Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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      Die Franzosen begannen zu requirieren, und sie requirierten, was ihnen gefiel.

      Bei Kanzleidirektors lag der Oberst der Chasseurs im Quartier; der war ein vorzüglicher Schachspieler. Und nach Tisch erkundigte er sich bei Frau Lotte, ob ein Schachspieler im Städtchen wäre. Da nannte sie diensteifrig den Arzt, und der Oberst requirierte den Arzt, daß er spiele mit ihm.

      Es war Abend. Der Direktor lag noch immer in der Gaststube seines eigenen Hauses zu Bette, und neben ihm saß Frau Lotte.

      Wie vordem hingen an der Wand der Wohnstube im Bilde die Männer und Frauen des Geschlechtes Blitz von Wolkenfels. Aber auf dem Tische vor dem achtbeinigen Sofa stand nicht mehr das feine Porzellan des gemütlichen Nachmittagkaffees, kein Silberschatz blinkte aus dem Glaskasten in der Ecke.

      Gelb und hager saß der Oberst der Chasseurs auf dem Sofa, dampfte aus seiner Tonpfeife, bückte sich von Zeit zu Zeit und hob den Weinkrug vom Boden, hielt ihn andächtig an die Lippen und trank in vollen Zügen. Ihm gegenüber saß der Arzt, und zwischen den beiden, auf dem zierlichen Tische, stand das Schachbrett mit den kämpfenden Figuren. Vom Marktplatze herauf tönte der Lärm des Feldlagers.

      Der Doktor saß mit grimmigem Gesicht. Er verwünschte seine Kunst, die ihn von Weib und Kind entfernt hielt, und spielte doch mit der Anteilnahme des Künstlers; er verwünschte seine Sprachkenntnis und antwortete doch dem Feind in den gewähltesten Wendungen. Er fühlte sich willenlos gefangen und dem Menschen da drüben auf dem Sofa ausgeliefert zu Gnaden und Ungnaden. Solche persönliche Ohnmacht aber hatte er in seinem Leben noch niemals empfunden.

      Es war kein ruhiges Spiel. Nicht fünf Minuten saßen sie ungestört. Im Hause des Kanzleidirektors hatten die Soldaten eine vorläufige Regierung eingesetzt, und der Oberst war der Regent. Alles was sich in diesen Stunden Wichtiges ereignete, fand seine Entscheidung am Schachbrett. Und der jammervolle Ernst des feindlichen Einfalles kam in einer schier endlosen Reihe von Spiegelbildern zur Kenntnis dessen, der zum Schachspiel an dieses Tischlein gebannt war.

      Der Oberst hatte die Türe im Auge, der Arzt aber wandte ihr auf seinem Stuhle den Rücken. Und so traf der Oberst sitzend mit kurz herausgestoßenen Worten von Fall zu Fall die Entscheidung.

      Nur einmal hatte der Arzt versucht, in eine Verhandlung einzugreifen. Da hatte ihn der Oberst mit verwunderten Augen gemessen und hatte gebieterisch auf das Schachbrett gedeutet. Der Doktor hatte die Zähne aufeinandergebissen und fortan geschwiegen. Was wollte er wider die Gewalt, er, der zum Schachspiel requiriert war, wie Nachbar Jakobs Kühe zum Schlachten?

      So saß er, wandte sich nicht mehr und hörte nur die wohlbekannten Stimmen der Mitbürger angstvoll hinter seinem Rücken mit dem Gewalthaber verhandeln.

      Der Schultheiß kam mit drei Ratsherren und zählte an den Fingern alle Unmöglichkeiten auf: Dreihundert Pferde gäbe es nicht auf zehn Meilen im Umkreis; zwölfhundert Paar Stiefel könne man nicht von heute auf morgen beschaffen. Der Dolmetsch gab mit eintöniger Stimme die angstvollen Einwände auf französisch wieder, und mit unbewegter Stimme sagte der Oberst zum Arzt: »Gardez votre reine! Dann aber fügte er wie beiläufig hinzu: »Geht mich nichts an, ist Sache des Kommissärs.« Mit eintöniger Stimme übersetzte der Dolmetsch die abweisenden Worte des Gewalthabers ins Deutsche. Der Arzt aber saß und hörte, wie hinter ihm der Schultheiß mit Wucht in die Knie sank und wie auch die andern sich schwerfällig niederließen und um Gnade winselten. Da schlug ihm die Schamröte ins Gesicht, da konnte er sich nicht mehr halten und sagte mit bebender Stimme: »Sie hören ja doch, mein Herr Oberst, es ist eine Unmöglichkeit!« Mit unbewegtem Antlitz warf der Oberst die französische Antwort hin, und der Dolmetsch übertrug sie sogleich zu Nutz und Frommen aller, die in der Stube waren: »Wir sind die Herren, und wir können requirieren, was wir wollen: einen Schachspieler, dreihundert Pferde, zwölfhundert Paar Schuhe, zweitausend Brotlaibe oder ein halbes Hundert Jungfrauen. Seien Sie froh, daß ich menschlich bin und auf das Menschenfleisch verzichte.« Und während die Ratsherren mit schleppenden Schritten aus der Stube gingen, setzte er eine Figur, die den Doktor hart bedrängte.

      Der Doktor saß und spielte. Und hinter ihm blieb die Türe keine fünf Minuten im Schlosse: Offiziere kamen und erstatteten Rapporte, Bürger kamen und jammerten, baten und flehten. Der Dolmetsch übersetzte hinüber und herüber, und der Oberst entschied. Und der scharfe Blick des Arztes erkannte die Freude gar wohl, die sich hinter dem regungslosen Gesichte des Fremden verbarg – die Freude am Quälen.

      Es war dunkel geworden.

      Etliche von den Franzosen aber besaßen Katzen, große, kluge Katzen mit absonderlichen Schwänzen; so dicke Katzenschwänze hatte man noch niemals im Städtchen gesehen. Diese Katzen hockten beim Marsche auf den Schultern ihrer Herren oder auf ihren Tornistern, und im Quartier taten die Franzosen nichts lieber als spielen mit ihren Katzen. Und manche von den Soldaten hatten auch zierliche Kugelspiele in den Taschen, Holzkugeln von verschiedenen Farben. Und wie die einen so gerne spielten mit ihren Katzen, so spielten die andern mit ihren Kugeln – und je zuweilen taten sie sich zusammen und spielten mit Katzen und Kugeln.

      Und es begann den Leuten zu grauen vor diesen Katzen mit den dicken Schwänzen und den großen, funkelnden Augen und vor diesen Zauberkugeln, die allemal dorthin rollten, wo man sie durchaus nicht zu sehen gewünscht hätte. –

      Es pochte an der Türe des Gastzimmers, und Frau Lotte erschien auf der Schwelle. Ein Soldat stand vor ihr, hielt einen Leuchter mit brennender Kerze und lächelte höflich. Ein blutjunger, schwarzhaariger Geselle mit einem dicken Wulst um den Hals. Sie aber legte den Finger auf den Mund, spitzte die Lippen und flüsterte: »O pardonnez, mon épous il est très malade.« Und es klang ganz anders als damals, wo sie zu den Räten gesagt hatte: »Schonend, meine Herren, schonend, ich bitte Sie!« Der Fremde nickte und lächelte höflich: »O sehr gut, Sie sprechen französisch.« Und er zwirbelte sein Bärtchen. Dann aber wisperte er ein paar Worte, und was er sagte, war so zwingend, daß Frau Lotte leise die Türe schloß und – wenn auch mit zögernden Schritten – sich hinter ihm zur Küche begab. Höflich machte der Franzose halt, öffnete die Türe und ließ der Dame den Vortritt.

      Die Küche war finster, als Frau Lotte über die Schwelle schritt; aber vom Ausgusse herüber glühten zwei Augen durch die Dunkelheit, daß sie zusammenschrak. Dann kam der Schwarze mit seiner brennenden Kerze, und sie sah, daß auf dem Ausgusse ein zweiter Soldat hockte. Auf dessen Schulter saß eine Katze.

      »Wir tun Ihnen nichts zuleide,« sagte der Führer. »O nein, wir müssen Sie nur bitten, uns ein wenig Gesellschaft zu leisten.« Er rückte ihr einen Schemel zurecht. »Und machen Sie keinen Lärm, wenn Ihnen an Ihrem Leben gelegen ist.«

      Frau Lotte war sehr bleich, als sie sich niederließ.

      Auf dem Herde, unter dem gähnenden, schwarzen Kamine flackerte das Licht der Talgkerze, und vom Ausgusse herüber funkelten die Augen der Katze.

      Fast unhörbar glitt nun der andere vom Steinborde des Ausgusses und kam mit seiner Katze heran. Es war ein alter, grauköpfiger Mann.

      Der Schwarze schob den Riegel der Küchentüre vor. Da griff Frau Lotte wieder in das Strandgut ihrer feinen Bildung, faltete die Hände und brachte stoßweise hervor: »O monsieur, je vous prie, avez grand pitié!«

      Der Schwarze grinste und sprach: »Haben Sie keine Angst, wir krümmen Ihnen kein Haar.« Dann ließ er sich auf den Boden nieder und lockte die Katze.

      Er saß mit gekreuzten Beinen und gekreuzten Armen, und sein Gesicht war schwach beleuchtet vom flackernden Lichte.

      Die Katze schnurrte und glitt am Leibe des Alten herunter, machte einen hohen Rücken und begann СКАЧАТЬ