Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Jahre schlägt er aus wie die andern Bäume und ist aber viel anders als die andern Bäume,« sagt der Mann, und ich weiß nicht, ob er das zu uns sagt oder ob er mit sich selber spricht. Er schaut uns nicht an, der kalte Wind zaust seine Haare, und er dreht sein Käpplein zwischen den Händen. Der Vater sagt, er solle es aufsetzen, aber er hört nicht und redet weiter:

      »Den Baum kann niemand nennen, er sieht nur aus wie ein Lindenbaum. Er ist auch nicht faulig; der Ast da droben muß ja noch den großen Reiter tragen, wenn der Feind kommt, den du gar nicht zählen kannst. Da wird drunten und überall eine Schlacht sein um den Baum her, daß das Blut die Mühl' bei Linda treibt. Der Baum, den du nicht nennen kannst, wird stehen bleiben, bis alles zu Grunde geht. Hernach kommen aber neue, reiche Menschen, und alle armen Menschen sind tot.«

      Das Männlein hat zuletzt ganz laut und fest gesprochen. Dann sagt es unterwürfig mit weinerlicher Stimme: »Bitt' gar schön, schenkt's mir einen Kreuzer.«

      Der Vater reicht ihm eine Gabe, und es trollt weiter. Der Vater fragt mich, was das gewesen sei. Ich antworte: »Ein Blöder, der uns eine der ältesten Sagen seines Volkes erzählt hat.«

      »Du hast recht,« sagt der Vater. »Es klang wie Auferstehen und Gericht.«

      Langsam gehen wir unter dem Baum vorbei und sehen hinaus ins Land. Über den böhmischen Wäldern steht jetzt die volle Mondscheibe und übergießt die dunkle Landschaft mit ihrem weißen Lichte, weithin gegen Morgen, Abend und Mitternacht wallen die Nebel. Hinter uns rauschen die Blätter der Linde – wohl vom Herbst und vom Gehen, oder gar von dem geharnischten Reiter, von der schrecklichen Schlacht, von den Blutbächen, von der Götterdämmerung, von der Furcht vor einem Weltgericht, von der Hoffnung auf bessere Zeiten und von einem alten, verdrängten Glauben, der durchs Land irrt im Bettlergewande der Sage? Wer weiß es? –

      Aber da! Vor uns, auf gleicher Höhe mit dem Berggrat, über dem weißen Nebelmeer drüben, ragt ein Schloß mit hohem Dach, mit dicken, runden Türmen; hinter ihm steht ein langgestreckter Hügel mit schwarzen Wäldern; das Mondlicht spielt auf den Wäldern, auf dem Nebel und auf dem Dach des Schlosses; das Schloß liegt da wie ein großes Auswandererschiff, vor einer stillen Insel verankert. Lange schauen wir hinüber. Es ist das Schloß von Hohendreß, es ist die Heimat unserer Väter.

      Ubi sunt, qui ante nos?

       Inhaltsverzeichnis

      Wo sind sie denn, die vor uns waren? Sie hatten sich doch einst so feste Häuser gebaut und hatten sich so wohnlich auf der Erde eingerichtet. Sie hatten doch so treu gearbeitet, sie hatten doch so große Achtung genossen. Sie hatten doch so viel gekämpft und so mannhaft gelitten. Sie hatten sich doch mit so weiten Plänen getragen; man hatte sie doch für unentbehrlich gehalten. Wo sind sie denn?

      Sie hatten ihre Äcker bestellt, sie hatten gelebt, geliebt, gehofft, gezagt. Sie hatten Ämter innegehabt, gewichtige Ämter, sie hatten Erfolge errungen, sie hatten sich mit Sorgen getragen, mit Sorgen, die ihnen so groß wie Berge vorkamen.

      Wo sind denn die großen Sorgen, die schönen Erfolge, die gewichtigen Ämter, wo ist denn ihr Zagen, ihr Hoffen, ihr Lieben? Wo sind sie denn?

      Sie sind vergessen in ihrer Stadt. Ihre Häuser sind längst verschwunden, oder Fremde haben ihre Wohnungen darinnen aufgeschlagen. Ihre Habe ist längst zerstreut, von ihrer Arbeit weiß niemand. Die ihnen Ehre geschenkt haben, sind tot, die ihre Feinde waren, sind gleich ihnen vergessen; neue Geschlechter bücken sich vor einander, neue Geschlechter bekämpfen sich. Die Pläne der Alten sind begraben, Hunderte hat man nach ihnen für unentbehrlich gehalten und hernach – entbehrt, vergessen.

      Es müssen doch Spuren von ihnen vorhanden sein? Die Waldameise bahnt sich Straßen und Wege durch den Sand – ein Platzregen geht herab und verwäscht sie. Aber die stolzen Menschenwege sind doch breiter und fester? Dort im Rathaus müssen ihre Ämter verzeichnet sein, hier im Pfarrhaus müssen ihre Namen zu finden sein, laß dir die Kirche aufschließen und suche nach ihren Grabsteinen, suche, suche, du mußt ihre Spuren finden. Suche, sonst packt dich ein Entsetzen über die Nichtigkeit des Daseins.

      Und wir haben gesucht. Wir sind aufs Rathaus gegangen – wir haben nichts gefunden. Wir sind zum Pfarrer gegangen – wir haben nichts gefunden.

      Sie haben uns erzählt: Vor zwanzig Jahren war ein großer Brand. Der zerstörte den halben Ort samt dem Rathause und der Kirche und mit ihnen alle Dokumente aus der alten Zeit. Nur das Schloß blieb verschont, weil die große Linde im Schloßhof mit ihren Ästen die roten Funken auffing, die alten Dächer rettete und sich dabei zu Tode sengte.

      Wir sind auch um die Kirche gegangen. Wo einst der Friedhof gewesen war, dehnte sich unter Linden und Kastanien ein großer Rasenplatz, und auf den eingesunkenen Grabhügeln sangen und spielten und tanzten die Kinder des neuen Geschlechts. Das graue Schloß schaute auf den Platz herab, der ewige Himmel war darüber ausgespannt, droben im Kirchturm aber ging rastlos ein Pendel, drehte rastlos die langen Zeiger der Uhr, alle Viertelstunden schlug der Hammer hell an die Glocke – und die Kinder spielten weiter.

      Die Kinder, das Pendel, die Gräber – es tritt mir ein Bild vor die Seele: Was sind die Völker der Erde seit Anbeginn anderes als ein gewaltiges Pendel! In großen Schwingungen werden sie von einer unsichtbaren Macht hin- und hergetrieben, steigen empor, sinken zurück, steigen wieder empor, um wieder zu sinken; und wir fühlen die mächtigen Bewegungen, wir jubeln über den unaufhaltsamen Fortschritt, wenn das Pendel steigt, wir klagen und wissen nicht, woher der Rückschritt kommt, wenn das Pendel fällt, und wähnen doch, daß bei alledem unendliche Wege zurückgelegt werden – weil wir nicht wissen, daß es seit Anbeginn nur Schwingungen gibt. Hoch oben, über dem ruhelosen Pendel, ist wohl auch eine Uhr; denn wozu wäre sonst das Pendel? – Es ist die Weltenuhr, die niemand kennt. In großen Schwingungen geht es unten auf und nieder und rückt doch nicht vom Platze; droben aber schreiben langsam die großen Zeiger und künden die Zeit und den wirklichen Fortschritt. Wir kurzsichtigen Menschen erkennen die Zeiger und die Ziffern nicht, sie stehen zu hoch über uns. Aber in weiten Zwischenräumen fällt auch dort oben der Hammer auf die Glocke, und ihr heller Klang ist in allen Ländern zu hören.

      Wir hören ihn. Denken wir dabei auch etwas? Sind wir nicht oft die Kinder, die auf den Gräbern spielen?

      Die Zeiger schreiben, der Hammer schlägt, und in den Gräbern schlafen die Toten – bis einst das Pendel stille steht.

      Was wird aus uns? Wohin müssen wir? Nicht weit! Graut dir vor dem Grabe? Warum? Die ganze Erde ist ja ein Gräberfeld. Starre, unwandelbare Gesetze zwingen uns auf kurze Wege, und die kurzen Wege münden alle auf einen Friedhof. Aber frei steht es uns, ob wir unsern kurzen Weg gehen wollen mit gebundenem Geist oder mit Frieden im Herzen.

      Das Pendel schwingt. Die Zeiger schreiben. Das Korn wird in die Erde gelegt. Weiß denn das Korn von seiner Zukunft? Weiß das Korn, daß es schon im kommenden Sommer die goldene Ähre sein wird, die sich im Sonnenschein wiegt?

      Laßt uns doch klug werden!

      Der Grabstein in der Mühle.

       Inhaltsverzeichnis

      In der Mühle wäre ein Grabstein vorhanden, hatte uns ein Bürger gesagt. Da gingen wir in die Mühle.

      Mitten im Wiesengrunde, der sich unter dem Städtlein dehnt, liegt sie am Bache. Sie hat einen hohen Giebel und stammt СКАЧАТЬ