Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ alten Moosburg empor und streckten und reckten lustig ihre Türmchen und Dächer in den Sonnenschein hinaus und grüßten aus kleinen Fenstern hinüber zu den grünen Hügeln, und die grünen Hügel grüßten herüber, wie sie heute herübergrüßten – aber die Fenster waren längst zerbrochen und die Mauern waren vertilgt vom Erdboden.

      Ich sprang auf und ging über den Acker. Da stand mein Vater auf seinen Stock gestützt, schaute nachdenklich auf den großen Schlüssel und wog ihn hin und her in den Händen. Er bemerkte mich nicht. Ich aber trat hinter ihn und sagte leise die Worte des französischen Emigranten:

      »So stehst du, o Schloß meiner Väter,

       Mir treu und fest in dem Sinn,

       Und bist von der Erde verschwunden,

       Der Pflug geht über dich hin.«

      Nun wandte er sich zu mir, lächelte und sagte: »Es ist wahr! Es gibt doch nichts, was nicht auch schon ein anderer vor uns empfunden hat.«

      Die Grillen zirpten, und ein leichter Luftzug strich über die Stoppeln des Ackers. Langsam gingen wir auf dem engen Pfad über die feuchte Wiese zurück; sorgfältig steckte der Vater seinen Schlüssel in die Tasche und sagte: »Auch eine alte Urkunde.«

      Hinter uns rauschte das Schilf im versumpften Graben, und bald waren wir in dem Wald auf dem Hügel verschwunden.

      Aus meiner Kindheit.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir wanderten durch die Wälder und schwiegen. Mir aber trat plötzlich in voller Frische ein Erlebnis aus meiner Kindheit vor die Seele. An einem Herbsttag war's gewesen vor vielen Jahren, und lange hatten wir zu steigen gehabt; endlich standen wir auf der Höhe. Es war einer der schönsten Berge im bayerischen Walde.

      Eine frische Luft strich über den Bergrücken, man rief die erhitzten Kinder herzu und hüllte sie in warme Überkleider.

      Dann standen die großen Leute auf dem höchsten Punkte des Grates und schauten über das wogende Waldmeer hinein in das hellbeleuchtete böhmische Land. Ich hatte meinen Steinhammer gezogen und klopfte an den schwarz und weiß gesprenkelten Felsblöcken, den letzten Resten eines uralten Gemäuers. Der Fernblick kümmerte mich wenig; was wissen Kinder mit dem anzufangen, das sie nicht zu greifen, in ihren Besitz zu ziehen vermögen? Später freilich bin ich einmal an derselben Stelle gestanden, und da ist mir die gewaltige Rundschau tief zu Herzen gegangen, und ich habe mich fast nicht zu trennen vermocht von dem Blick auf das unendliche Land, das sich von diesem Berge hinzieht, soweit die Wolken gehen, das ein Menschenherz hinlockt über seine grünen Wellen und eine mächtige Sehnsucht in ihm entbrennen läßt, hinabzusteigen und zu wandern, immer weiter zu wandern.

      Das alles war damals auch schon vorhanden, ich sah es nicht. Zuletzt ward ich müde, setzte mich auf einen Stein und schaute einem Käfer zu, der neben mir über den Rasen kroch.

      Da stand auf einmal mein Vater hinter mir und fragte mich: »Georg, siehst du den Wald dort unten?«

      Ich wandte meinen Kopf und sagte: »Ja wohl, Vater.«

      »Dann schau' auch dorthin! Siehst du das glänzende, weite Land und die Hügel ganz draußen, zu denen der große Wald hinläuft?«

      »Ja, ich sehe sie.«

      »Wie weit mag es wohl bis dorthin sein, Georg, wenn einer rüstig ginge?«

      Ich besann mich und sagte: »Eine gute Stunde.«

      »Nein,« antwortete mein Vater und lächelte. »Es sind sechs gute Wegstunden.«

      Ich sagte nichts mehr. Der Vater aber setzte sich zu mir auf den moosigen Stein und schlang den Arm um mich. Das that er sonst nur an meinem Geburtstag.

      Ich war recht verwundert und wegen meiner thörichten Antwort in ziemlich gedrückter Stimmung. Dann grübelte ich darüber nach, was der Vater wohl jetzt denken möchte.

      Was der Vater jetzt wohl denke! Das beschäftigte mich auch sonst sehr oft, es beschäftigte mich, wenn ich mein Mittagsbrot mit Vater, Mutter und der kleinen Schwester verzehrte, wenn ich mit den Meinen spazieren ging, oder wenn ich den Vater gar zu seinem Amtshause begleitete. Immer hatte ich eine so unendlich hohe Vorstellung von dem Ernst und von der unergründlichen Tiefe seiner Gedanken, daß ich's gar nicht auszudenken vermochte. Die blühende Mutter – ja, die war mir zwar das Idealbild aller irdischen Schönheit, und von dieser ihrer Schönheit und meiner Liebe zu ihr war ich einst so überwältigt, daß ich mich vor sie hinstellte, lange unverwandt zu ihr emporschaute und endlich in einer seltsamen Ideenverbindung mit zuckenden Lippen sagte: »Mutter, wenn du einmal gestorben bist, dann laß' ich dich ausstopfen und stelle dich in mein Zimmer.« Darauf umklammerte ich ihre Schürze und begann zu schluchzen. Das war meine Mutter – aber daran, daß sie gleich dem Vater so ganz unergründliche Gedanken habe, daran hatte mein Herz nie gedacht. Sie war uns ja doch den ganzen Tag so nahe, vom Aufstehen bis zum Niederlegen, teilte alle unsere kleinen Freuden und Leiden, und wir sahen sie viel mehr für unseresgleichen an. –

      Da saß ich denn auf dem Stein und hatte meinen Kopf an die Brust des Vaters gelehnt und getraute mich in meiner feierlichen Stimmung kaum zu atmen.

      Der Vater sprach lange nichts mehr, und als ich endlich vermeinte, er habe mich über seinen Gedanken gar vergessen, und verstohlen zu ihm emporsah, da bemerkte ich, daß seine glänzenden Augen unverwandt über die Wälder in die Ferne schauten. Ich schlug meinen Blick nieder und holte leise recht tief Atem.

      »Georg!«

      »Ja?«

      »Georg, schau' noch einmal hinaus zu den blauen Hügeln.«

      »Ja, Vater.«

      »Sieh', Georg, das ist unsere alte Heimat.«

      »Wie?«

      Mein Vater hörte mich schon nicht mehr, und ich hatte Zeit, über seine seltsamen Worte nachzudenken. »Unsere alte Heimat« – das verstand ich doch gar nicht. Unsere Heimat war ja nicht da drüben, sondern hinter uns, draußen im flachen Land! Da lag das Städtlein mit dem hohen Kirchturm und mit der großen Burg auf dem waldigen Hügel und mit den breiten Straßen, und dort stand unser Wohnhaus, und dort war ich geboren, und dort hatte ich meine guten Freunde, und dort war unsere Heimat. Ich wußte nicht, was der Vater wollte.

      »Georg!«

      »Ja?«

      »Georg, weißt du, auf was wir sitzen?«

      »Ja, es ist ein Felsen, und einen solchen habe ich noch gar niemals gesehen und habe auch keinen in meinem Steinkasten. Er ist aber so hart, daß ich kein Stücklein von ihm wegbringe. Bitte, haue mir doch ein Stück weg.«

      Mein Vater hieb lächelnd ein Stück ab von der vielhundertjährigen Mauer, die ich für einen Felsblock hielt.

      Dann sagte er: »Höre, Georg, das ist kein gewachsener Felsen, sondern eine alte Mauer. Auf diesem Berg ist einmal vor langer Zeit ein vornehmer Mann, ein Graf, gestanden, hat weit umhergesehen und sodann beschlossen, hier eine feste Burg mit Türmen und Ringmauern und Gemächern zu bauen. Seine Leute kamen aus dem Thale heraus, hieben tiefe Keller in den Felsen und bearbeiteten die Steine. Und der Graf freute sich in СКАЧАТЬ