Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ gezähmte Schlange, der man Lasten auf die glitzernden Schuppen gelegt hat, oder wenn es im Dorfbach geschwätzig an mir vorübereilt und den Buben ihre Rindenschifflein entführt. Am schönsten aber ist's, auf einer Brücke zu stehen und hinunter ins fließende Wasser zu schauen, wenn die glänzende, warme Sonne auf den Wellen liegt, nur immer zu schauen, bis zuletzt auch die Brücke und das Land mitzufließen scheint, gar nichts zu denken und nur noch zu träumen.

      So träumte auch ich, und ich weiß nicht, wie lange ich noch weiter geträumt hätte. Da kam mein Vater.

      Noch einige hundert Schritte, und wir traten in den schattigen Kranz von Obstbäumen, der das Dorf umgab. Alles war ruhig, und auch die Hunde schienen zu schlafen.

      Wir gingen in den nächsten Hof und in das strohgedeckte Haus. Eine angenehme Kühle umfing uns, wir trockneten die heißen Stirnen, und dann klopften wir an der ersten Thüre.

      Eine Frauenstimme rief »herein«, und wir hatten uns beide tief zu bücken, damit wir die Köpfe nicht an dem niedrigen Thürbalken anstießen.

      Da drinnen in der Stube war's Sonntag, wie es drüben im Stationsgebäude Sonntag war, wie es in der gelben Postkutsche auf der heißen Straße Sonntag war und wie es draußen Sonntag war auf der Brücke unter den Erlen. Sonntagsluft ging durch das Land, und es lag allenthalben ein stiller Sonntagsglanz.

      Den Fußboden des Zimmers bedeckte weißer, feiner Sand und kleingehacktes, grünes Tannengezweige, durch die schwankenden Reben und die blitzhellen Fenster schossen die Sonnenstrahlen herein, zeigten, wie blank der Ahorntisch in der Ecke gescheuert war, und spielten in dem weißen Haar eines Mannes, der den Kopf in die Hände gestützt hatte und in einem Buche las. Hinten am kalten Kachelofen aber saßen Zwei, denen es wohl auch recht wie Sonntagsluft und Sonntagsglanz ums Herz sein mochte. Sie hatte ein schwarzes Kleid an, das in vielen Falten herabhing, hatte ein schönes, blaues Mieder an, das mit silbernen Spangen geschlossen war, und um ihren runden Kopf, aus dem zwei lustige Augen in die Welt guckten, war in dicken Flechten flachsblondes Haar geschlungen. Er hatte ein gutmütiges, junges Gesicht und ein schwarzes Schnurrbärtchen; er stak in grünen Reiterhosen, hatte lange Stiefel mit glänzenden Sporen an, und auf dem Kopfe trug er die kecke, grüne Mütze mit dem roten Ausputz. Sein Waffenrock aber hing hinter ihm an der Thüre.

      Alles war sonntagsruhig in dieser Stube, selbst die graue Katze, die sich zu Füßen des Alten putzte, war sonntäglich anzusehen, und die summenden Fliegen an der Decke hatten auch stille Zeit.

      Die drei Menschen schauten uns an, als wir in die Stube traten. Der Alte nahm seine große Hornbrille von den Augen und stand langsam auf; die Zwei auf der Ofenbank blieben ruhig sitzen, aber das Dirnlein war auf einmal ganz rot geworden und steckte ihren Zeigefinger in den Mund.

      »Grüß Gott«, sagte mein Vater. »Wo geht man denn zur Moosburg, Bauer?«

      »Die Moosburg wollen die Herren sehen? Ja, da schauen's aber nit viel dran.«

      »Macht nichts, Bauer. Wir schauen's uns auch an, wenn wenig zu sehen ist. Stehen die Mauern noch?«

      »Nein, Herr, kein einziger Stein. Wirklich, wenn mir's mein Großvater seliger nit gesagt hätt', er hätt' selber als kleiner Schulbub noch die schwarzen Trümmer gesehen, ich glaubet's nit, daß dorten ein Geschloß gestanden ist.«

      »Wer hat denn dort gehaust?«

      »Ja, sehen's, das weiß ich nit ganz genau; der Herr Lehrer hat gesagt, daß es Raubritter gewest sind. Warten's nur, er hat's auch einmal genannt, wie sich die geschrieben haben; aber jetzt fallt mir's nit ein. Ist halt auch schon lang her, gewiß hundert Jahr, daß die da gewohnt haben.«

      »Raubritter!« Ich mußte lachen im stillen. Wenn der Eilzug durch die Thäler schnaubt und da und dort von steilen Höhen die kühnen Trümmer einer alten Bergveste ins Land hinaus grüßen, dann schaut wohl einer aus den weichen Kissen empor, dehnt sich und freut sich über seine gebildete, friedliche, gerechte Zeit, freut sich, daß die böse und grausam rohe Raubzeit aus ist, freut sich – und nimmt sein Börsenblatt zur Hand.

      Und wenn an linden Sommernachmittagen der biedere Spießbürger mit den Seinen sich draußen ergeht, auszuruhen von den Mühen der Woche – dann nimmt er wohl im Drange des Belehrungseifers seinen Jüngsten bei der Hand, heißt ihn emporschauen zu einer alten Burg und sagt ihm, daß dort oben einst vor langen Zeiten ein Räubergeschlecht in eisernen Kleidern gesessen sei und die Leute im Thal gedrückt und geschunden habe. Und dann sagt er sicher noch: »Dank deinem Schöpfer, Michel, daß die nimmer sind.« Der Brave ahnt nicht, wie vielleicht diese Herren da oben lange, schreckliche Jahrhunderte hindurch mit starker Hand das Land schützten, er weiß es nicht, daß unter diesem Schutze der Bauer friedlich seinen Acker bestellen, der Bürger seinen Hantierungen nachgehen, Frauen und Kinder ruhig und unbehelligt leben konnten!

      Wohl haben an vielen Orten ritterbürtige Männer ihre Ritterehre vergessen und ihre Kraft und ihre festen Häuser mißbraucht. Aber die gedankenlose Menge feindet alles an, was aus den Niederungen emporragt, und so macht sie aus jeder Burg ein Raubnest, aus jedem Ritter einen Räuber – gerade, wie sie in jedem alten Kloster nichts sieht als einen Sumpf. Sie kann ja nicht denken, sie weiß nicht, daß unsere Kultur nicht nur aus den stolzen Städten des späten Mittelalters, sondern auch aus Tausenden von Klöstern und Edelsitzen erblüht ist, die lange vor diesen Städten gewesen sind.

      »Raubritter!« Hier kannte ich die »Raubritter« recht genau: Zwei Generationen hindurch hatten im sechzehnten Jahrhundert Glieder meines eigenen Geschlechtes die kleine Burg im Moos bewohnt, während sie in dem Städtlein eine halbe Stunde flußabwärts eifrig dem friedlichen Pflegamt oblagen, für das Wohl ihrer Untergebenen sorgten und ein ehrbares Leben führten. Der Herr Lehrer aber sagt, es seien Raubritter gewesen – nun, der Mann mußte es ja wohl wissen.

      »Sehen's,« sagte der Alte, schmunzelte und griff in einen Wandschrank, »da haben's im Fruhjahr 'was von dem Geschloß aus dem Erdboden 'rausgeackert. Das ist alles, was noch von dem Geschloß übrig ist.« Und damit reichte er uns einen gewaltigen, verrosteten Schlüssel herüber. Er hatte einen großen, kunstvollen Bart, ein Meisterwerk altdeutscher Schlosserkunst.

      Der Vater nahm ihn und schaute ihn lange an; hierauf fragte er, ob wir ihn vielleicht für Geld und gute Worte haben könnten. Da kicherte die Kleine auf der Bank am Ofen und wurde noch röter, als wir hinsahen. Der Alte aber sagte: »Wär' schon recht grob, wenn ich für so 'was Geld nehmen wollt! Den können's so einstecken. Geh', Johann, weis die Herrn an's Gschloß.«

      Wir dankten dem Bauern und gingen mit dem Soldaten, der sporenklirrend vor uns herschritt, aus der Stube. Er führte uns durch den schattigen Grasgarten, an einigen Äckern vorüber, und nach wenigen Minuten kamen wir auf eine große Wiese.

      Drüben zur Rechten stieß sie an den Fluß und an die Erlen, und links dehnten sich die dunkelgrünen Waldhügel, so weit das Auge sah. Gerade vor uns aber, mitten in der Wiese, erhob sich ein mäßig großer Erdring, um den ein Graben lief. Die ganze Wiese war sumpfig und hatte sauere Gräser, und als wir auf dem schmalen Wege an den Graben gekommen waren, sahen wir, daß braunes Wasser in ihm stand.

      Wir gingen auf einem engen, festen Damme hinüber, und jetzt bemerkten wir, daß in der Umwallung ein Stoppelfeld war. Dort hatten sie den Schlüssel aus der Erde gepflügt, den der Vater in der Hand hielt. Seltsam, der alte, verrostete Schlüssel, der versumpfte Graben, der Wall und der Acker mit den gelben Stoppeln!

      Ich ging auf die andere Seite des Feldes, warf mich auf den Boden, lehnte meinen Kopf an den Erdwall und schaute hinauf in die blaue, flimmernde Luft. Und während vorne der Vater bald da bald dort auf den Boden stampfte und auf den hohlen Klang horchte, und während der Bursch wieder durch die sumpfige Wiese zu seinem Schatz in die Sonntagsstube СКАЧАТЬ