu? Speisen wir in Ihrer Kantine?«
»Beinahe. Ich glaube, dass unser Tischgespräch in der Öffentlichkeit nicht optimal aufgehoben wäre. Außerdem möchte ich Ihnen das Risiko einer unfreundlichen Bedienung ersparen, wie sie hier in Berlin leider häufig zu erleben ist. Aber ich verspreche Ihnen eines: Unsere Unterhaltung wird absolut nichts mit dem Wahlkampf zu tun haben.« Beide mussten grinsen. Frickes Gutsherrenart inklusive Einstecktuch und Menjou-Bärtchen passte nicht mehr so recht in die Zeit, sein souveräner Charme eines weltmännischen Diplomaten entwaffnete jedoch bislang zuverlässig jeden Kritiker. Im VIP-Bereich hatte der BND einen abhörsicheren Raum wie ein Restaurant eingerichtet. Bei den explodierenden Baukosten des BND-Neubaus war es darauf auch nicht mehr angekommen. Ein exzellenter Koch mit internationalen Küchenkenntnissen und ein professionelles Servicepersonal sollten ausländische Geheimdienstler beeindrucken. Die vierhunderteinundfünfzig Geheimdienstchefs aus einhundertsiebenundsechzig Ländern hatten Anspruch darauf, beim BND gebauchpinselt zu werden. Ein derartig diplomatisches Parkett gab es natürlich in Ellens Inlandsgeheimdienst nicht. Bei Ankunft der beiden Gäste waren die Speisen bereits servierfertig.
»Wir befinden uns im einzigen Raum im Haus, in dem das Alkoholverbot nicht gilt. Das Personal ist insoweit zu strengster Geheimhaltung verpflichtet!«
»Ich weiß! Wir haben Ihre Leute ja durchgecheckt!«, flachste Ellen zurück und griff zum Weißweinglas. »Sie wollen mich gesprächig machen … Was kredenzen Sie denn?«
»Lassen Sie sich überraschen!« Der Wein schmeckte fantastisch.
»Ein Grauburgunder?«
»Das ist geheim …« Der Kellner trug die Speisen auf und verkündete stolz: »Bœuf Stroganoff.«
»Mein Lieblingsessen? Entweder spionieren Sie mich aus, oder …«
»Oder der BND liest Frauenzeitschriften! Ja, das tun wir. Wir lesen alles.« Nach ihrem Amtstritt hatte Ellen ein Interview gegeben, das nun nach zwei Jahren überraschend Wirkung zeigte. »Beim BND wird nichts gelöscht. Datenschutz ist eher etwas für das Innenministerium, auch wenn ich weiß, was Ihnen Ihre ›Religion‹ bedeutet … Deshalb gibt es als Nachtisch auch Panna Cotta …«
»Sie verstehen es, eine Frau zu verwöhnen …«
»SIE zu verwöhnen, Frau Dr. Strachwitz. Alles Berechnung! Sie wissen doch, ich spiele Schach.«
»Und im Gegensatz zu meinem Vorgänger habe ich Sie insoweit als mögliche Schachpartnerin enttäuscht.«
»Sie haben andere Qualitäten …!«
Ellen zog theatralisch die Augenbrauen hoch. »Flirten Sie etwa gerade mit mir? Benötigen wir möglicherweise eine Anstandsdame?«, scherzte Ellen zurück.
»Der Gedanke hätte seinen Reiz, aber ich bin seit vierzig Jahren glücklich verheiratet, und auch beim Schach hat man nun einmal nur eine Dame. Nein, im Ernst, ich möchte ein paar delikate Angelegenheiten mit Ihnen besprechen. Als Erstes wäre da diese Snowden-Sache. Meine Techniker haben mir gesagt, dass der Mann sogenannte Crawler benutzt haben muss, um diese unfassbare Masse an Dokumenten zusammenzutragen. Das bedeutet aber, dass diese Dokumente im Intranet der NSA irgendwie verfügbar waren und automatisch von diesen Programmen eingesammelt wurden. Wir haben beim BND eine Risikoanalyse gemacht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass bei uns alles abgeschottet ist und ein einzelner Mann uns nicht in diesem Ausmaß schaden könnte. Allerdings könnte ein deutscher Snowden aus dem Verteidigungsministerium oder dem BND trotzdem für politischen Sprengstoff sorgen.«
»Und jetzt möchten Sie wissen, ob bei uns im Verfassungsschutz Gefahr droht? Keine Sorge, unsere Akten sind noch überwiegend aus Papier. Das gilt jedenfalls für die Schulungsunterlagen, wie sie Snowden bei der NSA rausgetragen hat. Der letzte Whistleblower-Vorfall, den wir hatten, war 1995. Der Verfassungsschutz wird der Branche keine Schande machen – jedenfalls nicht auf diesem Gebiet …«
»Ja, die Geheimhaltung funktioniert in Ihrem Hause ja in letzter Zeit geradezu unheimlich gut. Womit wir beim unangenehmen Teil unseres netten Gesprächs wären. Von der NSA zum NSU.«
»Sie verstehen, dass ich das Thema nicht mit Ihnen erörtern kann. Außerdem kennen Sie die Absprache, die ich mit meinem Stellvertreter habe, dass ich mich nicht über die Details alter Geschichten informieren lasse, um diese gegebenenfalls plausibel abstreiten zu können. Ich will nur verantwortlich für das sein, was während meiner Amtszeit in meinem Haus geschieht.«
»Selbstverständlich. Es gibt da aber eine Sache, bei der meine Mitarbeiter gerne Klarheit für die Aktenlage hätten, aber schlecht direkt in Ihrem Haus nachfragen können. Stichwort NPD. Es gibt da in der Region Franken zwei NPD-Funktionäre, die wir auf dem Schirm haben, weil sie auch im Ausland entsprechend vernetzt sind. Die haben sich über die Jahre hinweg gegenseitig darin überboten, wer der größere Hetzer war. Sie wissen, welche zwei Vögel ich meine.«
»Natürlich …«
»Bei diesen beiden übereifrigen Neonazis sprechen gewisse Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht ganz authentisch sind. Dafür sind sie bisweilen eine Spur zu missionarisch und auch sonst zu auffällig.«
»Ist uns auch schon aufgefallen. Glauben Sie, dass die beiden fremdgesteuert sind?«
»Zumindest bei einem der beiden sind wir ganz sicher, dass er von interessierter Seite gezielt zur Provokation eingesetzt wurde. Wir hatten lange einen ausländischen Geheimdienst im Verdacht, was wir gerne ausschließen würden. Der Mann ist allerdings seit letztem Jahr auf einmal sehr ruhig geworden. Wir fragen uns jetzt natürlich, ob das vielleicht etwas mit der Weisung der Bundesregierung von letztem Jahr zu tun haben könnte, alle V-Leute in der NPD abzuschalten.«
»Die sind wohl beide sehr ruhig geworden, seither …«
»Würden Sie mal zwinkern, ob wir mit der Vermutung richtig liegen, dass der eine von beiden ein V-Mann aus Ihrem Laden war?«
»Wenn Sie nur nach dem einen fragen, dann haben Sie offenbar Erkenntnisse über den anderen?«
»Vielleicht.«
»Vielleicht deshalb, weil der andere Ihr eigener V-Mann war?«
Fricke grinste. »Ich kann es nicht ausschließen …«
Ellen grinste zurück, sah kurz verschämt zu Boden und dann Fricke verschmitzt in die Augen. Dann lachte sie kopfschüttelnd. »Was für ein Irrsinn! Wir haben auf Kosten der Steuerzahler Nazis inszeniert, die sich gegenseitig für echt halten! Wenn das rauskommt, wird es wirklich peinlich.«
»Wird es nicht. Wir haben unseren Mann abgeschaltet, und ich habe meine Leute im Griff. Unser Ex-V-Mann wird mit Sicherheit nicht an die Öffentlichkeit gehen. Und zwar deshalb, weil er Angst vor Ihrem Schützling hat. Ist Ihrer berechenbar?«
»Davon gehen wir aus. Der wurde von einem Landesamt für Verfassungsschutz geführt, nicht direkt von uns. Er scheint aber auch kooperativ zu sein, denn er hat Angst vor Ihrem V-Mann …« Beide mussten lachen, Fricke erhob das Glas, Ellen stieß an.
»Wenn noch ein dritter Nazi da wäre, müssten wir wohl den MAD fragen, ob das dessen V-Mann ist«, scherzte Fricke.
»Ich habe nie so recht verstanden, warum der BND und der MAD V-Leute СКАЧАТЬ