Название: Das Netzwerk
Автор: Markus Kompa
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783864896224
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»Dieser Rechner hatte jedenfalls keine Kamera. Und die Notebooks stehen immer so da wie jetzt. Damit können die nicht die Tastatur filmen!«
Der Experte suchte das Zimmer nach spiegelnden Oberflächen ab.
»Es ist möglich, jede Computertaste anhand ihres spezifischen Anschlaggeräuschs akustisch zu identifizieren. Es würde daher ausreichen, wenn man sie über die Notebooks, ein Telefon oder über eine Laserabtastung der Fensterscheibe abgehört hat. Auch deutsche Geheimdienste praktizieren dieses Verfahren seit den Neunzigerjahren.«
»Abgefahren.«
»Hören Sie, ich kann Ihnen nicht sagen, wie es konkret gemacht wurde. Aber dass man Ihr System irgendwie gehackt hat, halte ich für sehr wahrscheinlich.«
Nachdem der Experte gegangen war, wollte Conny die Zeit nutzen, um ihre Wikipedia-Accounts zu bespielen. Doch auch dieses System verweigerte ihr den Zugang. Nach und nach musste Conny feststellen, dass keines ihrer Passwörter für ihre über Jahre hinweg gepflegten Scheinpersönlichkeiten in der Wikipedia mehr funktionierte. Zunächst befürchtete sie, dass die Fehlzeiten ihrer zahlreichen Avatare langfristig auffallen und sie als deren Urheberin verraten könnten. Dann aber entdeckte sie, dass sich ihre Sockenpuppen erstaunlicherweise noch immer an Edits und am Diskurs beteiligten – und zwar in genau dem Stil, den Conny jeweils für sie designt hatte. Wer auch immer ihre Ingos, Heidruns und Herberts nun kontrollierte, wusste offenbar genau, was er tat. Das Eigenleben der von ihr geschaffenen virtuellen Personen war geradezu unheimlich. Einzig ihre konventionelle E-Mail-Adresse hatte ihr der unbekannte Angreifer gelassen – und ihre für sie wichtigste Schein-Identität: ihr Blogger-Pseudonym.
Im Flieger von Berlin nach Köln checkte Ellen ihre Mails. Außerdem erfuhr sie, dass die Bundesjustizministerin ohne Rücksprache mit ihr zwei Brandbriefe an Mitglieder der britischen Regierung geschickt hatte, in denen sie Auskünfte über die Programme PRISM und TEMPORA gefordert hatte. Der Alleingang war ärgerlich, aber verständlich.
Der Verfassungsschutz war dem Innenministerium unterstellt. Wenn der Innenminister seine Kabinettskollegin im Unklaren darüber ließ, wie eng man hinter den Kulissen agierte, war das nicht ihre Schuld. Vielleicht aber bald ihr Problem. Und da war auch schon die Krypto-E-Mail mit der offiziellen Sprachregelung des Innenministers:
Sagen Sie der Presse auf Anfrage: Wir wissen nichts über die Überwachungsprogramme PRISM und TEMPORA. Wir haben keine Kenntnis von einem Zugriff auf unsere Netze.
Ellen atmete schwer durch. Gerade einmal zwei Monate war es her, dass sie als Präsidentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz der NSA vertraglich Zugriffe zugesichert hatte. Die in Deutschland erhobenen Datenverkehre waren der Preis für die Nutzungslizenz der sagenhaften NSA-Software XKeyscore gewesen. Das Programm analysierte alle möglichen Daten, die einer Zielpersonen zugeordnet werden konnten, wie etwa solche aus E-Mails, Bankkonten, Telefonaten, und Äußerungen in sozialen Netzwerken. XKeyscore stellte in Sekundenbruchteilen Dossiers über eine Zielperson und deren Kontakte zusammen und ermöglichte daher das effizienteste Durchleuchten jedes Internetnutzers, der mit seinen Daten nicht konspirativ umging. Statt mit Geld, das die NSA mehr als genug hatte, bezahlte Deutschland mit den Daten der Bevölkerung. Das Geschäft war von der Politik, dem BND und Ellens Vorgänger bereits mit der NSA ausgehandelt gewesen. Schon während ihrer Zeit im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin, das einer der Hauptbedarfsträger für XKeyscore sein sollte, war Ellen mit dem Deal befasst gewesen. Fassungslos wurde sie als renommierte Datenschützerin Zeugin davon, dass der Bundesregierung die Daten ihrer Bürger weniger bedeuteten als das politische Ziel, in den sagenhaften Five Eyes Geheimdienstverbund von Großbritannien, USA, Kanada, Neuseeland und Australien aufgenommen zu werden. Ellen hatte ihre Kritik an diesem Vorhaben als geübte Diplomatin nur indirekt formuliert, denn sie wusste, dass ihre Karriere bei den Geheimen bei unerwünschter Rechtsauffassung beendet war. Ihre stille Hoffnung, durch ihre Position als oberste Verfassungsschützerin das Schlimmste verhüten zu können, hatte sie alsbald begraben müssen. Mit den Wölfen zu heulen, erschien ihr als das geringere Übel. Der Verrat an den Menschen, deren verfassungsgemäß garantierte Rechte auf das Fernmeldegeheimnis die Bundesregierung latent missachtete, war neben dem Verzicht auf die öffentliche NSU-Aufklärung die dickste Kröte, die sie zu schlucken hatte. Präsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz wurde man nun einmal nur, wenn man auch bereit war, einen Preis zu zahlen und Kompromisse einzugehen. Doch Ellens Bereitschaft hierzu war weitaus geringer, als ihr Umfeld ahnte.
»Fachanwalt für Strafrecht« hatte Jörg auf dem Messingschild der Kanzlei gelesen. Bevor er den Enthüllungsjournalisten Reinecke aufgesucht hatte, um politisch Druck zu machen, hatte er sich vorab darüber informieren wollen, ob er aus seiner Situation mit juristischen Mitteln wieder herauskäme. Rechtsanwalt Buske war schließlich bereit gewesen, ihn gegen Vorkasse kurzfristig zu empfangen.
»Bevor ich mit Ihnen spreche, muss ich ganz sicher sein, dass ich Ihnen vertrauen kann«, begann Jörg. »Es handelt sich um eine streng vertrauliche Angelegenheit.«
»Keine Sorge, ich bin Berufsgeheimnisträger. Ich würde meine Zulassung verlieren und mich strafbar machen, wenn ich meine Schweigepflichten verletze.«
»Ich bin auch Geheimnisträger. Bundeswehr. Eigentlich dürfte ich mit Ihnen gar nicht über mein Problem sprechen.«
»Doch, Sie dürfen gegenüber einem Anwalt jedes Geheimnis offenbaren, auch Staatsgeheimnisse. Ich bin zu umfassendem Schweigen verpflichtet. Gehen Sie davon aus, dass ich meine Anwaltszulassung noch eine Weile behalten und nicht ins Gefängnis gehen will!«
»Und wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, dass ich einen Mord vorhabe?«
»Selbst dann dürfte ich Sie nicht an die Behörden verraten. Aber ich würde wahrscheinlich versuchen, Ihnen dieses Vorhaben auszureden.«
»Kennen Sie sich mit Bundeswehrstrafrecht aus?«, wollte Jörg wissen.
»Disziplinarrecht? Ist nicht ganz mein Tagesgeschäft. Ich hatte allerdings beim Bund selbst mal Stress mit dem Spieß gehabt!«
»Nein, ich meine, wenn man für den Staat jemanden umbringt. Was da passieren kann.«
»Nun, wenn Sie grundsätzlich auf Befehl handeln und Kombattanten oder Personen mit ständigem Kampfauftrag töten, sind vorsätzliche Tötungen durch das Völkerstrafrecht gedeckt. Auch Zivilisten dürfen getötet werden, wenn eine Tötung aus der Vorabbeurteilung des Soldaten in einem nachvollziehbaren Verhältnis zu einem unmittelbaren und konkreten militärischen Vorteil steht. Dafür sind aber immer die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Wurde vielleicht eine akute Gefahrenquelle angegriffen? Wurde etwa die Zivilbevölkerung zuvor gewarnt?«
»Jaja, das weiß ich. Ich bin Feldwebel. Was ist, wenn ich jemanden auf Befehl töte, aber nicht in einem Kriegsgebiet?«
»Das wäre eine konventionelle Tötung, die nicht vom Völkerstrafrecht gedeckt ist. Sofern nicht eine Nothilfesituation vorliegt, mit der Sie etwa andere Menschen vor einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr retten, haben Sie ein Problem. Da hilft auch nicht, dass Sie auf Befehl handeln.«
»Gibt es nicht so etwas wie einen übergesetzlichen Notstand?«
»Jedenfalls nicht in der Weise, als dass es eine Lizenz zum Töten gäbe. In Zeiten der RAF wurde diskutiert, die Terroristen in ihren Zellen in Stammheim СКАЧАТЬ