Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ eilenden Jahren entflohen.

      Da fiel ihm eines Tages bei seinem ältesten Bruder die Bibel Friedrichs, eine Abschrift jenes zerschnittenen Stammbaumes und der Brief des böhmischen Herrn in die Hände, und mit einemmale erwachte wieder die alte Sehnsucht mächtig in ihm: Das Kerdern möchte ich doch noch finden!

      Aber es war nicht mehr der kindische Wunsch des Knaben, einen Ritter zu spielen, nicht mehr der gehaltlose Traum des Jünglings, zerfallene Mauern aufzubauen. Der Wille des ernsten Mannes war ein anderer. Wohl hoffte auch er noch das alte Kerdern zu finden, doch er gedachte, seine Trümmer ruhig liegen zu lassen. Den verlorenen Faden wollte er an ihnen anknüpfen, ihn rückwärts und vorwärts verfolgen, der Geschichte seiner Vorfahren wollte er nachgehen auf ihren verschlungenen Pfaden und seinem Geschlechte, das er sehr liebte, von seiner Vergangenheit erzählen. Und je länger er sann, desto fester wurde seine Absicht, desto greifbarer wurde die Gestalt ihrer Ausführung.

      Er begann zunächst alles zu sammeln, was seine Brüder hatten – aber es war nicht viel. Dann nahm er die gedruckten Werke zur Hand, in denen von den Herren im Walde und von den Soldaten im Norden die Rede war – aber es standen manche Irrtümer darinnen. Zuletzt versuchte er es auch, in dem einen oder dem andern Archive Einlaß zu finden – aber diese Thüren blieben ihm sehr oft verschlossen.

      So sammelte er eben, was zu erreichen war, beschränkte sich aber bald nicht mehr auf sein eigenes Geschlecht, sondern zog auch die Geschlechter unserer Mütter und Großmütter in den Kreis seiner Forschungen – und wurde so unvermerkt zum Genealogen.

      Und je länger seine genealogischen Arbeiten dauerten, desto klarer wurde ihm, daß es eine große Menge gestürzter, verjagter Geschlechter gibt, und indem er die verschlungenen Pfade seiner verwandten Geschlechter zu verfolgen suchte, sah er auf einmal auch die große Geschichte selbst in einem viel wärmeren, helleren Lichte. Seine Augen waren durch den Blick aufs Kleine geschärft worden für die Erkenntnis des Großen, und er vermochte das zu sehen, woran die meisten Leute achtlos vorübergehen: die Wechselbeziehung zwischen Kleinem und Großem in der Geschichte.

      Denn es sind breite Heerstraßen über die Erde gespannt, und auf ihnen ziehen die Großen, die Könige mit ihren goldenen Kronen, die Feldherrn mit ihren blutigen Schwertern, die Weisen, von denen man sagt, sie tragen ihrer Zeit die Fackel vorauf. Sie sind gut zu sehen in ihrer Pracht, und weit zurück kann man die mächtigen Gestalten mit den Augen verfolgen, bis auch die breiten Straßen immer enger und enger erscheinen, bis nur zuweilen noch ein goldener Helm ragt, eine hohe Lanze blitzt, ein weiser Spruch tönt, und dann endlich nichts mehr vorhanden ist als graue Nebel in einem tiefen Thale.

      Auf diesen Heerstraßen, mit diesen hohen Gestalten ziehen die Völker aus dem Dunkel der Vergangenheit durch die helle Gegenwart in die verschleierte Zukunft, und es ist viel von diesen Straßen zu lesen in allen den dicken Geschichtsbüchern, die von den Großen der Erde zu reden, goldene Kronen, blutige Schwerter und weise Männer in dem bunten Gewimmel mit Namen zu nennen vermögen.

      Aber neben diesen breiten Straßen laufen ungezählte schmale Pfade, und auf ihnen ziehen in unlösbarem Gewirre die »numeri« des Horaz, die namenlosen Leute, die nicht so gewichtig sind, daß sie die breiten Straßen mitzubahnen vermöchten, und sich deshalb auf schmalen Pfaden vorwärts schieben müssen, so gut es geht, einfache Leute, Bauern und Bürger, Edle und Unedle, Böse und Gute, Freie und Unfreie, unsere Voreltern, wir, unsere Verwandten, unsere Freunde, unsere Feinde, alles bunt durcheinander, lauter Menschen, von denen nichts in den dicken Weltgeschichten steht noch stehen wird.

      Manchmal freilich will es uns dünken, wenn wir so zurücksehen, als ob fort und fort Wechsel wäre zwischen den kleinen Wegen und den großen Straßen, als ob da droben das eine oder das andere hohe Geschlecht seine Krone verlöre, sein Schwert sinken ließe und sich seitab verirrte; eine Zeit lang sehen wir vielleicht seine Gestalten noch ragen, dann aber verschwinden sie im namenlosen, unendlichen Haufen. Und zuweilen sehen wir auch wieder das eine oder das andere von den schmalen Weglein auf eine stolze Straße münden, neue Geschlechter treten unter die Reihen der Großen, heben gefallene Schwerter auf, lassen sie blitzen und sind weithin zu sehen, bis auch ihre Pfade wieder im Gewirre der drängenden, hastenden, schiebenden Haufen verschwinden.

      Wo läuft nun die »Geschichte«? Auf den großen Straßen? Auf dem Wirrsal von kleinen Wegen? Auf beiden! Auf den großen Königsstraßen nicht mehr wie auf den kleinen Pfaden, auf denen die Masse der Geschlechter kämpft und leidet, lacht und weint, lebt und stirbt, ihren Zweck zu erfüllen. Und auf beiden ist sie gleich groß, gleich wunderbar zu schauen; denn die Sonne blitzt nicht nur schön auf dem blanken Helm und auf der goldenen Krone, sondern auch im kleinen Tautropfen am schwankenden Blatte, der Wind bläst nicht nur in die rauschenden Heerfahnen, er streicht auch über das grüne Gras am Wege, und der zornige Blitz fällt nicht nur die Eiche – er zerstört auch das stille Nest des Vogels, der sich in ihren Ästen geborgen hatte.

       * * *

      Lange war mein Vater den Wegen seines verjagten Geschlechtes nachgegangen, auf und ab, ab und auf hatten sie ihn geführt und lagen endlich ziemlich klar vor ihm bis zurück auf den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Von da ab verloren sie sich ganz im Dunkel. Martha hatte ja damals das Feuer gut geschürt, und die Flammen hatten alles verzehrt, was uns weitere Kunde hätte geben können über unsere Vorzeit!

      Aber wo war doch die alte Urkunde mit den drei Siegeln geblieben, die man damals nicht in den Kamin geworfen hatte? Mein Vater fragte nach ihr bei den nächsten Verwandten – jeder hatte von ihr erzählen hören, doch keiner hatte sie jemals gesehen.

      Da machte er sich im nächsten Herbste auf, diese geheimnisvolle Urkunde bei den Vettern im Walde und bei dem Zweig im Norden zu suchen und so auch einmal diese fremden Verwandten kennen zu lernen, zu hören, was sie noch von der Vergangenheit wußten, und die alten Stätten zu sehen, an denen das Geschlecht vordem gewohnt hatte. Mich aber nahm er mit auf die Fahrt.

      Die Moosburg.

       Inhaltsverzeichnis

      Da standen wir neben dem Bahngeleise, brennend fielen die Sonnenstrahlen auf uns herab, klingend und polternd und pustend enteilte der Zug auf den funkelnden Schienen, die Scheibe am letzten Wagen wurde immer kleiner und kleiner, dann verschwand alles im Walde.

      Der Mann mit der roten Mütze ging schläfrig neben meinem Vater in das Gebäude, sein großer, schwarzer Hund streckte sich unter der Glocke in den Schatten und fing Fliegen, und auf der Holzbank neben ihm saß ein alter Jude in schmierigem Gewande und schlief. Ich aber nahm unser Täschchen auf den Rücken, schritt quer durch die staubige Straße draußen, warf einen Blick auf das gelbe Postvehikel, vor dem zwei betrübte Klepper die Ohren hängen ließen, schritt durch Gebüsch den schmalen Fußsteig hinab und stand auf der breiten Holzbrücke, die über den trägen Fluß führt. Dort wartete ich.

      Eine weite Fernsicht that sich auf, viele Stunden thalabwärts lag das Land im heißen Sonnenglanz und schien mit offenen Augen zu schlafen, und auch die hohen Erlen am linken Ufer schliefen und rührten leise, wie im Traum erzitternd, ihre Blätter; unter den grauen Pfeilern der Brücke aber zog ruhig das klare, braune Wasser, nur dann und wann schnellte der silberne Leib eines Fisches blitzend aus den kühlen Wellen empor und fiel wieder in sein Bett zurück.

      Ich lehnte am Geländer und schaute hinunter in das fließende Wasser. Es zieht mich immer mächtig zu sich hin, wo ich's sehe, dieses feindliche, freundliche, schmeichelnde, schreckliche, so unendlich heimliche und doch so fremde, entgegengesetzte Element – mag es nun in schäumendem Sturze von moosgrünen, tannengekrönten Felsen herabdonnern und in Milliarden von Tropfen zerstäuben, oder süß glucksend am Meeresstrande СКАЧАТЬ