Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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      Frau Lotte saß regungslos auf ihrem Schemel; sie hatte die Hände in ihr Kleid gekrallt und starrte mit entsetzten Augen auf den Franzosen und seine Katze.

      »Sie müssen sich immer ganz ruhig verhalten,« mahnte nun der Alte auf deutsch und trat seitwärts zwischen sie und seinen Kameraden.

      Frau Lotte hielt den Atem an.

      »Katzen sind kluge Tiere,« sagte er und warf eine kleine Kugel auf den Boden.

      Die Katze ließ sich nicht stören. Sie stand noch immer mit hohem Rücken auf der Schulter des Schwarzen und rieb sich an seinem Ohr.

      Es fiel eine zweite und eine dritte Kugel.

      Mit hohem Rücken stand die Katze, rieb sich und schnurrte.

      Da begannen sich die Kugeln von selber zu bewegen. Mit Grauen sah Frau Latte zu. Sie zog das Kleid an sich und wollte den Schemel wegrücken. Aber der Alte flüsterte drohend: »Rühren Sie sich nicht!« Und die Kugeln begannen zu hüpfen, und der Alte raunte mit dumpfer Stimme die Melodie eines Tanzes. Immer geschwinder bewegten sich die Kugeln, immer wilder klang der raunende Sang.

      Hatte der Schwarze mit der Zunge oder mit den Fingern geschnalzt? Mit den Fingern kaum; denn er hockte noch immer mit gekreuzten Armen. Die Katze aber sprang plötzlich von seiner Schulter und begann im ungewissen Lichte zu spielen mit den tanzenden Kugeln.

      Immer höher hüpften die Kugeln, immer wilder wurde die Katze, und nun bewegten die tanzenden Kugeln und die springende Katze sich von der Mitte der Küche dorthin, wo die zwei dickbauchigen Wasserkannen auf dem niedern Schemel blinkten.

      Noch immer hockte der Schwarze auf den Steinen. Jetzt raunte er: »Bitte, Madame, wollen Sie sich ein wenig wenden!«

      Und unermüdlich summte der Alte, gespenstig hüpften die Kugeln, fast lautlos tanzte und spielte die Katze. Und es war, als ob die Katze die Kugeln mit Bedacht gegen die Wasserkannen lenkte. Zuweilen glitten die Kugeln zur Seite, einmal kamen sie wieder fast bis in die Mitte der Küche zurück. Aber gleich war die Katze hinter ihnen her; und wieder rollten und hüpften sie gegen die Kannen.

      »Katzen sind kluge Tiere,« sagte der Schwarze und sprang auf die Beine. Die Kugeln klapperten tanzend unter dem Schemel, und wie toll tanzte die Katze mit ihnen.

      Frau Lotte saß mit verzerrtem Gesicht.

      »Allez – wir wissen genug!« rief der Schwarze mit gedämpfter Stimme. Da hüpften die Kugeln wie von selbst zurück, dorthin, wo der Alte stand, und sprangen hoch empor an ihm, und er fing sie auf und steckte sie in die Tasche.

      »Wissen Sie, was das zu bedeuten hat?« fragte nun der Schwarze höflich.

      Frau Lotte schwieg.

      »Daß Sie sich ganz ruhig verhalten müssen und auch nachher keinem Menschen ein Sterbenswörtlein davon sagen dürfen, Madame. Haben Sie mich verstanden?«

      Frau Lotte bewegte mit Anstrengung die trockenen Lippen. Sie hatte den Sinn notdürftig verstanden und stöhnte ihr Ja.

      Sie mußte zusehen, wie die Franzosen den Schemel zur Seite rückten, die Steine hoben und das schwere Kistchen mit dem Silberzeug herausholten. Und sie saß regungslos, als die beiden Stück für Stück in den Händen wogen. Nur als sie den Adelsbrief zu unterst hervorzerrten, wollte sie jählings emporspringen. Aber der Schwarze zischte ihr so herrisch entgegen, daß sie kraftlos zurücksank.

      Lange berieten die beiden Franzosen miteinander. Dann äußerte sich der Schwarze: »Madame, wir möchten Sie keineswegs berauben. Denn was fingen wir an mit den schweren Löffeln und Messern? Wir schlagen Ihnen einen ehrlichen Handel vor. Sie behalten Ihr Silber und bezahlen uns – sagen wir zwanzig Louisdor, dann ist Ihnen geholfen und uns.«

      Frau Lotte bewegte die zitternden Lippen. Aber sie brachte zunächst gar nichts heraus.

      Sie stand auf. »Ich werde – den Oberst – holen.«

      Da trat der Schwarze hart vor sie: »Das steht Ihnen frei. Nur lassen Sie sich dann auch eine Wache vors Schlafzimmer legen und beten Sie trotzdem zu Gott und den Heiligen für Ihr Leben. Ich dächte, Sie könnten den Handel annehmen.«

      Frau Lotte ging mit schleppenden Schritten hinaus. Nach kurzer Zeit kam sie wieder und zählte das Gold auf den Hackblock. Mit ernsthaften Gesichtern standen die Franzosen und prüften jedes Stück. Zwei Louisdor fanden keine Gnade vor ihren Augen, und Frau Lotte mußte noch einmal zurück ins Schlafgemach. Dann bekam sie ihr Silberzeug. Der schwarze Franzose aber löste den dicken Wulst von seinem Hals und schob die Goldstücke hinein, wie in eine Geldkatze.

      Es graute ihr; sie packte das Kästchen unter den Arm und entwich. Des Adelsbriefes gedachte sie nicht mehr.

      Der Oberst und der Arzt waren allein. Auf dem Marktplatz drunten brüllte die Soldateska, und der Rauch ihrer Kochfeuer zog sich durch die Ritzen der Fenster.

      Auf dem Tischlein brannten drei Kerzen – rechts vom Schachbrett zwei und links eine.

      Der Arzt hatte einen roten Kopf und starrte auf das Spiel. Der Zorn schüttelte ihn im Innersten seiner Seele, während er äußerlich unbewegt vor dem Brette saß. Zorn und Scham rissen seine Gedanken hin und her, und dabei verfolgte er krampfhaft das Spiel.

      Wo war denn sein Weltbürgertum von gestern? Was hatte er denn noch gemein mit dem dort auf dem Sofa und mit seinen brüllenden Soldaten drunten auf dem Markte? Wo waren denn all die schönen Ideen, die tönenden Phrasen geblieben, an denen er sich seit Jahren berauscht hatte? Sie waren verraucht angesichts der Brutalität der Fremden und der Schmach seiner Volksgenossen. Dafür aber wuchs in dem deutschen Ideologen von Viertelstunde zu Viertelstunde höher empor der gesunde Haß des Unterdrückten gegen die Unterdrücker. Er begann seine und der Seinen Ohnmacht zu messen an ihrer Übermacht; er begann zu fragen – warum denn das alles, warum und wozu?

      Anfangs hatte er gespielt, weil er mußte. Nun spielte er, um zu gewinnen. Er hatte einen Einsatz gemacht – ganz heimlich, wie Kinder zu tun pflegen. Er hatte sich leise gesagt: Ich stelle die Frage ans Schicksal. Gewinne ich, dann gut. Verliere ich, dann sind wir reif.

      Stundenlang wogte das Spiel hin und her. Längst wußte er, seine Kunst war dem da drüben weit überlegen; aber auch das fühlte er mit jedem Zuge: der andere war kälter als er.

      Vergebens wollte er sich seine Torheit ausreden, verwarf selber den Einsatz und holte ihn gleich darauf wieder hervor. Nein, er konnte nicht mehr zurück, er kam nicht mehr los von dem Gedanken – verlierst du, dann sind wir verloren.

      Verloren? Was denn? Die Grafschaft? Das Reich? Ach was – mochte die Grafschaft zu Grunde gehen, mochte das Reich gar zerfallen. Das war's nicht, was ihn quälte. Und doch: wieder und wieder mußte er denken – verloren! Ja um Gottes willen, was denn? Etwas Unbeschreibliches, etwas, das ihm von Minute zu Minute zu höherer Wertschätzung emporwuchs, etwas, das er, der Weltbürger von gestern, sich noch nicht zu nennen getraute mit einem bestimmten, nüchternen Worte.

      Und so kämpfte er mit den Beinfiguren um das Unnennbare. So kämpfte er, ohne es klar zu wissen, in Gedanken um die hart gefährdete deutsche Art.

      Als aber zehn Schläge von der Turmuhr dröhnten über all das Geschrei des Lagers herein in die stille Stube, da sagte sein Gegner mit leiser Stimme verächtlich: »Matt!«

      Der Arzt erhob sich zu seiner ganzen СКАЧАТЬ