Название: Ein Mann
Автор: Joachim Nettelbeck
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066118167
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Unser Wagestück gelang nach Wunsch; wir kamen glücklich an Land und fielen alle drei voll Entzücken auf unsere Kniee, um dem göttlichen Erretter unseren Dank darzubringen. Durchnäßt bis auf die Haut und erstarrt vor Frost, war indes hier nicht der Ort und die Zeit, lange hinter uns zu sehen. Vielmehr wanderten wir unverzüglich auf eine Feuerbake zu, die hier auf dem Schelling zum Besten der Seefahrenden unterhalten wird, und deren Licht wir etwa 2000 Schritte von uns flimmern sahen. Wohl hundertmal fielen wir in der dicken Finsternis und auf den unebenen Sanddünen über unsere eigenen Füße; aber innig froh, dem tosenden Meere entronnen zu sein, hätten wir auch wohl größeres Leid nicht geachtet, und gelangten endlich auch wohlbehalten zu dem Feuerturme. Die Türe desselben ward im Dunkeln ausgetastet; vor uns öffnete sich eine Wendeltreppe, die wir hinanstiegen; und droben im Wachtstübchen fanden wir einen Mann auf der Pritsche ausgestreckt, dem, bei unserem unerwarteten Eintritte, im Todesschrecken das Pfeifchen aus dem Munde entsank, bis wir uns beiderseits besannen und näher miteinander verständigten.
Auf den Bericht von unserer unglücklichen Strandung erklärte er uns, daß er verpflichtet sei, dies Ereignis sofort im nächsten Dorfe, welches kaum einige Tausend Schritte entfernt liege, anzuzeigen. Er lud uns ein, ihn dorthin zu begleiten; kam uns erstarrten armen Burschen aber gar bald aus dem Gesichte und überließ es uns, ihm, so gut wir konnten, nachzuhumpeln. Unzähligemal purzelten wir auf diesem kurzen Wege; kamen selbst in Gefahr uns zu verirren, und fanden uns nur dann erst zu dem Dorfe hin, als wir eine Glocke gezogen hörten, welche das Zeichen gab, daß alles Mannsvolk auf und empor sollte, um unser gestrandetes Schiff aufzusuchen und zu bergen.
Wir wurden indes in ein Haus geführt, wo des Fragens nach unserem erlittenen Unglücke kein Ende war, wo aber die guten Leute zugleich auch trockene Kleider, Speisen, Warmbier und sogar Glühwein, und was sie sonst irgend im Vermögen hatten, herbeibrachten, um uns zu erquicken. Sie weinten in die Wette mit uns – wir vor Freude, sie vor Mitleid; und nicht eher verließen sie uns, als bis sie uns in einem warmen Bette zur Ruhe gebracht hatten.
Am Morgen, da wir uns wieder ermuntert hatten, erfuhren wir, daß die Dorfsmannschaft von ihrem nächtlichen Zuge wieder heimgekehrt sei. Sie hatte das gestrandete Schiff in der Dunkelheit nicht finden können, war aber, bei anbrechendem Tage, auf die einzelnen, längs dem Ufer umhertreibenden Trümmer gestoßen, ohne jedoch weder einen lebendigen Menschen, noch eine ausgeworfene Leiche anzutreffen. Wir blieben also leider die einzigen Geborgenen! Es ward uns indes angeraten, uns zu Mynheer de Drost, der die polizeiliche Aufsicht auf der Insel führte, zu begeben und demselben unser Unglück vorstellig zu machen, da zudem eine Kasse vorhanden sei, woraus armen Schiffbrüchigen Leuten, wie wir, eine Unterstützung gereicht zu werden pflege. Auch möchten wir deren wohl um so mehr bedürftig sein, da jetzt zwischen dem Schelling und dem festen Lande alles mit Eis gestopft und so bald an kein Hinüberkommen zu denken sei.
Dieser Vorschlag kam uns gar gelegen. Ohne uns also zu äußern, daß wir noch mit Geld und mit einer Taschenuhr (beides hatte ich sorgfältig in meinen Beinkleidern verwahrt) versehen wären, machten wir uns zu dem Landdrosten auf den Weg, ihm unsere Lage zu schildern. Der brave Mann hörte uns mit dem äußersten Mitleid an, ließ auch sofort einen Schneider kommen, der uns eine tüchtige Jacke und Hosen anmessen mußte, und versah uns mit doppelten Hemden, Halstüchern, Strümpfen, einer Filzmütze und anderen Notwendigkeiten mehr. Hiermit auch nicht zufrieden, ließ er einen Mann kommen, dem er uns in die Kost befahl; und so blieben wir in dieser menschenfreundlichen Pflege bis in die Mitte des Januar, wo endlich das Eis zwischen dem Schelling und Haarlingen aufging und wir ein Schiff von dorther nach dem Schelling durchbrechen sahen.
Sobald dies Fahrzeug an Land gekommen war, beeilten wir uns, den Schiffer, welcher schnell löschen und dann den Rückweg antreten wollte, dahin zu vermögen, daß er uns einen Platz an seinem Borde gestattete. Auf seine ausweichende Antwort, die uns wenig Hoffnung übrig ließ, hielten wir's für das Geratenste, auf der Stelle unseren großmütigen Gönner, den Drosten, anzutreten und ihm unser neues Anliegen vorzutragen. Sogleich auch war er zur Vermittelung bereit, ließ den Schiffer rufen, verdingte uns ihm als Passagiere bis Haarlingen und an seinen eigenen Tisch, wie lang oder kurz die Überfahrt auch währen möchte, und berichtigte die Kosten mit fünfzehn Gulden vor unsern Augen. Es versteht sich, daß wir ihm aus Herzensgrunde und mit weinenden Augen dankten, indem wir zugleich Abschied von ihm nahmen, um mit unserem Schiffer zu gehen. Diesem halfen wir vergnügt löschen und eine neue Ladung einnehmen; und so konnten wir schon nach 48 Stunden mit ihm vom Schelling absegeln.
Wir brauchten einen Tag und beinahe die ganze folgende Nacht, um uns durch das Eis zu arbeiten, bis wir mit dem Morgen vor Haarlingen anlegten. Hier nahmen wir sofort unser kleines Bündel auf den Arm, und waren im Begriff, längs dem Kai zum nächsten Tore hinauszuziehen, als wir zufällig an einem Fahrzeuge vorüberschlenderten, welches, wie mehrere andere, im Eise eingefroren war. Auf demselben stand ein kleiner alter Mann, der uns anrief und dessen Neugier wir über unsere Umstände, erst im allgemeinen und dann im besonderen, befriedigen mußten. Wir taten es, als ehrliche Pommern, in aller Unbefangenheit, und nannten letztlich auch den Namen »Heindrick Harmanns«, als des Schiffers, mit dem wir unseren neuerlichen Unfall erlitten und der dabei ein Raub der empörten Wogen geworden.
Kaum ging der unglückliche Name über meine Lippen, so schlug der alte Mann die Hände über dem Kopfe zusammen und schrie, daß es in die Lüfte klang: »Barmherziger Gott! Mein Sohn, mein Sohn!« Zugleich sank er auf seine Knie nieder und mit dem Angesichte auf das Verdeck, und jammerte unablässig: »Mein Sohn! o mein Sohn!« – Uns schnitt der klägliche Anblick durchs Herz; wir weinten mit ihm und konnten nicht von der Stelle. Als wir uns beiderseits ein wenig erholt hatten, drang er in uns, ihm in seine Kajüte zu folgen. Hier mußten wir ihm den ganzen Verlauf umständlich erzählen; auch wollte er uns (als ob ihm dies einigen Trost gäbe) den ganzen Tag nicht von seiner Seite lassen; aber während er uns Kaffee, Wein und alles, was er nur bei der Seele hatte, vorsetzte, überwältigte ihn immer von neuem der Gram um sein verlorenes Kind und preßte auch uns Tränen der Rührung und des Mitleids aus.
Gegen den Abend, wo es uns endlich die höchste Zeit deuchte, unseren Stab weiter zu setzen, hub er an: »Liebe Jungen, heute könnt und sollt ihr nicht mehr von dannen. Ich will euch in ein gutes Haus bringen, wo ihr euch die Nacht über erholen könnt. Aber morgen früh hol' ich euch ab und gehe eine Strecke Weges mit euch. Ihr seid jung und unerfahren und braucht Anweisung und guten Rat, wie ihr eure Reise weiter anzustellen habt. Kommt denn, in Gottes Namen!«
Unser Führer schien in der Herberge, zu welcher er uns geleitete und wo es von Biergästen wimmelte, gar wohl bekannt. Er erzählte seines Sohnes und unser Unglück; auch wir mußten erzählen, und so verstrich der Abend, bis der Wirt, in Ermangelung seiner abwesenden Ehegenossin, uns in ein recht artiges Zimmer hinaufleuchtete, uns dreien ein großes, mit Betten hoch ausgestopftes Nachtlager anwies und uns sodann eine freundliche Ruhe wünschte. Wirklich tat sie uns not und wir krochen wohlgemut und behaglich unter die Decke zusammen.
Leider aber hatten wir diesmal unsere Rechnung zwar nicht ohne den Wirt, aber doch ohne die Wirtin gemacht; denn kaum war uns so ein süßes halbes Stündchen zwischen Schlaf und Wachen verlaufen, so kam es unter Zank und Gepolter die Treppe heraufgestürmt; unsere Zimmertür ward ungestüm aufgerissen und eine gellende Stimme gebot uns, sofort das warme Nest zu räumen und ihr sauberes Bettzeug nicht zu verunreinigen. Da half kein Widerreden; wir sprangen auf, ließen die Ohren hängen und duckten uns in einen Winkel zusammen, bis die Betten, die der Dame so fest ans Herz gewachsen waren, mit einem Strohsack, einer Matratze und einer Art von Pferdedecke vertauscht worden. Das war ein böser Wechsel, СКАЧАТЬ