Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ sollte sie just heute kommen, am 12. August des Jahres nach Christi Geburt 1796?

      Dumme Bauern – da habt ihr's nun. Die große Wolke wandert weiter; sie kann ja nicht verweilen, sie muß die Freiheit bringen. Aber dort mitten im Dorfe hat sie eine kleine, schwarzgraue Wolke zurückgelassen. Guck scharf hinunter, du Steinalter, steht sie nicht gerade über deinem Hof und wächst sie nicht von Minute zu Minute und ragt sie nicht jetzt wie eine Säule in die unbewegte, in die flimmernde Luft?

      Du Tor von einem Bauern, warum bist du mit deinen Kindern und Kindeskindern in die Wälder entwichen? Wärest du drunten geblieben, hättest du der großen Wolke entgegengeschaut, hättest du vor deine Haustüre getragen, was Keller und Rauchfang vermochten – dann hätten hundert braune Hände aus der großen Wolke gegriffen, und auf schwankenden Bajonetten schwebten jetzt Schinken und Würste – aber die dunkelgraue Rauchsäule, an deren Fuße die Flammen emporlodern, die stünde nicht über deiner Hütte.

      Sie warten noch immer hoch droben im Wald und spähen angstvoll zwischen dem Unterholz hernieder, und die Weiber beginnen zu weinen; denn die Ernte ist unter Dach. Abseits an einer Fichte aber stehen die Jungfrauen, alle auf einem Häuflein, eng aneinander gedrängt. Auch sie starren hinunter auf den brennenden Hof, und keine von ihnen sagt ein Wort. Nur zuweilen schaut eine hinüber zu den Alten, scheu, als wären die Alten nur ihretwegen geflohen, als wären die Jungfern allein schuld an dem Jammer.

      Ihr Bauern, was braucht ihr euch zu verstecken? Da sind doch die Städter gescheiter. Die wissen auch, daß die Wolke herankommt, die große, aus der die Schritte dröhnen, die Waffen klirren, die Gewehrläufe funkeln. Und sie können's gar nicht erwarten, bis sie aus den Wäldern herausquillt und links vom Grafenschlosse sich herabsenkt ins Tal.

      »Auf, ihr Bürger!« So ruft der lange Koram mitten auf dem Markte und schwenkt seine rote Mütze. Und sie ziehen hinaus durchs Bergtor, Männer, Weiber, Buben, Mägdlein, und ihrer viele tragen frisch gewundene Kränze.

      Auf der halben Höhe des Schloßberges meint freilich einer, die Weiber und die Kinder die sollten nicht dabei sein, man höre doch allerlei. Der Koram lacht ihn aus. Aber andere sind auch bedenklich geworden – man hört doch allerlei! Zuletzt rufen etliche halt, und der ganze Haufen steht im Staub der Straße. Und einer ruft aus dem Staube, man kennt ihn an der Stimme, der Seiler Christoph ist's: »Die Weibsbilder und die Kinder sollen machen, daß sie heimkommen!«

      Es erhebt sich zwar ein Geschrei, in dem die hohen Töne vorherrschen. Alle möchten sie gerne dabei sein. Aber die Mannsleute bleiben auf ihrem Willen, und also wandern etwelche Kränze in andere Hände, eine kleine Wolke löst sich ab und kriecht zurück ins Tal. –

      Jetzt waren die Weiberleute fort, jetzt ging's noch einmal so geschwind den Schloßberg hinan. Als die Schar an der aufgezogenen Brücke vorbeikam, trat manch einer zum Schloßgraben und blickte hinunter auf die Felsen des natürlichen Bergeinschnittes und hinüber auf das geschlossene Tor und die kurzen, dicken Flankentürme mit den grauschwarzen Buckelquadern. Doch weiter ging's, weiter hinein in den Wald. Da lag der Staub nicht mehr so dick wie draußen.

      Allen voran lief Koram. Seinen Sonntagsrock hatte er angezogen, den grünen mit den langen Flügeln, und seine hageren Arme pendelten.

      Durch den Wald ging's hinaus auf die mächtig große baumleere Fläche, wo sich der Hutwasen dehnte zur Rechten und Linken. – Und nun –! Koram blieb stehen und zog die rote Mütze ab. Drüben, weit drüben leuchtete es auf zwischen den hohen Fichtenstämmen, ein Lied in fremden Lauten klang herüber. Und jetzt wälzte es sich, in Staub gehüllt, heran.

      Schneider Koram zitterte am ganzen Leibe. Und mit heiserer Stimme rief er: »Bürger, halt! Da bleiben wir, stellen uns zur Rechten und Linken und lassen die Straße frei. Und wenn sie kommen, dann schreit jeder, so laut er kann, vivat!«

      Und so standen die Bürger. Ihre roten Mützen leuchteten. In schöner Klarheit standen sie, Alte und Junge, Grade und Krumme, und der Schneider lief zwischen den beiden Reihen hinauf und hinunter, seine Rockflügel flatterten, seine Stimme krähte. Die große Wolke aber kam näher und näher. Niemand konnte in ihre Tiefe blicken, nur das wilde Singen tönte herüber.

      »Wie eine Wetterwolke!« sagte der alte Hutmacher Weinlein zu seinem Nachbarn, dem Strumpfwirker, und machte ein bedenkliches Gesicht.

      »Wie damals, wo der Kaiser durchgefahren ist, so müßt ihr stehen und vivat schreien!« kreischte der Koram.

      »Nachbar,« gab der Strumpfwirker dem Hutmacher zurück, »mir ist schlecht zu Mute. Und froh bin ich, daß wir die Weiber und die Kinder heimgeschickt haben.«

      »Nachbarn, seid still,« tröstete ein Dritter, »alles wird gut werden. Die stehen unterm Schurdang und bringen uns –«

      Der Koram wischte gerade vorüber und hatte die letzten Worte gehört: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!« rief er und schwenkte die Mütze.

      »Wie eine Herde Rindvieh kommen sie gezogen,« flüsterte ein Vierter.

      So standen sie und sahen der brüllenden Staubwolke entgegen.

      Seefahrende Leute erzählen, daß auf manchen Inseln des Weltmeeres die Vögel in dichten Scharen sitzen und neugierig zusehen, wenn das Raubtier Mensch ans öde Ufer steigt. Also hatten sich auch diese deutschen Spießbürger zu beiden Seiten der Straße aufgepflanzt und warteten, als gälte es, die Rückkehr ihrer Brüder aus Schlacht und Sieg zu feiern. Aber sie schwiegen jetzt, und es war, wie wenn sich ein unfaßbares Grauen unhörbar einherschöbe vor der wandernden Wolke. Nur der Schmied, der junge, starke, mit dem einen Auge, rief, als die ersten Gestalten sichtbar wurden: »Potz Blitz, sind das Soldaten oder sind's Zigeuner?« Jetzt waren sie aber auch schon da, nicht mehr eine Wolke, sondern eine tosende Schmutzwoge, und rissen mit sich fort die gaffenden Bürger.

      Alles war wider Erwarten gekommen, keiner hatte vivat rufen können, und auch die Kränze aus Eichenlaub hatten sie nicht auf die Bajonette zu stecken vermocht. Kränze auf diese Bajonette, das wäre auch zum Lachen gewesen. An den Gewehrläufen hingen zerrissene Stiefel, und barfuß patschten ihre Träger im Staube. Auf den Spitzen der Bajonette aber staken Schinken und Stücke rohen Fleisches, von Staubkrusten überzogen.

      Der Stadtschreiber Martin hat hernach das Wichtigste in seine Chronik geschrieben, in das dünne Quartheft, das jetzt im Gewölbe liegt zur linken Hand am Fenster in dem braunen, geschnitzten Kasten:

      »Vor allem haben mich erbarmet gestohlene Hunde, die sie an Stricken mit sich führten, arme durstige Hunde, denen die Zunge aus dem Maule hing und das Heimweh aus den triefenden Augen guckte, Köter, die in Reih und Glied fortgezerrt wurden, mit Staub bedeckt und mit geronnenem Blute von Tritten und Stößen und Stichen. Verzeih mir's Gott, sie haben mich noch mehr erbarmt als die kleinen Kinder, die auf den Troßwägen bei den schmutzigen Weibern lagen.«

      So schrieb der Schreiber Martin von den gestohlenen Hunden der Franzosen; denn er war ein richtiger Deutscher. –

      Wie im Traume trollten die Bürger mit den schreienden Soldaten zu Tale. Auf jeden Deutschen schrieen drei, vier Franzosen ein, und ratlos trollten die Bürger, schämten sich ihrer Dummheit und schluckten Staub. Die meisten von ihnen ragten hoch über die zappelnden Kerle hinaus, und wie eine wandernde Hopfenstange zwischen Weinbergspfählen war der Schneider Koram mit der roten Mütze anzusehen. Da zerrte ihn einer der Soldaten am Rocke, und eine gellende Stimme rief an ihm auf deutsch empor: »Landsmann, trag du's!« Im Laufen hakte einer seinen Tornister aus; diensteifrig bückte sich der Jakobiner und wollte das schwere Bündel auf seinen Rücken schnallen. Aber die Riemen waren viel zu kurz. Also hielt er den Tornister mit beiden Händen an den Riemen fest. Und sogleich hatten alle die braven Bürger solch einen СКАЧАТЬ