Название: Ein Mann
Автор: Joachim Nettelbeck
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066118167
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Wir bekamen einen Leck, mit dem es binnen kurzem sehr bedenklich wurde, weil die Ratzen die inwendige Fütterung des Schiffsbodens durchgefressen hatten; wo denn das Getreide, welches unsere Ladung ausmachte, in den unteren Kielraum geraten war und unsre Pumpen verstopft hatte. Der Sturm ward je länger je heftiger, und wir fühlten uns dem Sinken nahe. In dieser Not blieb uns nichts übrig, als das Schiff vor dem Winde hinlaufen zu lassen, die Luken zu öffnen und von unserer Ladung so viel wie möglich über Bord zu schaffen. Aber noch immer konnten wir keinen Hafen sehen oder erreichen, als wir mit Einbruch der Nacht in die Scheren an der südlichsten Spitze von Norwegen gerieten, wo wir zwar mit Mühe auf siebzig bis achtzig Klafter vor Anker kamen, aber doch nicht verhindern konnten, daß das Hinterteil des Schiffes auf eine Klippe stieß. Durch die Gewalt dieses Stoßes zerbrach das Ruder samt dem Hintersteeven, und das Wasser im Raume stieg mit jeder Viertelstunde höher. Wir brachten eine Nacht voll entsetzlicher Angst zu und sahen unsern gewissen Tod vor Augen.
Endlich aber dämmerte etwas Tageslicht auf und zeigte uns eine Öffnung zwischen den Scheren, die wir augenblicklich benutzten, indem wir unser Ankertau kappten, zugleich aber auch eines Lotsen mächtig wurden, der uns in den Hafen von Klewen, nahe bei Mandal, führte. Froh des geretteten Lebens besserten wir hier unser hart beschädigtes Schiff aus; konnten aber erst im März 1761, und mit stark verminderter Ladung, wieder in See gehen; worauf wir denn im April unsern Bestimmungsort erreichten, unser Getreide löschten und dann einige Wochen später mit Ballast nach der Insel Noirmoutiers, weiter segelten, um hier eine Ladung Seesalz als Rückfracht nach Königsberg einzunehmen.
Während unserer Reise dahin und bei dem schönen Wetter, das wir im Kanal trafen, beschäftigten wir uns nebenher damit, die Kajüte neu auszumalen. Dem Schiffer ward bei dieser Arbeit übel, und er legte sich in seine Koje, während ich selbst einer Verrichtung auf dem Deck nachging. Kaum eine halbe Stunde nachher kam auch er wieder hervor; sah ganz wild und verstört aus und fragte mit Ungestüm: Was für Land dies sei, und wo ich mit dem Schiffe hin wolle? Mit Verwunderung nahm ich seinen ungewöhnlichen Zustand wahr, brachte ihn jedoch durch gütliches Zureden in die Kajüte und auf sein Lager zurück; hatte aber kaum den Rücken gewandt, als ich hinter mir ein erstaunliches Brüllen und gleich darauf ein Gepolter hörte, welches mich bewog, der Ursache nachzugehen.
Da fand ich denn den Kapitän, der aus seinem Bette herabgetaumelt war, auf dem Boden der Kajüte ausgestreckt lag, aus Mund und Nase stark blutete und ein Loch in den Kopf gefallen hatte. Sein Anblick war fürchterlich; und es schien sich kaum noch eine Spur von Leben in ihm zu regen. Ich machte flugs Lärm; unser Volk kam mir zu Hilfe; wir flößten ihm Wasser und Branntwein ein; rieben ihn, verbanden ihm seine Wunde und brachten ihn wieder zu sich. Auch sein gesundes Bewußtsein schien wiedergekehrt, so daß wir ihn mit guter Zuversicht vom Verdeck, wo wir ihn behandelt hatten, wieder in seine Koje zur Ruhe legen konnten. Zu noch besserer Vorsicht blieb ich bei ihm und streckte mich auf den Kleiderkasten, der vor seinem Bette angebracht war.
Nichtsdestoweniger überfiel es ihn gleich darauf von neuem; er taumelte über mich weg auf den Fußboden der Kajüte; war starr, besinnungslos und einem Sterbenden ähnlich, bis wir ihn abermals aufs Deck an die frische Luft brachten, wo er sich denn allmählich wieder erholte. Ich verfiel darauf und bin auch noch jetzt der Meinung, daß der Grund dieser sonderbaren Wirkung in den frischen Ölfarben zu suchen sei, womit wir eben hantiert hatten; zumal in dem sogenannten Königsgelb, das wir zum Anstrich einiger Leisten dicht an seiner Koje gewählt und dessen schädliche Ausdünstungen er unmittelbar mit dem Atem in sich gezogen haben konnte. Wir behielten ihn darum auch auf dem Verdeck und dann in einem luftigen Raum, bis wir ihn vollkommen wieder genesen glaubten.
Einige Tage später befanden wir uns morgens unter Quessant, als ich eben mit meiner Wache fertig war; und da der Kapitän aufs Deck kam, um mich abzulösen, bedeutete ich ihm: »Dort haben wir Quessant. Wir dürfen nicht südlicher steuern, als Südsüdwest, wenn wir nicht hier in die Bucht zwischen den Klippen verfallen wollen.« – Ich war auch zu dieser wohlgemeinten Weisung um so befugter, weil ich ohnehin auf dem Schiffe meist alles allein zu leiten hatte, denn mit des Mannes Steuerkunst war es herzlich schlecht bestellt, indem er zwar einige Reisen nach Ostindien, aber nur als Zimmermann, gemacht hatte. Seine Anstellung als Schiffer hatte er lediglich der Gunst einiger Reeder in Königsberg, den Verwandten seiner Frau, zu danken. Auch wurden von seinen früheren Fahrten allerlei seltsame Dinge erzählt, die sein Ungeschick zu einem solchen Posten sattsam bewiesen. Als Seemann konnte er es übrigens mit dem Bravsten aufnehmen.
Während ich in meine Koje zur Ruhe ging, nahm jener sein Werkgerät und machte sich an der Zimmerung des Bootes etwas zu schaffen. Ehe mir aber noch die Augen recht zufielen, kam er aus demselben hervor, trat zu dem Matrosen am Steuer und fragte: »Was steuert Ihr?« – »Südsüdwest, Herr!« war die Antwort. – »Ei, warum nicht gar! Steuert Südsüdost!« befahl der Schiffer. Ich erschrak und geriet immer mehr in Nachdenken, was ihn zu dieser Widersinnigkeit veranlassen könne. Kaum zehn Minuten später kam er nochmals und gebot dem Manne am Ruder, vollends gegen Südost zu steuern. Sogleich sprang ich auf, überzeugte mich, daß dieser wirklich den anbefohlenen Kurs hielt, und rief nun augenblicklich dem Kapitän zu: »Um Gottes willen! Mit dem Südostkurs sind wir ja gleich im Unglück! Wir müssen wieder südwestlich steuern.«
Der harte Kopf tat, als hörte er mich nicht, und gab keine Antwort. Ich rannte zu dem Matrosen und donnerte auf ihn ein: »Steuert Südwest!« – Der Schiffer, dies hörend, warf seine Zimmeraxt über Seite, kam heran und gebot seinerseits: »Steuert Südost!« – Was blieb mir jetzt übrig, als dem Kerl die Ruderpinne aus der Hand zu reißen und so meinen Willen zu erzwingen? – bis jener sie mir wiederum mit Gewalt entriß und wütend erklärte, daß es bei Südost verbleiben solle.
So abgewiesen, ging ich in den Roof, wo ich mein Wachtvolk herausrief und nun auch meinerseits erklärte: »Der Schiffer wolle uns mit seinem Eigensinn ins Unglück bringen; wir führen mit diesem Kurs dem Verderben in den offenen Rachen. Gleich hin nach vorn und ausgeschaut nach Klippen und Brandung!« – In der Tat auch war kaum eine halbe Stunde verlaufen, so schrien die Leute: »Ho da! Klippenbrandung vor uns!« – Jetzt hielt ich mich auch nicht länger; griff, wie ein Sturm, ins Ruder, holte es hart an die Backbordseite, und sah mit Herzbeben rings umher ein Labyrinth von Klippen weiß aufschäumen.
Auch der Kapitän sah, was vorging, und schlich bleich und zitternd nach der Kajüte, während ich, mit Hilfe der übrigen, das Schiff wendete und, da mir der Wind günstig in die Segel stand, auch das kaum verhoffte Glück hatte, mich mit Kreuzen und Lavieren endlich wieder aus dem Untergang drohenden Gedränge wieder herauszufinden. Von unserm Schiffer war und blieb nichts zu sehen, bis zur Essenszeit, da er mich, wie gewöhnlich, zu Tische rufen ließ. Kaum trat ich in die Kajüte, so fiel er mir um den Hals, gestand, er sei ganz von Sinnen gewesen, und bat mich, alles Geschehene zu vergessen; mit heiliger Zusicherung, daß er mir künftig ganz meinen Willen lassen wolle. Ich schärfte ihm jedoch ein wenig das Gewissen durch Vorstellung, wie nahe es daran gewesen, daß wir alle durch seine Schuld Kinder des Todes geworden. Er erkannte das, gab gute Worte, und damit war die Sache abgetan.
Auf der Heimreise hatten wir den Kanal bereits wieder passiert und bei Nacht die Leuchtfeuer bei Dover deutlich erkannt, indem wir bei einem, zum Sturme werdenden West-Südwest-Winde herliefen. Weiterhin in der Nordsee, wo diese mehr Breite gewann, fanden wir gewaltig hohe Wogen, die unsrem tief mit Salz geladenen Schiffe durch öfteres Überstürzen sehr beschwerlich fielen. Eben war meine letzte Nachtwache von zwölf bis vier Uhr zu Ende. Ich ging demnach zum Kapitän in die Kajüte, um ihm zu sagen, daß seine Wache beginne, daß es gewaltig stürme und daß, wofern der Wind nicht bald nachließe, es nötig werden möchte, die Segel einzunehmen und gegen den Wind zu legen. Anders sei mir bange, daß uns nicht Boot, Wasserfässer СКАЧАТЬ