Название: Ein Mann
Автор: Joachim Nettelbeck
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066118167
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Meinen Zweck verfolgend setzte ich nunmehr mit Hilfe meines Matrosen und des Jungen die Jolle aus und ließ mich von ihnen an den jenseitigen Bord hinüberrudern. Als Vorwand meines Besuches sollte mir ein mitgenommenes leeres Wasserfaß und die kleine Notlüge dienen, daß uns unser Trinkwasser ausgegangen. Wir kamen dem Schiffe auch glücklich zur Seite, wo wir mit Verwunderung alles zum Gefechte in Bereitschaft fanden, während sie selbst, beim nähern Anblick von uns drei Köpfen, über ihre ausgestandene Furcht lachen mußten.
Meine Bitte um frisches Wasser schien unverdächtig und fand willigen Eingang. Unter der Zeit aber, daß es gezapft und in mein Faß übergefüllt wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr, ganz unbefangen nach dem Namen dieses und jenes Landes, das uns eben im Gesichte lag, zu fragen. So erfuhr ich, daß dort hinaus Kap Cantrie, hierwärts aber die Insel Lamlach gelegen sei. Ich war nun zu meiner großen Beruhigung wieder orientiert, ohne mir die arge Blöße gegeben zu haben, meine Unwissenheit einzugestehen.
Irwin, unser Bestimmungsort, liegt im Grunde einer tiefen runden Bucht, in welche, als wir ihre Höhe erreichten, ein Sturm aus Nordwest gerade hineinblies. Da sie mir durchaus unbekannt war, bekanntlich aber schlechten Ankergrund hat, so wäre es verwegen gewesen, mich bei diesem Winde und Wetter in sie hineinzuwagen. Ich steuerte also gegen die Insel Arron, um dort vielleicht eines Lotsen habhaft zu werden; allein vergebens kreuzte ich zwei Tage umher. Meine weiße Flagge spielte mir abermals den Streich, daß alles auf der See vor mir floh und vom Lande niemand sich zu mir heranwagte, weil ich für einen Franzosen gehalten wurde. Zuletzt näherte ich mich dem Strome von Port-Glasgow, und hier gelang es mir dann, einen Lotsen zu finden, der mich nach Irwin brachte.
Ich berührte nur kurz, daß wir, nachdem auch unser Schiffer wieder auf die Beine gekommen, von hier mit Ballast und unter neutraler Flagge nach der Insel Noirmoutiers an der westlichen Küste von Frankreich gingen, wo wir eine Ladung Seesalz einnahmen und uns dann nach Königsberg auf den Heimweg machten. Leider konnten wir's im Kanal in der Nähe von Dover nicht vermeiden, nach und nach mit sieben englischen Kapern zusammenzugeraten. Alle diese Schnapphähne – Kerle mit wahren Galgenphysiognomien – stiegen zu uns an Bord und wußten in allem, was ihnen anstand (und ihnen stand fast alles an!) reinen Tisch zu machen: Kessel und Pfannen, Tauwerk und losgebundene Segel, Seekarten und Kompaß mußten mit ihnen wandern. Was der eine uns ließ, daß nahm der andere. Ja, endlich zogen sie uns sogar die Kleider vom Leibe.
Wir hatten eben Dover gegenüber beilegen müssen, als mir, bei dem letzten unerwünschten Zuspruche solcher Art, einer von diesen Taugenichtsen, zudringlicher als die übrigen alle, die langen Schifferhosen von den Beinen streifte. Das hätte ich verschmerzen mögen; aber bei der Gelegenheit fiel ihm auch ein Notpfennig von etwa 13 Rubeln in die Augen, die ich ins Hemd eingenäht hatte und hier für sicher genug hielt. Kaum aber erreichte der süße Ton des Silbergeklappers sein Ohr, so griff er gierig zu, hieb mit seinem Hauer mir den Hemdzipfel vom Leibe, zählte seine Beute über und trieb die britische Großmut so weit, mir davon einen Rubel zurückzugeben. Dabei verbot er mir, diesen dem Schiffer zurückzustellen, welchem, seiner Meinung nach, der ganze Fund wohl eigentlich gehören möchte.
Ich war aber über diese Behandlung dermaßen erbittert, daß ich augenblicklich das Ruder aufholte, die Segel abbraßte und, da der Wind südlich war, nach dem Lande zuhielt. »Was soll das bedeuten? Wo hinaus?« fragten die Kerle, die mir auf dem Verdeck am nächsten standen. – »Wo hinaus?« antwortete ich, von der inneren Wut übermeistert, »geradeswegs nach Dover, wo ihr Schelmgezüchte noch heute am lichten Galgen baumeln sollt!« – Flugs kam auf diese Drohung das ganze Pack aus Kajüte, Roof, Kabelgat und Raum, wohin sie sich zum Rauben verteilt hatten, im dichten Kreise um mich her zusammen. So viel Hände, so viel Pistolen wurden mir auch an den Kopf oder Hauer auf die Brust gesetzt; doch schoß oder stach niemand. Dagegen rissen sie mich bei den Haaren aufs Deck nieder, einige hielten mich an Kopf und Füßen fest, andere schlugen mit den flachen Klingen auf mich drein, daß mir schier Hören und Sehen verging. Endlich wollten doch die Barmherzigsten meine weitere Mißhandlung nicht gestatten; doch ging es nicht ohne einige Fußtritte ab, und einer, der mir nun noch die Stiefeln von den Füßen zog, schlug mir sie zum Beschlusse um die Ohren, zog sie selbst auf der Stelle an und machte sich darauf mit seinen feinen Gesellen, zusammen dreizehn an der Zahl, an Bord ihres Kaperschiffes zurück.
Mein Zustand war so jämmerlich, daß unser Schiffsvolk mich für halb tot in meine Koje trug. Nicht genug aber, daß ich, der ich mich kaum regen konnte, der Regierung des Schiffes abging, sondern nun entstand auch in der nächsten Nacht ein Sturm, gegen den die übrigen sich zu schwach fühlten, die Segel einzunehmen. Dies hatte die Folge, daß bald auch der große Mast brach und mit seiner ganzen Takelage über Bord ging. Nun trieben wir, als ein Wrack, in der See, und hätten wahrscheinlich unseren Untergang gefunden, wenn nicht tags darauf eine holländische Fischer-Schuyt in unsere Nähe gekommen und bereitwillig gewesen wäre, unser Schiff nach dem Texel und von dort nach Medemblyk zu schleppen, wo sich die bequemste Gelegenheit fand, es wieder zu vermasten und in segelfertigen Stand zu setzen.
Als es zugerüstet war, fühlte ich mich noch zu krank und elend, um wieder mit an Bord zu gehen. Ich mußte also in Medemblyk zurückbleiben und begab mich dort zu einem Kompaßmacher, dem ich seine Kunst gründlich ablernte, und diese ist mir in der Folge von großem Nutzen gewesen. Zugleich schrieb ich in meine Heimat und erhielt auch bald eine Aufforderung von meinem Vater, ungesäumt nach Kolberg zurückzukommen. Die Gefahr, zum Soldaten ausgehoben zu werden, sei jetzt nicht zu fürchten, da er als Bürgeradjutant sich den Festungskommandanten v. Heyden besonders geneigt wisse und daß es mehr als eine Weise gebe, dem Vaterlande rechtschaffen zu dienen. Überdem sei es sehr wahrscheinlich, daß der Festung binnen kurzem eine Belagerung von den Russen bevorstände. Es sei also das beste, daß ich nach Hause käme, um mit meinen Eltern zu leben und zu sterben. Schlüge ich jedoch diese Ermahnung in den Wind, so möchte ich auch fernerhin nimmer wagen, mich seinen Sohn zu nennen. Kurz, neben dem glühenden Patriotismus, der sein Herz beseelte, schimmerte immerdar noch die Besorgnis hindurch, daß ich meiner alten Begierde nach Abenteuern hier in Holland abermals den Zügel schießen lassen und mit leichtem Sinn in die weite Welt gehen möchte.
Was blieb mir unter diesen Umständen anders zu tun, als mich unverzüglich auf das Schiff eines Landsmannes zu setzen, der zu Amsterdam lag und unter Danziger Flagge fuhr, und es so einzurichten, daß ich auf der Kolberger Reede, im Vorüberfahren, von ihm an Land geschickt wurde. Drei oder vier Wochen darauf begann die erste, von dem russischen General Palmbach geleitete Belagerung meiner Vaterstadt. Nun ist es bekannt, daß schon von alten Zeiten her die Einwohner von Kolberg durch ihren Bürgereid verpflichtet sind, zur Verteidigung der Festung Leib und Leben, Gut und Blut daranzusetzen. Sie blieben also auch bei dieser Gelegenheit, als brave Preußen, nicht hinter ihrer Schuldigkeit zurück. Meines Vaters Posten insonderheit forderte, daß er in dieser Zeit stets um die Person des Kommandanten sein mußte; und wo er war, da war auch ich, um ihm, als ein flinker und rühriger junger Mensch, zur Hand zu gehen. Der alte wackere Heyden sah meinen guten Willen; und das gewann mir sein Wohlgefallen in dem Maße, daß ich beständig in seiner Nähe sein und bleiben mußte. Ich konnte solchergestalt für seinen zweiten Bürger-Adjutanten gelten und wurde oftermalen auf den Wällen von ihm gebraucht, seine Befehle nach entfernten Posten zu überbringen. In der Tat war dies eine gute Vorschule für mich, um zu lernen, was unter solchen Umständen zum Festungsdienste gehört; und die Lektion ist mir noch im späten Alter trefflich zugute gekommen!
Man weiß, daß diese Belagerung, obgleich ernstlich genug gemeint und mit überlegener Kraft begonnen, dennoch durch die Entschlossenheit unseres Anführers und seine geschickten Gegenanstalten fruchtlos blieb und daß die Russen, nachdem sie eine Menge Pulver unnütz verschossen hatten, nach einigen Wochen wieder abziehen mußten. Sobald aber auch nur der Platz wieder frei geworden, war dort meines Bleibens nicht länger. Ich machte eine Fahrt nach Amsterdam, von der ich hier nichts Besonderes anzuführen habe, СКАЧАТЬ