Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen - August Sperl страница 143

Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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      Der Graf wollte die Hand nicht sehen, und der Doktor zog sie zurück.

      »Und wer hat mit euch geschwärmt und gehofft, gewünscht und heimlich den Boden bereitet, daß der fliegende Samen aus Westen tief hinein zu dringen vermochte? Und wer ist fester überzeugt, daß alles anders werden muß? Und wer, sag' mir, wer wird am meisten verlieren, wenn einst das Alte stürzt?«

      »Du!« rief der Doktor. »Also was trennt uns denn heute?«

      »Was uns heute trennt? Die hausbackene Klugheit, sonst nichts. Seid ihr denn Kinder, daß ihr Blindekuh spielen wollt mit den wilden Haufen, die jetzt heranziehen? Seid ihr denn Wahnsinnige, daß ihr euch vom Pöbel der Gasse die Freiheit erhofft? Wer hat eigentlich heute nacht das Regiment in dieser Stadt? Und wer wird morgen im Namen der Stadt mit den Franzosen verhandeln wollen? Sicherlich der Schneider Koram. Nur werden die Franzosen selber sich wohl zunächst lieber an den Schultheiß halten. Pfui Teufel, Doktor, vor Schweinehunden macht meine Brüderlichkeit halt, und von einer Gleichheit mit Hanswursten will ich nichts wissen.«

      »Du weißt ja selbst, daß ich keine Macht hatte über die Leute,« rief der Arzt. »Und ich denke doch, dein Herr Vater wird sich als Landesherr erweisen, wenn Not an den Mann geht?«

      »Jawohl, mein lieber Doktor, als Landesherr! Bin zwar nur ein Erbgraf mit der zurzeit ganz geringen Hoffnung auf sechzehn Dörfer, aber hier kann das Kronprinzlein doch mit dem Königlein fühlen. Zuerst kommt der wüste Haufe in den Schloßhof, schickt den Koram vor und gibt dem alten Herrn den Laufpaß. Dann aber soll derselbe alte Herr wieder für alle Fälle bereit sein: wenn's schief geht, soll er eingreifen, wenn's gut geht warten auf den Gnadenstoß. Nein, nein, Lieber, seine Zugbrücke will er aufziehen – gut, daß er sie nicht abgebrochen hat bei der großen Bauerei vor zwei Jahren – und aus seinen Fenstern will er gucken auf die liebe und getreue Stadt, und – so sagt er und ist ihm auch nicht weiter zu verargen – von Zeit zu Zeit will er hinunterspucken auf ihre Schindeln.«

      Der Doktor schwieg; der Erbgraf aber zog ein erbrochenes Schreiben aus seinem Rocke.

      Der Doktor warf den Kopf zurück. »Die Bevollmächtigten des fränkischen Kreises haben zu Würzburg mit dem französischen Divisionsgeneral Ernouf eine Übereinkunft geschlossen – Personen und Eigentum sind geschützt.«

      »Geschützt durch etliche Flarren Siegellack und eingedrückte Petschafte!« Der Erbgraf lachte.

      Unbeirrt fuhr der Doktor fort: »Der fränkische Kreis entrichtet den Franzosen acht Millionen Livres.«

      »Die schleunigst aus den braven Kühen des Landes zu melken sind!« rief der Erbgraf, erhob sich und gab dem Freunde den Brief hinüber: »Meine Frau schreibt mir aus Nürnberg, General Jourdan hat die Übereinkunft gestern vernichtet.«

      »Vernichtet? Du scherzest –!«

      »Vernichtet, weil der Commissair ordonnateur, General Dubreton, seine Zustimmung versagt hatte.«

      »Der Commissair ordonnateur? Was ist das für ein Tier? Und wenn doch General Jourdan selbst den General Ernouf zum Abschluß des Vertrages bevollmächtigt hat?« stotterte der Arzt.

      »Dann ist eben ein Größerer über den General Jourdan gekommen und hat gesagt, Freund, rücke hinab!«

      »Jourdan ist doch der oberste Befehlshaber?«

      »Und unabhängig vom Feldherrn ziehen die Schakale mit in den Krieg. Und die Schakale sind eben das Kommissariat. Kennst du den Voltaireschen Witz?«

      Der Doktor schluckte: »Dann sind wir also seit gestern der Plünderung preisgegeben?«

      »Du kennst den Witz nicht? Voltaire sollte einst in Gesellschaft eine Räubergeschichte erzählen. Irgend eine Räubergeschichte. Da hub er an: ›Meine Herren und Damen, es war einmal ein Generalpächter – meine Herren und Damen, erlassen Sie mir den Rest. –‹ Und was damals der Generalpächter aller Steuern war, das ist jetzt mutatis mutandis das Generalkommissariat.«

      Der Graf stand inmitten der Stube. »Ich bin genau unterrichtet durch diesen Brief meiner Frau. Man hat die dummen Deutschen auf echt französische Weise über den Löffel balbiert. Wir werden dem Kommissariate völlig ausgeliefert sein. Das Kommissariat wird uns mit seinen Commis, Ordonnateurs, Reçeveurs, Secretairs überschwemmen, und die Soldateska, angewiesen auf die Tätigkeit dieser Bande, hat nichts andres zu tun, als ihr beim Geschäfte des Aussaugens mit der Waffe den Rücken zu decken.«

      Der Arzt stand mit geballten Fäusten. Keuchend brachte er hervor: »Da wäre doch besser, in die Hände von Straßenräubern zu fallen!«

      Der Erbgraf nickte. »Die schließen wenigstens keine Scheinverträge ab, sondern greifen ehrlich zu.«

      »Was aber kann uns nun schützen?«

      Der Graf antwortete: »Die Sauve-Garde, und sonst nichts. Dazu aber ist Geld nötig, lieber Doktor. Also Geld her, und die Ideologie in die Hosentasche gesteckt für bessere Zeiten! Gegen den Willen meines Vaters reite ich nun nach Nürnberg und mache mit Hilfe meiner Frau die Zwanzigtausend flüssig, über die wir das Verfügungsrecht haben –«

      »Die wolltest du doch einst zu eurer großen Reise verwenden?« unterbrach ihn der Arzt.

      »Ich will ja reisen, aber nach Nürnberg,« lachte der Erbgraf. »Und in Nürnberg kaufe ich mir Soldaten –«

      »Ob die Nürnberger solche im Überfluß haben?« warf der Arzt ein.

      Der Graf schlug sich auf den Schenkel. »Nürnberger Stadtsoldaten? Vielleicht Jägergardisten von der Qualität der hochgräflichen hier? Doktor, bist du wirklich solch ein Ideolog? Eine starke Schutzwache von französischen Soldaten – nichts anderes! Mit diesen kann ich, wenn's gut geht, in dreißig Stunden zurück sein. Und ich wette, der Alte droben im Schlosse späht Tag und Nacht aus einer Schießscharte, bis er uns traben sieht – um seinet- und um euretwillen.«

      »Um unsertwillen?« Der Arzt sah ihn zweifelnd an.

      Da lachte der Graf: »Lehr du mich meinen Vater kennen. Tausend Jahre sitzen wir nun da droben auf dem Felsen und haben Leid und Freud geteilt mit denen da drunten, und du glaubst wirklich, daß wir das alte Nest im Stich lassen – einem Schneider Koram und einem Pieperich zu Liebe? Aber weißt du, wie mir nun zu Mute ist? Wie einer katholischen Fischotter am Freitag.«

      »Nicht Fisch und nicht Fleisch, wie?«

      Der Graf nickte. »Es ist mir nicht zum Lachen, darfst es glauben. Ich sehe mit klaren Augen vorwärts, ich weiß, es muß sich manches ändern, und fühle doch seit der Revolutionskomödie von heute abend, wie mich tausend Wurzeln im alten Erdreich festhalten. Ich weiß, ich werde ihrer viele herausreißen – aber wer sagt mir, was ich dann bin? Nur wenige Geschöpfe können aus ihrer Haut fahren – und dann schält sich aus der alten Hülle doch immer wieder, zwar eine bessere und schönere, in Wahrheit aber ganz dieselbe Haut. Der Mensch kann nicht einmal dies, und wenn er sich noch so sehr plagt.«

      »Armer Freund!« sagte der Arzt. »Es ist mir oft, als hätte unsre Zeit die Wehen –«

      »und könne doch nur ein totes Kindlein gebären,« vollendete der Graf.

      »Du aber bist ein wahrhaft edler Mann, und solche Edelleute dürfen und werden auch der neuen Zeit nicht fehlen.«

      »Ich danke für den neuen Adelsbrief, Bürger Frey!« СКАЧАТЬ